Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 114. Acht- und Strafvollzug. In Norwegen wurde dem Missethäter das Haupt geschoren, mit Theerbestrichen 7 und mit Federn bestreut 8. So musste der Pechvogel die Gasse laufen. Jeder sollte mit Steinen und Pflöcken nach ihm werfen. Wer nicht warf, wurde bussfällig 9. Die Angelsachsen kennen als Strafen zu gesamter Hand das Steinigen und das Verbrennen. Stiehlt ein Knecht, so sollen nach einer Satzung Aethelstans achtzig Knechte hinausgehen und den Dieb steinigen 10. Wer den Wurf dreimal ver- fehlt, wird dreimal gestäupt. Stiehlt eine Magd, so sollen achtzig Mägde je drei Hölzer herbeitragen und die Diebin verbrennen 11. Bonifatius berichtet über eine bei den Altsachsen von Frauen an einer Entehrten mit gesamter Hand vollzogene Strafe 12. Nach deutschen Weistümern, nach schleswigschem und jütischem Rechtsbrauch erfolgte sogar die Strafe des Hängens mit gesamter Hand, indem von den Genossen der Gerichtsgemeinde jeder einzelne den Strick anfassen musste 13. Von Hinrichtungen, die das fränkische Heer oder Volk an Verbrechern vollstreckte, erzählt uns Gregor von Tours 14. Als Vollzugsorgan einer in den Quellen genannten Todesstrafe 7 Daher doema til torfs ok til tjöru. 8 Vgl. den englisch-amerikanischen Brauch des Federns, taring and feathering. 9 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 165. Wilda, Strafr. S. 505. 10 Aethelstan IV 6, § 5. Vgl. VI 6, § 3. 11 Aethelstan IV 6, § 7. 12 Brief an König Aethilbald von Mercien von 744--747, Jaffe, Bibl. III 172: Aliquando, congregato exercitu femineo, flagellatam eam mulieres per pagos circum- quaque ducunt, virgis cedentes et vestimenta eius abscidentes iuxta cingulum; et cultellis suis totum corpus eius secantes et pungentes, minutis vulneribns cruentatam et laceratam de villa ad villam mittunt; et occurrunt semper novae flagellatrices, zelo pudicitiae adductae, usque ad eam aut mortuam aut vix vivam derelinquunt. 13 Dreyer, Nebenstunden S. 179 ff. Grimm, RA S. 885, Gierke, Ge- nossenschaftsrecht II 402. Kaysersberg schreibt 1522: wenn man etwan in einem Dorf einen Dieb henken will, da man keinen Henker hat, so henkt ein ganzes Ge- richt den Dieb; so nimmt man ein lang Seil und schlagt es über den Galgen, so knüpfet man den Dieb unten daran, so muss der Schultheiss dem Dieb das Seil umknüpfen und darnach so ziehen das ganze Gericht den Dieb an den Galgen und müssen allesammt am Seil ziehen, auf dass keiner den andern darff verweisen, dass er den Dieb gehenkt. Boehmer a. O. S. 45. 14 Greg. Tur. Hist. Franc. V 25, IX 8. 10. Im Militärstrafrecht haben sich bekanntlich Strafen zu gesamter Hand bis in unsere Tage erhalten. 15 Siehe oben I 91, Anm. 76. Nach dem oben Anm. 15 erwähnten Briefe des
Bonifatius kam es bei den Altsachsen vor, dass die Entehrte von den Verwandten § 114. Acht- und Strafvollzug. In Norwegen wurde dem Missethäter das Haupt geschoren, mit Theerbestrichen 7 und mit Federn bestreut 8. So muſste der Pechvogel die Gasse laufen. Jeder sollte mit Steinen und Pflöcken nach ihm werfen. Wer nicht warf, wurde buſsfällig 9. Die Angelsachsen kennen als Strafen zu gesamter Hand das Steinigen und das Verbrennen. Stiehlt ein Knecht, so sollen nach einer Satzung Aethelstans achtzig Knechte hinausgehen und den Dieb steinigen 10. Wer den Wurf dreimal ver- fehlt, wird dreimal gestäupt. Stiehlt eine Magd, so sollen achtzig Mägde je drei Hölzer herbeitragen und die Diebin verbrennen 11. Bonifatius berichtet über eine bei den Altsachsen von Frauen an einer Entehrten mit gesamter Hand vollzogene Strafe 12. Nach deutschen Weistümern, nach schleswigschem und jütischem Rechtsbrauch erfolgte sogar die Strafe des Hängens mit gesamter Hand, indem von den Genossen der Gerichtsgemeinde jeder einzelne den Strick anfassen muſste 13. Von Hinrichtungen, die das fränkische Heer oder Volk an Verbrechern vollstreckte, erzählt uns Gregor von Tours 14. Als Vollzugsorgan einer in den Quellen genannten Todesstrafe 7 Daher dœma til torfs ok til tjöru. 8 Vgl. den englisch-amerikanischen Brauch des Federns, taring and feathering. 9 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 165. Wilda, Strafr. S. 505. 10 Aethelstan IV 6, § 5. Vgl. VI 6, § 3. 11 Aethelstan IV 6, § 7. 12 Brief an König Aethilbald von Mercien von 744—747, Jaffé, Bibl. III 172: Aliquando, congregato exercitu femineo, flagellatam eam mulieres per pagos circum- quaque ducunt, virgis cedentes et vestimenta eius abscidentes iuxta cingulum; et cultellis suis totum corpus eius secantes et pungentes, minutis vulneribns cruentatam et laceratam de villa ad villam mittunt; et occurrunt semper novae flagellatrices, zelo pudicitiae adductae, usque ad eam aut mortuam aut vix vivam derelinquunt. 13 Dreyer, Nebenstunden S. 179 ff. Grimm, RA S. 885, Gierke, Ge- nossenschaftsrecht II 402. Kaysersberg schreibt 1522: wenn man etwan in einem Dorf einen Dieb henken will, da man keinen Henker hat, so henkt ein ganzes Ge- richt den Dieb; so nimmt man ein lang Seil und schlagt es über den Galgen, so knüpfet man den Dieb unten daran, so muſs der Schultheiſs dem Dieb das Seil umknüpfen und darnach so ziehen das ganze Gericht den Dieb an den Galgen und müssen allesammt am Seil ziehen, auf daſs keiner den andern darff verweisen, daſs er den Dieb gehenkt. Boehmer a. O. S. 45. 14 Greg. Tur. Hist. Franc. V 25, IX 8. 10. Im Militärstrafrecht haben sich bekanntlich Strafen zu gesamter Hand bis in unsere Tage erhalten. 15 Siehe oben I 91, Anm. 76. Nach dem oben Anm. 15 erwähnten Briefe des
Bonifatius kam es bei den Altsachsen vor, daſs die Entehrte von den Verwandten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0488" n="470"/><fw place="top" type="header">§ 114. Acht- und Strafvollzug.</fw><lb/> In Norwegen wurde dem Missethäter das Haupt geschoren, mit Theer<lb/> bestrichen <note place="foot" n="7">Daher dœma til torfs ok til tjöru.</note> und mit Federn bestreut <note place="foot" n="8">Vgl. den englisch-amerikanischen Brauch des Federns, taring and feathering.</note>. So muſste der Pechvogel die<lb/> Gasse laufen. Jeder sollte mit Steinen und Pflöcken nach ihm werfen.<lb/> Wer nicht warf, wurde buſsfällig <note place="foot" n="9">v. <hi rendition="#g">Amira</hi>, Vollstreckungsverfahren S. 165. <hi rendition="#g">Wilda</hi>, Strafr. S. 505.</note>. Die Angelsachsen kennen als<lb/> Strafen zu gesamter Hand das Steinigen und das Verbrennen. Stiehlt<lb/> ein Knecht, so sollen nach einer Satzung Aethelstans achtzig Knechte<lb/> hinausgehen und den Dieb steinigen <note place="foot" n="10">Aethelstan IV 6, § 5. Vgl. VI 6, § 3.</note>. Wer den Wurf dreimal ver-<lb/> fehlt, wird dreimal gestäupt. Stiehlt eine Magd, so sollen achtzig<lb/> Mägde je drei Hölzer herbeitragen und die Diebin verbrennen <note place="foot" n="11">Aethelstan IV 6, § 7.</note>.<lb/> Bonifatius berichtet über eine bei den Altsachsen von Frauen an einer<lb/> Entehrten mit gesamter Hand vollzogene Strafe <note place="foot" n="12">Brief an König Aethilbald von Mercien von 744—747, Jaffé, Bibl. III 172:<lb/> Aliquando, congregato exercitu femineo, flagellatam eam mulieres per pagos circum-<lb/> quaque ducunt, virgis cedentes et vestimenta eius abscidentes iuxta cingulum; et<lb/> cultellis suis totum corpus eius secantes et pungentes, minutis vulneribns cruentatam<lb/> et laceratam de villa ad villam mittunt; et occurrunt semper novae flagellatrices,<lb/> zelo pudicitiae adductae, usque ad eam aut mortuam aut vix vivam derelinquunt.</note>. Nach deutschen<lb/> Weistümern, nach schleswigschem und jütischem Rechtsbrauch erfolgte<lb/> sogar die Strafe des Hängens mit gesamter Hand, indem von den<lb/> Genossen der Gerichtsgemeinde jeder einzelne den Strick anfassen<lb/> muſste <note place="foot" n="13"><hi rendition="#g">Dreyer</hi>, Nebenstunden S. 179 ff. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S. 885, <hi rendition="#g">Gierke</hi>, Ge-<lb/> nossenschaftsrecht II 402. Kaysersberg schreibt 1522: wenn man etwan in einem<lb/> Dorf einen Dieb henken will, da man keinen Henker hat, so henkt ein ganzes Ge-<lb/> richt den Dieb; so nimmt man ein lang Seil und schlagt es über den Galgen, so<lb/> knüpfet man den Dieb unten daran, so muſs der Schultheiſs dem Dieb das Seil<lb/> umknüpfen und darnach so ziehen das ganze Gericht den Dieb an den Galgen und<lb/> müssen allesammt am Seil ziehen, auf daſs keiner den andern darff verweisen, daſs<lb/> er den Dieb gehenkt. <hi rendition="#g">Boehmer</hi> a. O. S. 45.</note>. Von Hinrichtungen, die das fränkische Heer oder Volk an<lb/> Verbrechern vollstreckte, erzählt uns Gregor von Tours <note place="foot" n="14">Greg. Tur. Hist. Franc. V 25, IX 8. 10. Im Militärstrafrecht haben sich<lb/> bekanntlich Strafen zu gesamter Hand bis in unsere Tage erhalten.</note>.</p><lb/> <p>Als Vollzugsorgan einer in den Quellen genannten Todesstrafe<lb/> erscheint mitunter die Sippe oder der Ehemann. Es handelt sich da-<lb/> bei um Ausübung einer Strafgewalt, die der Sippe gegen ihre Mit-<lb/> glieder, dem Ehemann gegen die schuldige Ehefrau zusteht. So sind<lb/> es die Verwandten, welche die Entehrte am Leben strafen <note xml:id="seg2pn_123_1" next="#seg2pn_123_2" place="foot" n="15">Siehe oben I 91, Anm. 76. Nach dem oben Anm. 15 erwähnten Briefe des<lb/> Bonifatius kam es bei den Altsachsen vor, daſs die Entehrte von den Verwandten</note>, welche<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [470/0488]
§ 114. Acht- und Strafvollzug.
In Norwegen wurde dem Missethäter das Haupt geschoren, mit Theer
bestrichen 7 und mit Federn bestreut 8. So muſste der Pechvogel die
Gasse laufen. Jeder sollte mit Steinen und Pflöcken nach ihm werfen.
Wer nicht warf, wurde buſsfällig 9. Die Angelsachsen kennen als
Strafen zu gesamter Hand das Steinigen und das Verbrennen. Stiehlt
ein Knecht, so sollen nach einer Satzung Aethelstans achtzig Knechte
hinausgehen und den Dieb steinigen 10. Wer den Wurf dreimal ver-
fehlt, wird dreimal gestäupt. Stiehlt eine Magd, so sollen achtzig
Mägde je drei Hölzer herbeitragen und die Diebin verbrennen 11.
Bonifatius berichtet über eine bei den Altsachsen von Frauen an einer
Entehrten mit gesamter Hand vollzogene Strafe 12. Nach deutschen
Weistümern, nach schleswigschem und jütischem Rechtsbrauch erfolgte
sogar die Strafe des Hängens mit gesamter Hand, indem von den
Genossen der Gerichtsgemeinde jeder einzelne den Strick anfassen
muſste 13. Von Hinrichtungen, die das fränkische Heer oder Volk an
Verbrechern vollstreckte, erzählt uns Gregor von Tours 14.
Als Vollzugsorgan einer in den Quellen genannten Todesstrafe
erscheint mitunter die Sippe oder der Ehemann. Es handelt sich da-
bei um Ausübung einer Strafgewalt, die der Sippe gegen ihre Mit-
glieder, dem Ehemann gegen die schuldige Ehefrau zusteht. So sind
es die Verwandten, welche die Entehrte am Leben strafen 15, welche
7 Daher dœma til torfs ok til tjöru.
8 Vgl. den englisch-amerikanischen Brauch des Federns, taring and feathering.
9 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 165. Wilda, Strafr. S. 505.
10 Aethelstan IV 6, § 5. Vgl. VI 6, § 3.
11 Aethelstan IV 6, § 7.
12 Brief an König Aethilbald von Mercien von 744—747, Jaffé, Bibl. III 172:
Aliquando, congregato exercitu femineo, flagellatam eam mulieres per pagos circum-
quaque ducunt, virgis cedentes et vestimenta eius abscidentes iuxta cingulum; et
cultellis suis totum corpus eius secantes et pungentes, minutis vulneribns cruentatam
et laceratam de villa ad villam mittunt; et occurrunt semper novae flagellatrices,
zelo pudicitiae adductae, usque ad eam aut mortuam aut vix vivam derelinquunt.
13 Dreyer, Nebenstunden S. 179 ff. Grimm, RA S. 885, Gierke, Ge-
nossenschaftsrecht II 402. Kaysersberg schreibt 1522: wenn man etwan in einem
Dorf einen Dieb henken will, da man keinen Henker hat, so henkt ein ganzes Ge-
richt den Dieb; so nimmt man ein lang Seil und schlagt es über den Galgen, so
knüpfet man den Dieb unten daran, so muſs der Schultheiſs dem Dieb das Seil
umknüpfen und darnach so ziehen das ganze Gericht den Dieb an den Galgen und
müssen allesammt am Seil ziehen, auf daſs keiner den andern darff verweisen, daſs
er den Dieb gehenkt. Boehmer a. O. S. 45.
14 Greg. Tur. Hist. Franc. V 25, IX 8. 10. Im Militärstrafrecht haben sich
bekanntlich Strafen zu gesamter Hand bis in unsere Tage erhalten.
15 Siehe oben I 91, Anm. 76. Nach dem oben Anm. 15 erwähnten Briefe des
Bonifatius kam es bei den Altsachsen vor, daſs die Entehrte von den Verwandten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |