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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 106. Die Gottesurteile.
Beginn des Kampfes den Parteien durch das Loos zugewiesen werden.
Dass der Zweikampf schon in heidnischer Zeit als Gottesurteil ange-
sehen und nicht erst durch das Christentum dazu umgeschaffen wurde,
ist um so wahrscheinlicher, als Religion und Kampf den Germanen auf's
innigste zusammenhingen 95, als der Kriegsgott Tius zugleich der Gott
des Gerichtes war und der Zweikampf nachweislich als Orakel ver-
wendet wurde. Auch die Anwendung von Zaubersprüchen und Zauber-
mitteln, die man in christlicher Zeit als Vorbereitung zum Zweikampf
zu verhindern und zu verbieten genötigt ist, weist auf heidnisch sakrale
Behandlung des Zweikampfs zurück.

Obwohl in der Lex Salica ignoriert, ist uns der Zweikampf schon
im sechsten Jahrhundert bei den Saliern bezeugt 96 und tritt er uns
auch in einer Novelle zur Lex Salica entgegen 97. In jüngeren salischen
Quellen erscheint er an Stelle ursprünglichen Kesselfangs 98. Für die
Auffassung, dass es sich dabei nicht um eine Neuerung, sondern um
ein Wiederaufleben einer zeitweilig zurückgedrängten Einrichtung
handelt, spricht die eigentümliche und altertümliche Form, die seit
karolingischer Zeit für den salischen Zweikampf überliefert ist 99. Die
ribuarischen Franken, die Alamannen und die übrigen Stämme fochten
das Kampfordal mit dem Langschwerte 100 aus. Dagegen kämpften die
Salier mit Schild und Kampfstock 101, scuto et baculo, scuto et fustibus 102.
Karolingische Kapitularien führten diese Sitte bei Ribuariern und Lango-

95 Weinhold, Beiträge zu den deutschen Kriegsaltertümern, Berliner SB
1891, S. 543 ff.
96 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 14, X 10.
97 Lex Sal. 93 bei der Beschuldigung des Meineids: et postea si ausus fuerit,
pugnet.
98 So bei der Zeugenschelte Extrav. zur Lex Sal. B. c. 4, vgl. c. 2. Dagegen
Lex Sal. 94.
99 Schröder, RG S. 361, Anm. 89.
100 Lex Rib. 57, 2: cum gladio; 59, 4; 32, 4: spata. Pactus Alam. II 33.
Lex Alam. 43; 54, 2; 81; 86, 3. Lex Baiuw. XIII 8: cum campione cincto. Ssp.
Ldr. I 63, 4. Mit zwei Schwertern (eins davon in Reserve) bei den Friesen. Rh.
Rqu. S. 394. 565, § 25. Doch scheint der rätselhafte berskinzes kampa, kinnzes
kempa hinsichtlich seiner Bewaffnung zu dem swerdkampa im Gegensatz zu stehen.
Rh. WB S. 627. Sollte kins, kinz, wie griechisch genus, etwa auch Beil be-
deuten? Vgl. Grimm, WB V 779 s. v. kins, kinz. Ber würde sich in dieser
Zusammensetzung als Angriff (Rh. WB S. 624), der berskinzes kampa als ein
mit dem Streitbeil ausgerüsteter Kämpe erklären. -- Über nordisches Recht
v. Amira, Vollstreckungsverf. S. 297.
101 Campstock bei Stallaert, Gloss. van verouderde rechtstermen II 36.
102 Cap. de latr. 804--813, c. 3, I 180. Cap. legi add. v. J. 816, c. 1, I 268.
Cap. legg. add. 818. 819, c. 10. 15, I 283 f. Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 12,
I 293. Adrevaldi Miracula S. Bened. MG SS XV 490.

§ 106. Die Gottesurteile.
Beginn des Kampfes den Parteien durch das Loos zugewiesen werden.
Daſs der Zweikampf schon in heidnischer Zeit als Gottesurteil ange-
sehen und nicht erst durch das Christentum dazu umgeschaffen wurde,
ist um so wahrscheinlicher, als Religion und Kampf den Germanen auf’s
innigste zusammenhingen 95, als der Kriegsgott Tius zugleich der Gott
des Gerichtes war und der Zweikampf nachweislich als Orakel ver-
wendet wurde. Auch die Anwendung von Zaubersprüchen und Zauber-
mitteln, die man in christlicher Zeit als Vorbereitung zum Zweikampf
zu verhindern und zu verbieten genötigt ist, weist auf heidnisch sakrale
Behandlung des Zweikampfs zurück.

Obwohl in der Lex Salica ignoriert, ist uns der Zweikampf schon
im sechsten Jahrhundert bei den Saliern bezeugt 96 und tritt er uns
auch in einer Novelle zur Lex Salica entgegen 97. In jüngeren salischen
Quellen erscheint er an Stelle ursprünglichen Kesselfangs 98. Für die
Auffassung, daſs es sich dabei nicht um eine Neuerung, sondern um
ein Wiederaufleben einer zeitweilig zurückgedrängten Einrichtung
handelt, spricht die eigentümliche und altertümliche Form, die seit
karolingischer Zeit für den salischen Zweikampf überliefert ist 99. Die
ribuarischen Franken, die Alamannen und die übrigen Stämme fochten
das Kampfordal mit dem Langschwerte 100 aus. Dagegen kämpften die
Salier mit Schild und Kampfstock 101, scuto et baculo, scuto et fustibus 102.
Karolingische Kapitularien führten diese Sitte bei Ribuariern und Lango-

95 Weinhold, Beiträge zu den deutschen Kriegsaltertümern, Berliner SB
1891, S. 543 ff.
96 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 14, X 10.
97 Lex Sal. 93 bei der Beschuldigung des Meineids: et postea si ausus fuerit,
pugnet.
98 So bei der Zeugenschelte Extrav. zur Lex Sal. B. c. 4, vgl. c. 2. Dagegen
Lex Sal. 94.
99 Schröder, RG S. 361, Anm. 89.
100 Lex Rib. 57, 2: cum gladio; 59, 4; 32, 4: spata. Pactus Alam. II 33.
Lex Alam. 43; 54, 2; 81; 86, 3. Lex Baiuw. XIII 8: cum campione cincto. Ssp.
Ldr. I 63, 4. Mit zwei Schwertern (eins davon in Reserve) bei den Friesen. Rh.
Rqu. S. 394. 565, § 25. Doch scheint der rätselhafte berskinzes kampa, kinnzes
kempa hinsichtlich seiner Bewaffnung zu dem swerdkampa im Gegensatz zu stehen.
Rh. WB S. 627. Sollte kins, kinz, wie griechisch γένυς, etwa auch Beil be-
deuten? Vgl. Grimm, WB V 779 s. v. kins, kinz. Ber würde sich in dieser
Zusammensetzung als Angriff (Rh. WB S. 624), der berskinzes kampa als ein
mit dem Streitbeil ausgerüsteter Kämpe erklären. — Über nordisches Recht
v. Amira, Vollstreckungsverf. S. 297.
101 Campstock bei Stallaert, Gloss. van verouderde rechtstermen II 36.
102 Cap. de latr. 804—813, c. 3, I 180. Cap. legi add. v. J. 816, c. 1, I 268.
Cap. legg. add. 818. 819, c. 10. 15, I 283 f. Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 12,
I 293. Adrevaldi Miracula S. Bened. MG SS XV 490.
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[416/0434] § 106. Die Gottesurteile. Beginn des Kampfes den Parteien durch das Loos zugewiesen werden. Daſs der Zweikampf schon in heidnischer Zeit als Gottesurteil ange- sehen und nicht erst durch das Christentum dazu umgeschaffen wurde, ist um so wahrscheinlicher, als Religion und Kampf den Germanen auf’s innigste zusammenhingen 95, als der Kriegsgott Tius zugleich der Gott des Gerichtes war und der Zweikampf nachweislich als Orakel ver- wendet wurde. Auch die Anwendung von Zaubersprüchen und Zauber- mitteln, die man in christlicher Zeit als Vorbereitung zum Zweikampf zu verhindern und zu verbieten genötigt ist, weist auf heidnisch sakrale Behandlung des Zweikampfs zurück. Obwohl in der Lex Salica ignoriert, ist uns der Zweikampf schon im sechsten Jahrhundert bei den Saliern bezeugt 96 und tritt er uns auch in einer Novelle zur Lex Salica entgegen 97. In jüngeren salischen Quellen erscheint er an Stelle ursprünglichen Kesselfangs 98. Für die Auffassung, daſs es sich dabei nicht um eine Neuerung, sondern um ein Wiederaufleben einer zeitweilig zurückgedrängten Einrichtung handelt, spricht die eigentümliche und altertümliche Form, die seit karolingischer Zeit für den salischen Zweikampf überliefert ist 99. Die ribuarischen Franken, die Alamannen und die übrigen Stämme fochten das Kampfordal mit dem Langschwerte 100 aus. Dagegen kämpften die Salier mit Schild und Kampfstock 101, scuto et baculo, scuto et fustibus 102. Karolingische Kapitularien führten diese Sitte bei Ribuariern und Lango- 95 Weinhold, Beiträge zu den deutschen Kriegsaltertümern, Berliner SB 1891, S. 543 ff. 96 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 14, X 10. 97 Lex Sal. 93 bei der Beschuldigung des Meineids: et postea si ausus fuerit, pugnet. 98 So bei der Zeugenschelte Extrav. zur Lex Sal. B. c. 4, vgl. c. 2. Dagegen Lex Sal. 94. 99 Schröder, RG S. 361, Anm. 89. 100 Lex Rib. 57, 2: cum gladio; 59, 4; 32, 4: spata. Pactus Alam. II 33. Lex Alam. 43; 54, 2; 81; 86, 3. Lex Baiuw. XIII 8: cum campione cincto. Ssp. Ldr. I 63, 4. Mit zwei Schwertern (eins davon in Reserve) bei den Friesen. Rh. Rqu. S. 394. 565, § 25. Doch scheint der rätselhafte berskinzes kampa, kinnzes kempa hinsichtlich seiner Bewaffnung zu dem swerdkampa im Gegensatz zu stehen. Rh. WB S. 627. Sollte kins, kinz, wie griechisch γένυς, etwa auch Beil be- deuten? Vgl. Grimm, WB V 779 s. v. kins, kinz. Ber würde sich in dieser Zusammensetzung als Angriff (Rh. WB S. 624), der berskinzes kampa als ein mit dem Streitbeil ausgerüsteter Kämpe erklären. — Über nordisches Recht v. Amira, Vollstreckungsverf. S. 297. 101 Campstock bei Stallaert, Gloss. van verouderde rechtstermen II 36. 102 Cap. de latr. 804—813, c. 3, I 180. Cap. legi add. v. J. 816, c. 1, I 268. Cap. legg. add. 818. 819, c. 10. 15, I 283 f. Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 12, I 293. Adrevaldi Miracula S. Bened. MG SS XV 490.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/434>, abgerufen am 22.11.2024.