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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 99. Klage und Antwort.
interpretation behandelt. Für die Parteireden gilt der Rechtssatz, den
nachmals die Sprichwörter: ein Mann, ein Wort, un homme d'honneur
n'a que sa parole, zum Ausdruck bringen; d. h. die Partei ist an das
gesprochene Wort gebunden. Hat sie eine fehlerhafte Erklärung ab-
gegeben (ahd. missasprechan36, altfranz. mesparler, mesdire, isländ.
miskvida, ags. miskenninga37, niederländ. wantale38), so darf sie ihre
Rede nicht verbessern39. Der Gegner oder unter Umständen das
Gericht konnten sie beim Worte nehmen.

Der Formalismus, der die Parteiverhandlungen im Ding be-
herrschte, erlitt noch in fränkischer Zeit eine Abschwächung, die sich
derart vollzog, dass der Formenzwang teilweise durch die Steigerung
der richterlichen Autorität ersetzt wurde. Das Tangano des Klägers,
welches noch der Lex Ribuaria bekannt ist, verschwindet. Dagegen
taucht die Neuerung auf, dass nicht mehr der Kläger den Beklagten
zur Erwiderung auffordert, sondern das Gericht ihn fragt, was er auf
die Klage zu antworten habe40, und dass mitunter durch förmliches
Urteil auf richterlichen Antwortbefehl erkannt wird41.

Wenn wir von dem Falle der Einrede absehen, sind die Wechsel-
reden der Parteien regelmässig mit Klage und Antwort erledigt.
Doch kann die Antwort den Anlass zu einem Beweisangebot und damit
zu weiteren Verhandlungen der Parteien ergeben.

Rechtswidriges Vorenthalten der Antwort, mag sie nun der Kläger
oder der Richter begehrt haben, wurde ebenso wie die Missachtung
der Ladung zunächst mit einer Busse geahndet, die nach fränkischem

36 Ahd. Glosse für labi (lingua) bei Graff, Sprachsch. VI 381.
37 Leges Henrici primi 2, 8; 22 von mis male und cennan erklären, bei
Stubbs, Roger de Hoveden II 242 glossiert als inconstanter loqui in curia vel in-
variare, change de parole u mesparler en plait.
38 Keure v. Waes v. J. 1241, § 8 (pro verbo erroneo, quod vulgo dicitur wan-
talen), Warnkönig, Fl. RG UB II 2, Nr. 220, S. 179. Wilhelm V. v. J. 1354
f. Kennemerland, Mieris, Groot Charterboek II 823.
39 Auf demselben Grundsatze beruht das Verbot der tvaetala (Doppelsprache)
im schwedischen Rechte. Davon wird unterschieden die offtala (Zuvielsprache),
deren nachteilige Wirkung darin beruht, dass wer mehr gesagt oder versprochen,
als er wollte, beim Worte genommen wird. Der königliche Beamte ist als Klag-
vertreter seines Herrn dem Verbote der tvaetala und den Folgen der offtala nicht
unterworfen. v. Amira in den Götting. gel. Anzeigen 1885, S. 166 ff.
40 Form. Andeg. 50a: interrogatum est sepedicto illo, quid ad hec causa
darit in respunsis. Carta Senon. 20: interrogatum fuit ab ipsis viris .. Form. Se-
non. rec. 3. 5. 6. Perard S. 33. 34. 35. H. 215. 220. 226. 234. 316 (v. J. 756).
41 Argum. Perard. S. 150, H. 381: diiudicatum est, ut interrogarentur, si testes
ex parte S. Benigni reciperent.

§ 99. Klage und Antwort.
interpretation behandelt. Für die Parteireden gilt der Rechtssatz, den
nachmals die Sprichwörter: ein Mann, ein Wort, un homme d’honneur
n’a que sa parole, zum Ausdruck bringen; d. h. die Partei ist an das
gesprochene Wort gebunden. Hat sie eine fehlerhafte Erklärung ab-
gegeben (ahd. missasprechan36, altfranz. mesparler, mesdire, isländ.
miskvida, ags. miskenninga37, niederländ. wantale38), so darf sie ihre
Rede nicht verbessern39. Der Gegner oder unter Umständen das
Gericht konnten sie beim Worte nehmen.

Der Formalismus, der die Parteiverhandlungen im Ding be-
herrschte, erlitt noch in fränkischer Zeit eine Abschwächung, die sich
derart vollzog, daſs der Formenzwang teilweise durch die Steigerung
der richterlichen Autorität ersetzt wurde. Das Tangano des Klägers,
welches noch der Lex Ribuaria bekannt ist, verschwindet. Dagegen
taucht die Neuerung auf, daſs nicht mehr der Kläger den Beklagten
zur Erwiderung auffordert, sondern das Gericht ihn fragt, was er auf
die Klage zu antworten habe40, und daſs mitunter durch förmliches
Urteil auf richterlichen Antwortbefehl erkannt wird41.

Wenn wir von dem Falle der Einrede absehen, sind die Wechsel-
reden der Parteien regelmäſsig mit Klage und Antwort erledigt.
Doch kann die Antwort den Anlaſs zu einem Beweisangebot und damit
zu weiteren Verhandlungen der Parteien ergeben.

Rechtswidriges Vorenthalten der Antwort, mag sie nun der Kläger
oder der Richter begehrt haben, wurde ebenso wie die Miſsachtung
der Ladung zunächst mit einer Buſse geahndet, die nach fränkischem

36 Ahd. Glosse für labi (lingua) bei Graff, Sprachsch. VI 381.
37 Leges Henrici primi 2, 8; 22 von mis male und cennan erklären, bei
Stubbs, Roger de Hoveden II 242 glossiert als inconstanter loqui in curia vel in-
variare, change de parole u mesparler en plait.
38 Keure v. Waes v. J. 1241, § 8 (pro verbo erroneo, quod vulgo dicitur wan-
talen), Warnkönig, Fl. RG UB II 2, Nr. 220, S. 179. Wilhelm V. v. J. 1354
f. Kennemerland, Mieris, Groot Charterboek II 823.
39 Auf demselben Grundsatze beruht das Verbot der tvætala (Doppelsprache)
im schwedischen Rechte. Davon wird unterschieden die offtala (Zuvielsprache),
deren nachteilige Wirkung darin beruht, daſs wer mehr gesagt oder versprochen,
als er wollte, beim Worte genommen wird. Der königliche Beamte ist als Klag-
vertreter seines Herrn dem Verbote der tvætala und den Folgen der offtala nicht
unterworfen. v. Amira in den Götting. gel. Anzeigen 1885, S. 166 ff.
40 Form. Andeg. 50a: interrogatum est sepedicto illo, quid ad hec causa
darit in respunsis. Carta Senon. 20: interrogatum fuit ab ipsis viris .. Form. Se-
non. rec. 3. 5. 6. Pérard S. 33. 34. 35. H. 215. 220. 226. 234. 316 (v. J. 756).
41 Argum. Pérard. S. 150, H. 381: diiudicatum est, ut interrogarentur, si testes
ex parte S. Benigni reciperent.
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[348/0366] § 99. Klage und Antwort. interpretation behandelt. Für die Parteireden gilt der Rechtssatz, den nachmals die Sprichwörter: ein Mann, ein Wort, un homme d’honneur n’a que sa parole, zum Ausdruck bringen; d. h. die Partei ist an das gesprochene Wort gebunden. Hat sie eine fehlerhafte Erklärung ab- gegeben (ahd. missasprechan 36, altfranz. mesparler, mesdire, isländ. miskvida, ags. miskenninga 37, niederländ. wantale 38), so darf sie ihre Rede nicht verbessern 39. Der Gegner oder unter Umständen das Gericht konnten sie beim Worte nehmen. Der Formalismus, der die Parteiverhandlungen im Ding be- herrschte, erlitt noch in fränkischer Zeit eine Abschwächung, die sich derart vollzog, daſs der Formenzwang teilweise durch die Steigerung der richterlichen Autorität ersetzt wurde. Das Tangano des Klägers, welches noch der Lex Ribuaria bekannt ist, verschwindet. Dagegen taucht die Neuerung auf, daſs nicht mehr der Kläger den Beklagten zur Erwiderung auffordert, sondern das Gericht ihn fragt, was er auf die Klage zu antworten habe 40, und daſs mitunter durch förmliches Urteil auf richterlichen Antwortbefehl erkannt wird 41. Wenn wir von dem Falle der Einrede absehen, sind die Wechsel- reden der Parteien regelmäſsig mit Klage und Antwort erledigt. Doch kann die Antwort den Anlaſs zu einem Beweisangebot und damit zu weiteren Verhandlungen der Parteien ergeben. Rechtswidriges Vorenthalten der Antwort, mag sie nun der Kläger oder der Richter begehrt haben, wurde ebenso wie die Miſsachtung der Ladung zunächst mit einer Buſse geahndet, die nach fränkischem 36 Ahd. Glosse für labi (lingua) bei Graff, Sprachsch. VI 381. 37 Leges Henrici primi 2, 8; 22 von mis male und cennan erklären, bei Stubbs, Roger de Hoveden II 242 glossiert als inconstanter loqui in curia vel in- variare, change de parole u mesparler en plait. 38 Keure v. Waes v. J. 1241, § 8 (pro verbo erroneo, quod vulgo dicitur wan- talen), Warnkönig, Fl. RG UB II 2, Nr. 220, S. 179. Wilhelm V. v. J. 1354 f. Kennemerland, Mieris, Groot Charterboek II 823. 39 Auf demselben Grundsatze beruht das Verbot der tvætala (Doppelsprache) im schwedischen Rechte. Davon wird unterschieden die offtala (Zuvielsprache), deren nachteilige Wirkung darin beruht, daſs wer mehr gesagt oder versprochen, als er wollte, beim Worte genommen wird. Der königliche Beamte ist als Klag- vertreter seines Herrn dem Verbote der tvætala und den Folgen der offtala nicht unterworfen. v. Amira in den Götting. gel. Anzeigen 1885, S. 166 ff. 40 Form. Andeg. 50a: interrogatum est sepedicto illo, quid ad hec causa darit in respunsis. Carta Senon. 20: interrogatum fuit ab ipsis viris .. Form. Se- non. rec. 3. 5. 6. Pérard S. 33. 34. 35. H. 215. 220. 226. 234. 316 (v. J. 756). 41 Argum. Pérard. S. 150, H. 381: diiudicatum est, ut interrogarentur, si testes ex parte S. Benigni reciperent.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/366>, abgerufen am 22.11.2024.