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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 99. Klage und Antwort.
stellen, so muss der Herr des Knechtes 'in rem respondere'30. Seit die
dreissigjährige Ersitzung von Grundstücken anerkannt ist, erklärt der
Beklagte, er brauche nicht zu antworten, weil er das Streitobjekt er-
sessen habe31. Ebenso mag der Beklagte die Antwort wehren, weil
er, zum Tode verurteilt, die Gerichtsfähigkeit verloren habe32 oder
weil Kläger ein Unfreier33 oder weil Kläger zum Tode verurteilt
worden sei34.

Reden und Gegenreden der Parteien sind gemäss dem Forma-
lismus des Rechtsganges an rechtliche Formen gebunden. Die Er-
klärungen müssen bestimmte formelhafte Stichworte in sich aufnehmen;
sie müssen cum verborum contemplatione35 abgegeben werden. Alles
Vorbringen der Parteien wird nach dem Principe strenger Wort-

30 Lex Rib. 30, 2.
31 Formel zu Rothari 231: nolo nec debeo tibi respondere, quia inter me et
patrem meum et hunc, cui vendidi, per XXX annos possessam habemus. Formel
zu Grimoald 4: non tibi respondeo, quia possessi per XXX annos. In einer 1260
vor dem Pariser Parlamente verhandelten Streitsache (Olim I 502, Nr. 28) er-
widert der Beklagte: quod non tenebatur super hoc .. respondere, quia tam ipse
quam pater suus .. in pace tenuerunt premissa omnia per XXX annos. Die Ding-
talen von Delft (S. A. S. 27 ff.) enthalten folgenden Rechtsfall: Jan Diricxz. klagt
gegen Jan Lam um ein Haus (malo ordine invasio). Der Vorsprecher des Be-
klagten antwortet für diesen: te voeren seyde hy, dat hy des onsculdich was ...
ende seyt, dat hy dien knaep te recht gheen antwoerde gheven en sal; ic
sel u seggen reden waerom ende waerby: alsoe hy dat huys tegens Peter Jansz.
mit enen godespenning ghecoft, bewijncoept ende wel betaelt heeft ende jaer en
dach een rustelick besit gehadt heeft .. Mit Berufung auf den Rechtssatz der
Handfeste über die Wirkung der rechten Gewere .. seyt Jan Lam, dat hy hem
ook niet sculdich en is te antwoerden.
32 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 2, I 148: si alicui post iudicium scabiniorum
fuerit vita concessa et ipse in postmodum aliqua mala perpetraverit et iustitiam
reddere noluerit dicendo, quod mortuus sit et ideo iustitiam reddere non debeat,
statutum est, ut superiorem iuditium sustineat, quod antea sustinere debuit. Die
Einrede wird nicht als unzutreffend zurückgewiesen, sondern es wird die Konse-
quenz der Einrede gezogen und das Todesurteil vollstreckt, auf welches der Be-
klagte selbst sich berufen hatte. Das Gericht hält sich an das Wort des Beklagten
und ignoriert die Begnadigung, wie sie der Beklagte ignoriert hatte.
33 Cap. Hlud. II. Papiensia in legem data v. J. 855, c. 1, II 89: si quis ali-
quem in aliquo mallaverit negotio et ille, qui mallatus fuerit, dicat ideo ei respon-
dere nolle, quia servus alterius sit ..
34 Formel zu Otto I 3: non tibi respondeo, quia tu fuisti iudicatus ad mor-
tem. Ist der zum Tode Verurteilte begnadigt worden, so soll er nach Cap. Aquisgr.
cit. 'secundum aequitatis ordinem' befugt sein zu klagen wegen Rechtsverletzungen,
die nach dem Todesurteil an ihm begangen worden sind. Über sonstige foridekli-
natorische Einreden des langob. Rechts siehe Kannengiesser a. O.
35 Cum verborum contemplatione coniurare in Lex Rib. 67, 5.

§ 99. Klage und Antwort.
stellen, so muſs der Herr des Knechtes ‘in rem respondere’30. Seit die
dreiſsigjährige Ersitzung von Grundstücken anerkannt ist, erklärt der
Beklagte, er brauche nicht zu antworten, weil er das Streitobjekt er-
sessen habe31. Ebenso mag der Beklagte die Antwort wehren, weil
er, zum Tode verurteilt, die Gerichtsfähigkeit verloren habe32 oder
weil Kläger ein Unfreier33 oder weil Kläger zum Tode verurteilt
worden sei34.

Reden und Gegenreden der Parteien sind gemäſs dem Forma-
lismus des Rechtsganges an rechtliche Formen gebunden. Die Er-
klärungen müssen bestimmte formelhafte Stichworte in sich aufnehmen;
sie müssen cum verborum contemplatione35 abgegeben werden. Alles
Vorbringen der Parteien wird nach dem Principe strenger Wort-

30 Lex Rib. 30, 2.
31 Formel zu Rothari 231: nolo nec debeo tibi respondere, quia inter me et
patrem meum et hunc, cui vendidi, per XXX annos possessam habemus. Formel
zu Grimoald 4: non tibi respondeo, quia possessi per XXX annos. In einer 1260
vor dem Pariser Parlamente verhandelten Streitsache (Olim I 502, Nr. 28) er-
widert der Beklagte: quod non tenebatur super hoc .. respondere, quia tam ipse
quam pater suus .. in pace tenuerunt premissa omnia per XXX annos. Die Ding-
talen von Delft (S. A. S. 27 ff.) enthalten folgenden Rechtsfall: Jan Diricxz. klagt
gegen Jan Lam um ein Haus (malo ordine invasio). Der Vorsprecher des Be-
klagten antwortet für diesen: te voeren seyde hy, dat hy des onsculdich was …
ende seyt, dat hy dien knaep te recht gheen antwoerde gheven en sal; ic
sel u seggen reden waerom ende waerby: alsoe hy dat huys tegens Peter Jansz.
mit enen godespenning ghecoft, bewijncoept ende wel betaelt heeft ende jaer en
dach een rustelick besit gehadt heeft .. Mit Berufung auf den Rechtssatz der
Handfeste über die Wirkung der rechten Gewere .. seyt Jan Lam, dat hy hem
ook niet sculdich en is te antwoerden.
32 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 2, I 148: si alicui post iudicium scabiniorum
fuerit vita concessa et ipse in postmodum aliqua mala perpetraverit et iustitiam
reddere noluerit dicendo, quod mortuus sit et ideo iustitiam reddere non debeat,
statutum est, ut superiorem iuditium sustineat, quod antea sustinere debuit. Die
Einrede wird nicht als unzutreffend zurückgewiesen, sondern es wird die Konse-
quenz der Einrede gezogen und das Todesurteil vollstreckt, auf welches der Be-
klagte selbst sich berufen hatte. Das Gericht hält sich an das Wort des Beklagten
und ignoriert die Begnadigung, wie sie der Beklagte ignoriert hatte.
33 Cap. Hlud. II. Papiensia in legem data v. J. 855, c. 1, II 89: si quis ali-
quem in aliquo mallaverit negotio et ille, qui mallatus fuerit, dicat ideo ei respon-
dere nolle, quia servus alterius sit ..
34 Formel zu Otto I 3: non tibi respondeo, quia tu fuisti iudicatus ad mor-
tem. Ist der zum Tode Verurteilte begnadigt worden, so soll er nach Cap. Aquisgr.
cit. ‘secundum aequitatis ordinem’ befugt sein zu klagen wegen Rechtsverletzungen,
die nach dem Todesurteil an ihm begangen worden sind. Über sonstige foridekli-
natorische Einreden des langob. Rechts siehe Kannengieſser a. O.
35 Cum verborum contemplatione coniurare in Lex Rib. 67, 5.
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[347/0365] § 99. Klage und Antwort. stellen, so muſs der Herr des Knechtes ‘in rem respondere’ 30. Seit die dreiſsigjährige Ersitzung von Grundstücken anerkannt ist, erklärt der Beklagte, er brauche nicht zu antworten, weil er das Streitobjekt er- sessen habe 31. Ebenso mag der Beklagte die Antwort wehren, weil er, zum Tode verurteilt, die Gerichtsfähigkeit verloren habe 32 oder weil Kläger ein Unfreier 33 oder weil Kläger zum Tode verurteilt worden sei 34. Reden und Gegenreden der Parteien sind gemäſs dem Forma- lismus des Rechtsganges an rechtliche Formen gebunden. Die Er- klärungen müssen bestimmte formelhafte Stichworte in sich aufnehmen; sie müssen cum verborum contemplatione 35 abgegeben werden. Alles Vorbringen der Parteien wird nach dem Principe strenger Wort- 30 Lex Rib. 30, 2. 31 Formel zu Rothari 231: nolo nec debeo tibi respondere, quia inter me et patrem meum et hunc, cui vendidi, per XXX annos possessam habemus. Formel zu Grimoald 4: non tibi respondeo, quia possessi per XXX annos. In einer 1260 vor dem Pariser Parlamente verhandelten Streitsache (Olim I 502, Nr. 28) er- widert der Beklagte: quod non tenebatur super hoc .. respondere, quia tam ipse quam pater suus .. in pace tenuerunt premissa omnia per XXX annos. Die Ding- talen von Delft (S. A. S. 27 ff.) enthalten folgenden Rechtsfall: Jan Diricxz. klagt gegen Jan Lam um ein Haus (malo ordine invasio). Der Vorsprecher des Be- klagten antwortet für diesen: te voeren seyde hy, dat hy des onsculdich was … ende seyt, dat hy dien knaep te recht gheen antwoerde gheven en sal; ic sel u seggen reden waerom ende waerby: alsoe hy dat huys tegens Peter Jansz. mit enen godespenning ghecoft, bewijncoept ende wel betaelt heeft ende jaer en dach een rustelick besit gehadt heeft .. Mit Berufung auf den Rechtssatz der Handfeste über die Wirkung der rechten Gewere .. seyt Jan Lam, dat hy hem ook niet sculdich en is te antwoerden. 32 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 2, I 148: si alicui post iudicium scabiniorum fuerit vita concessa et ipse in postmodum aliqua mala perpetraverit et iustitiam reddere noluerit dicendo, quod mortuus sit et ideo iustitiam reddere non debeat, statutum est, ut superiorem iuditium sustineat, quod antea sustinere debuit. Die Einrede wird nicht als unzutreffend zurückgewiesen, sondern es wird die Konse- quenz der Einrede gezogen und das Todesurteil vollstreckt, auf welches der Be- klagte selbst sich berufen hatte. Das Gericht hält sich an das Wort des Beklagten und ignoriert die Begnadigung, wie sie der Beklagte ignoriert hatte. 33 Cap. Hlud. II. Papiensia in legem data v. J. 855, c. 1, II 89: si quis ali- quem in aliquo mallaverit negotio et ille, qui mallatus fuerit, dicat ideo ei respon- dere nolle, quia servus alterius sit .. 34 Formel zu Otto I 3: non tibi respondeo, quia tu fuisti iudicatus ad mor- tem. Ist der zum Tode Verurteilte begnadigt worden, so soll er nach Cap. Aquisgr. cit. ‘secundum aequitatis ordinem’ befugt sein zu klagen wegen Rechtsverletzungen, die nach dem Todesurteil an ihm begangen worden sind. Über sonstige foridekli- natorische Einreden des langob. Rechts siehe Kannengieſser a. O. 35 Cum verborum contemplatione coniurare in Lex Rib. 67, 5.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/365>, abgerufen am 22.11.2024.