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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 61. Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt.
später nur noch als rex, womit sich auch seine Nachfolger begnügen,
soweit sie nicht den Kaisertitel führen.

Wie man sieht, erscheinen nur Volks-, nicht Ländernamen im
Königstitel. Eine nähere Bezeichnung des Königtums durch das
beherrschte Landgebiet ist dem amtlichen Sprachgebrauche der fränki-
schen Zeit fremd.

Wahrzeichen der königlichen Gewalt war in der Zeit der Mero-
winger der königliche Speer. Mittelst des Speeres übertrug König
Guntchram sein Reich seinem Neffen Childebert 8. Den germanischen
Charakter dieser Symbolik bezeugt die langobardische Rechtssitte, dem
neuen König bei der Erhebung den Speer zu überreichen 9. Sinnbild
des Königtums ist ferner der königliche Hochsitz, cathedra, solium
regni 10. Auf seinen Hochsitz setzt Guntchram seinen Neffen Childe-
bert, als er ihm sein Reich von Todes wegen vergabt 11. Wallendes
Haupthaar bildete ein Kennzeichen nicht nur des Königs, sondern des
ganzen königlichen Geschlechtes. Als reges criniti führt Gregor von
Tours die ältesten Merowinger in die Geschichte ein. Comatus et
pulcher et inclytus heisst Chlodovech in einem der Texte des älteren
Prologs zur Lex Salica. Soll ein Merowinger unfähig gemacht werden
zur Herrschaft, so wird ihm das Haupthaar geschoren. Das war auch
das Schicksal des letzten Merowingers, Childerichs III., als Pippin die
Dynastie entsetzte. Aus dem Heidentum stammte der altertümliche
Brauch, dass der merowingische König bei feierlichen Gelegenheiten

8 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 33: Post haec rex Gunthramnus data in manu
regis Childeberti hasta ait: hoc est indicium, quod tibi omne regnum meum tradedi.
Vgl. III 24, wo Childebert I. dem Theudebert, den er adoptieren will, de ornamentis,
quod regem habere decet, terna paria condonavit.
9 Paulus, Hist. Lang. 6, 55. Schröder, Z.2 f. RG VII 58. Sie hängt
mit der stärkeren Geltendmachung des Wahlprincips zusammen und darf nicht auf
die regelmässige, durch Erbrecht bestimmte Thronfolge der mündigen Merowinger
ausgedehnt werden. Die symbolische Bedeutung des königlichen Speers kenn-
zeichnet die hübsche Sage, welche Paulus, Hist. Lang. 1, 15, erzählt und auf
welche mich vor Jahren K. Lehmann aufmerksam gemacht hat. Als Lamisso
mit seinen Brüdern von der Mutter ins Wasser geworfen worden war, ergreift er
die hasta regia des Königs Agelmund. Rex ... eum magnum futurum pronuntiat.
Agelmund rettet ihn, lässt ihn erziehen, und Lamisso wird nachmals König. Das
Erfassen des Speeres war das Omen der Thronbesteigung.
10 Im Beowulf wird bregostol bildlich für Herrschaft gebraucht. In v. 2370 f.:
thaer him Hygd gebead hord and reice, beagas and bregostol, entsprechen sich einer-
seits Hort und Ringe, andererseits Reich und Herrscherstuhl. Über den Thron der
Merowinger siehe W. Sickel, Gött. gel. Anzeigen 1889 S. 963 ff.
11 Greg. Tur. Hist. Franc. V 17: et inponens eum super cathedram suam,
cunctum ei regnum tradedit.

§ 61. Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt.
später nur noch als rex, womit sich auch seine Nachfolger begnügen,
soweit sie nicht den Kaisertitel führen.

Wie man sieht, erscheinen nur Volks-, nicht Ländernamen im
Königstitel. Eine nähere Bezeichnung des Königtums durch das
beherrschte Landgebiet ist dem amtlichen Sprachgebrauche der fränki-
schen Zeit fremd.

Wahrzeichen der königlichen Gewalt war in der Zeit der Mero-
winger der königliche Speer. Mittelst des Speeres übertrug König
Guntchram sein Reich seinem Neffen Childebert 8. Den germanischen
Charakter dieser Symbolik bezeugt die langobardische Rechtssitte, dem
neuen König bei der Erhebung den Speer zu überreichen 9. Sinnbild
des Königtums ist ferner der königliche Hochsitz, cathedra, solium
regni 10. Auf seinen Hochsitz setzt Guntchram seinen Neffen Childe-
bert, als er ihm sein Reich von Todes wegen vergabt 11. Wallendes
Haupthaar bildete ein Kennzeichen nicht nur des Königs, sondern des
ganzen königlichen Geschlechtes. Als reges criniti führt Gregor von
Tours die ältesten Merowinger in die Geschichte ein. Comatus et
pulcher et inclytus heiſst Chlodovech in einem der Texte des älteren
Prologs zur Lex Salica. Soll ein Merowinger unfähig gemacht werden
zur Herrschaft, so wird ihm das Haupthaar geschoren. Das war auch
das Schicksal des letzten Merowingers, Childerichs III., als Pippin die
Dynastie entsetzte. Aus dem Heidentum stammte der altertümliche
Brauch, daſs der merowingische König bei feierlichen Gelegenheiten

8 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 33: Post haec rex Gunthramnus data in manu
regis Childeberti hasta ait: hoc est indicium, quod tibi omne regnum meum tradedi.
Vgl. III 24, wo Childebert I. dem Theudebert, den er adoptieren will, de ornamentis,
quod regem habere decet, terna paria condonavit.
9 Paulus, Hist. Lang. 6, 55. Schröder, Z.2 f. RG VII 58. Sie hängt
mit der stärkeren Geltendmachung des Wahlprincips zusammen und darf nicht auf
die regelmäſsige, durch Erbrecht bestimmte Thronfolge der mündigen Merowinger
ausgedehnt werden. Die symbolische Bedeutung des königlichen Speers kenn-
zeichnet die hübsche Sage, welche Paulus, Hist. Lang. 1, 15, erzählt und auf
welche mich vor Jahren K. Lehmann aufmerksam gemacht hat. Als Lamisso
mit seinen Brüdern von der Mutter ins Wasser geworfen worden war, ergreift er
die hasta regia des Königs Agelmund. Rex … eum magnum futurum pronuntiat.
Agelmund rettet ihn, läſst ihn erziehen, und Lamisso wird nachmals König. Das
Erfassen des Speeres war das Omen der Thronbesteigung.
10 Im Beowulf wird bregostól bildlich für Herrschaft gebraucht. In v. 2370 f.:
þær him Hygd gebeád hord and rîce, beágas and bregostôl, entsprechen sich einer-
seits Hort und Ringe, andererseits Reich und Herrscherstuhl. Über den Thron der
Merowinger siehe W. Sickel, Gött. gel. Anzeigen 1889 S. 963 ff.
11 Greg. Tur. Hist. Franc. V 17: et inponens eum super cathedram suam,
cunctum ei regnum tradedit.
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[16/0034] § 61. Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt. später nur noch als rex, womit sich auch seine Nachfolger begnügen, soweit sie nicht den Kaisertitel führen. Wie man sieht, erscheinen nur Volks-, nicht Ländernamen im Königstitel. Eine nähere Bezeichnung des Königtums durch das beherrschte Landgebiet ist dem amtlichen Sprachgebrauche der fränki- schen Zeit fremd. Wahrzeichen der königlichen Gewalt war in der Zeit der Mero- winger der königliche Speer. Mittelst des Speeres übertrug König Guntchram sein Reich seinem Neffen Childebert 8. Den germanischen Charakter dieser Symbolik bezeugt die langobardische Rechtssitte, dem neuen König bei der Erhebung den Speer zu überreichen 9. Sinnbild des Königtums ist ferner der königliche Hochsitz, cathedra, solium regni 10. Auf seinen Hochsitz setzt Guntchram seinen Neffen Childe- bert, als er ihm sein Reich von Todes wegen vergabt 11. Wallendes Haupthaar bildete ein Kennzeichen nicht nur des Königs, sondern des ganzen königlichen Geschlechtes. Als reges criniti führt Gregor von Tours die ältesten Merowinger in die Geschichte ein. Comatus et pulcher et inclytus heiſst Chlodovech in einem der Texte des älteren Prologs zur Lex Salica. Soll ein Merowinger unfähig gemacht werden zur Herrschaft, so wird ihm das Haupthaar geschoren. Das war auch das Schicksal des letzten Merowingers, Childerichs III., als Pippin die Dynastie entsetzte. Aus dem Heidentum stammte der altertümliche Brauch, daſs der merowingische König bei feierlichen Gelegenheiten 8 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 33: Post haec rex Gunthramnus data in manu regis Childeberti hasta ait: hoc est indicium, quod tibi omne regnum meum tradedi. Vgl. III 24, wo Childebert I. dem Theudebert, den er adoptieren will, de ornamentis, quod regem habere decet, terna paria condonavit. 9 Paulus, Hist. Lang. 6, 55. Schröder, Z.2 f. RG VII 58. Sie hängt mit der stärkeren Geltendmachung des Wahlprincips zusammen und darf nicht auf die regelmäſsige, durch Erbrecht bestimmte Thronfolge der mündigen Merowinger ausgedehnt werden. Die symbolische Bedeutung des königlichen Speers kenn- zeichnet die hübsche Sage, welche Paulus, Hist. Lang. 1, 15, erzählt und auf welche mich vor Jahren K. Lehmann aufmerksam gemacht hat. Als Lamisso mit seinen Brüdern von der Mutter ins Wasser geworfen worden war, ergreift er die hasta regia des Königs Agelmund. Rex … eum magnum futurum pronuntiat. Agelmund rettet ihn, läſst ihn erziehen, und Lamisso wird nachmals König. Das Erfassen des Speeres war das Omen der Thronbesteigung. 10 Im Beowulf wird bregostól bildlich für Herrschaft gebraucht. In v. 2370 f.: þær him Hygd gebeád hord and rîce, beágas and bregostôl, entsprechen sich einer- seits Hort und Ringe, andererseits Reich und Herrscherstuhl. Über den Thron der Merowinger siehe W. Sickel, Gött. gel. Anzeigen 1889 S. 963 ff. 11 Greg. Tur. Hist. Franc. V 17: et inponens eum super cathedram suam, cunctum ei regnum tradedit.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/34>, abgerufen am 19.04.2024.