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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 91. Das Benefizialwesen.
Benefizium, ist die Aprisio an die Bedingung der Treue geknüpft73;
wie das Benefizium, kann sie nicht veräussert, wohl aber zu Bene-
fizium weiter verliehen und an Hintersassen ausgethan werden74. Der
Thronfall griff bei der Aprisio nicht Platz; doch pflegten die Inhaber
aus Anlass des Thronwechsels die Erneuerung ihrer Privilegien nach-
zusuchen75. Nicht selten wurde Aprisionsgut durch königliches Privi-
legium in freies Eigentum des Beliehenen verwandelt, der dadurch
das Recht freier Veräusserung und unbeschränkter Vererbung er-
langte76.

Findet sich so im äussersten Südwesten des Reiches ein Besitz-
recht, das in merowingischer Zeit sicherlich als proprietas des Be-
sitzers bezeichnet worden wäre und sich von der alten Landschen-
kung nur durch die theoretische Festhaltung des königlichen Eigentums
abhebt, so begegnen uns seit der Mitte des neunten Jahrhunderts in
den ostfränkischen Reichsteilen, namentlich in Baiern, Vergabungen,
in welchen die der merowingischen Landschenkung zu Grunde liegende
Rechtsauffassung fortlebt. Es handelt sich dabei um Schenkungen,
durch die der König dem Beschenkten das lebenslängliche Eigentum
an einem Grundstücke überträgt77. Das Recht des Beschenkten heisst
proprietas. Es ist unvererblich und unveräusserlich. Für den Todes-
fall des Beschenkten wird der Heimfall des Gutes an den König aus-
drücklich vorbehalten. Gestattet der König die Veräusserung des
Gutes, so erfolgt die Übereignung durch die Hand des Besitzers.
Solche lebenslänglichen proprietates werden mitunter auch von Kirchen,

res teneant, dann aber dasselbe für den Fall, si ex ipsis aliquis absque filiis et
nepotibus mortuus fuerit, auf den proximior parens ausgedehnt wird. Vgl. die fol-
gende Anm.
73 Cap. I 169: quoad usque illi fideles nobis aut filiis nostris fuerunt ..
Vaissete II, Nr. 34: dum ille et filii sui et posteritas illorum ad nos et filios
nostros aut ad posteritate illorum fideles extiterint.
74 Vaissete II, Nr. 85: beneficiavit illis ipsum villare .. et ipsi homines tunc
sui commenditi erant et illum habebant patronum. Cap. I 262, c. 3. Karl II.
gestattete i. J. 844 den auf Aprisionsgut sesshaften Spaniern und ihren Nach-
kommen, solches unter einander zu verkaufen, zu vertauschen und zu vergaben
(Vaissete II, Nr. 110. 119), also Veräusserungen innerhalb ihres Kreises vorzuneh-
men, bei welchen der Charakter des Aprisionsgutes gewahrt blieb.
75 Auf Thronfall kann aus den Bestätigungen Ludwigs I. und Karls II. nicht
geschlossen werden, da schon Karl d. Gr. die Treue gegen seine Söhne und deren
Nachkommen ausbedingt.
76 Vaissete II, Nr. 84. 86. 132. 135. 144. Die Klausel der Treupflicht fehlt
in diesen Urkunden.
77 Berl. SB 1885, S. 1198 ff. Roth, Feudal. S. 49. 176 ff. 199.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 17

§ 91. Das Benefizialwesen.
Benefizium, ist die Aprisio an die Bedingung der Treue geknüpft73;
wie das Benefizium, kann sie nicht veräuſsert, wohl aber zu Bene-
fizium weiter verliehen und an Hintersassen ausgethan werden74. Der
Thronfall griff bei der Aprisio nicht Platz; doch pflegten die Inhaber
aus Anlaſs des Thronwechsels die Erneuerung ihrer Privilegien nach-
zusuchen75. Nicht selten wurde Aprisionsgut durch königliches Privi-
legium in freies Eigentum des Beliehenen verwandelt, der dadurch
das Recht freier Veräuſserung und unbeschränkter Vererbung er-
langte76.

Findet sich so im äuſsersten Südwesten des Reiches ein Besitz-
recht, das in merowingischer Zeit sicherlich als proprietas des Be-
sitzers bezeichnet worden wäre und sich von der alten Landschen-
kung nur durch die theoretische Festhaltung des königlichen Eigentums
abhebt, so begegnen uns seit der Mitte des neunten Jahrhunderts in
den ostfränkischen Reichsteilen, namentlich in Baiern, Vergabungen,
in welchen die der merowingischen Landschenkung zu Grunde liegende
Rechtsauffassung fortlebt. Es handelt sich dabei um Schenkungen,
durch die der König dem Beschenkten das lebenslängliche Eigentum
an einem Grundstücke überträgt77. Das Recht des Beschenkten heiſst
proprietas. Es ist unvererblich und unveräuſserlich. Für den Todes-
fall des Beschenkten wird der Heimfall des Gutes an den König aus-
drücklich vorbehalten. Gestattet der König die Veräuſserung des
Gutes, so erfolgt die Übereignung durch die Hand des Besitzers.
Solche lebenslänglichen proprietates werden mitunter auch von Kirchen,

res teneant, dann aber dasselbe für den Fall, si ex ipsis aliquis absque filiis et
nepotibus mortuus fuerit, auf den proximior parens ausgedehnt wird. Vgl. die fol-
gende Anm.
73 Cap. I 169: quoad usque illi fideles nobis aut filiis nostris fuerunt ..
Vaissete II, Nr. 34: dum ille et filii sui et posteritas illorum ad nos et filios
nostros aut ad posteritate illorum fideles extiterint.
74 Vaissete II, Nr. 85: beneficiavit illis ipsum villare .. et ipsi homines tunc
sui commenditi erant et illum habebant patronum. Cap. I 262, c. 3. Karl II.
gestattete i. J. 844 den auf Aprisionsgut seſshaften Spaniern und ihren Nach-
kommen, solches unter einander zu verkaufen, zu vertauschen und zu vergaben
(Vaissete II, Nr. 110. 119), also Veräuſserungen innerhalb ihres Kreises vorzuneh-
men, bei welchen der Charakter des Aprisionsgutes gewahrt blieb.
75 Auf Thronfall kann aus den Bestätigungen Ludwigs I. und Karls II. nicht
geschlossen werden, da schon Karl d. Gr. die Treue gegen seine Söhne und deren
Nachkommen ausbedingt.
76 Vaissete II, Nr. 84. 86. 132. 135. 144. Die Klausel der Treupflicht fehlt
in diesen Urkunden.
77 Berl. SB 1885, S. 1198 ff. Roth, Feudal. S. 49. 176 ff. 199.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 17
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[257/0275] § 91. Das Benefizialwesen. Benefizium, ist die Aprisio an die Bedingung der Treue geknüpft 73; wie das Benefizium, kann sie nicht veräuſsert, wohl aber zu Bene- fizium weiter verliehen und an Hintersassen ausgethan werden 74. Der Thronfall griff bei der Aprisio nicht Platz; doch pflegten die Inhaber aus Anlaſs des Thronwechsels die Erneuerung ihrer Privilegien nach- zusuchen 75. Nicht selten wurde Aprisionsgut durch königliches Privi- legium in freies Eigentum des Beliehenen verwandelt, der dadurch das Recht freier Veräuſserung und unbeschränkter Vererbung er- langte 76. Findet sich so im äuſsersten Südwesten des Reiches ein Besitz- recht, das in merowingischer Zeit sicherlich als proprietas des Be- sitzers bezeichnet worden wäre und sich von der alten Landschen- kung nur durch die theoretische Festhaltung des königlichen Eigentums abhebt, so begegnen uns seit der Mitte des neunten Jahrhunderts in den ostfränkischen Reichsteilen, namentlich in Baiern, Vergabungen, in welchen die der merowingischen Landschenkung zu Grunde liegende Rechtsauffassung fortlebt. Es handelt sich dabei um Schenkungen, durch die der König dem Beschenkten das lebenslängliche Eigentum an einem Grundstücke überträgt 77. Das Recht des Beschenkten heiſst proprietas. Es ist unvererblich und unveräuſserlich. Für den Todes- fall des Beschenkten wird der Heimfall des Gutes an den König aus- drücklich vorbehalten. Gestattet der König die Veräuſserung des Gutes, so erfolgt die Übereignung durch die Hand des Besitzers. Solche lebenslänglichen proprietates werden mitunter auch von Kirchen, 72 73 Cap. I 169: quoad usque illi fideles nobis aut filiis nostris fuerunt .. Vaissete II, Nr. 34: dum ille et filii sui et posteritas illorum ad nos et filios nostros aut ad posteritate illorum fideles extiterint. 74 Vaissete II, Nr. 85: beneficiavit illis ipsum villare .. et ipsi homines tunc sui commenditi erant et illum habebant patronum. Cap. I 262, c. 3. Karl II. gestattete i. J. 844 den auf Aprisionsgut seſshaften Spaniern und ihren Nach- kommen, solches unter einander zu verkaufen, zu vertauschen und zu vergaben (Vaissete II, Nr. 110. 119), also Veräuſserungen innerhalb ihres Kreises vorzuneh- men, bei welchen der Charakter des Aprisionsgutes gewahrt blieb. 75 Auf Thronfall kann aus den Bestätigungen Ludwigs I. und Karls II. nicht geschlossen werden, da schon Karl d. Gr. die Treue gegen seine Söhne und deren Nachkommen ausbedingt. 76 Vaissete II, Nr. 84. 86. 132. 135. 144. Die Klausel der Treupflicht fehlt in diesen Urkunden. 77 Berl. SB 1885, S. 1198 ff. Roth, Feudal. S. 49. 176 ff. 199. 72 res teneant, dann aber dasselbe für den Fall, si ex ipsis aliquis absque filiis et nepotibus mortuus fuerit, auf den proximior parens ausgedehnt wird. Vgl. die fol- gende Anm. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 17

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/275>, abgerufen am 27.11.2024.