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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 91. Das Benefizialwesen.
die Staatsnot am grössten und Eile am nötigsten war, griff ziemlich
rücksichtslos durch und nahm das Kirchengut, wo es zu finden war.
Er zog Kirchengüter ein, um sie selbst zu vergaben, besetzte Bis-
tümer und Abteien mit Laien oder willfährigen Klerikern, die dann
auf seine Weisung hin Güter der Kirche vergabten; er duldete es,
dass seine Anhänger und Günstlinge Kirchengüter an sich rissen.

Das Verfahren Karl Martells brachte nicht nur einen grossen
Teil des Kirchengutes in weltliche Hände, sondern drohte auch, durch
sein System der Besetzung der Kirchenämter die Kirchenzucht voll-
ständig aufzulösen. Aus der Kirche heraus erhob sich daher eine
Reaktion, zu deren Trägern Bonifatius gehörte. Als Pippin und Karl-
mann nach dem Tode ihres Vaters die Reichsregierung übernahmen,
kam es zu einer friedlichen Auseinandersetzung zwischen Staatsgewalt
und Klerus. Im Gegensatz zu der Methode Karl Martells wurde die
Einsetzung rechtmässiger, d. h. dem kanonischen Recht entsprechen-
der Bischöfe gewährleistet und allmählich durchgeführt. Hinsichtlich
der Kirchengüter war der Weg, den die beiden Brüder einschlugen,
nicht genau derselbe. Karlmann anerkannte 742 das Eigentum der
Kirchen an den ihnen entfremdeten Gütern 18. Im folgenden Jahre
oder bald darnach hielt er zu Estinnes im Hennegau eine Reichs-
versammlung ab, in der mit Rücksicht auf die bevorstehenden Kriegs-
läufte unter Zustimmung der Kirche beschlossen wurde, dass ein
Teil des Kirchenvermögens als Precarium in Laienhänden verbleibe.
Nur sofern es einer Kirche an dem notwendigen Unterhalte fehle,
solle deren Besitztum restituiert werden 19. In dem Reichsteile Pip-
pins, wo für die Staatsgewalt weit mehr auf dem Spiele stand als in
Austrasien, wurde auf einer im Jahre 744 zu Soissons abgehaltenen

habe. Solche ausserordentliche Abgaben forderten schon die römischen Imperatoren
in Fällen der Staatsnot von den Inhabern verschenkter Fiskalgüter. Cod. Theod.
XI 20, 4.
18 Cap. Karlom. v. J. 742, c. 1, I 25: et fraudatas pecunias ecclesiarum eccle-
siis restituimus et reddidimus. Dabei ist, wie die nachfolgenden Ereignisse er-
geben, nicht an eine Restitution des Besitzes zu denken. In den fränkischen Ge-
richtsurkunden werden reddere und restituere für die symbolische Investitur ge-
braucht, die zwar das Recht des Gegners zur Anerkennung bringt, aber, weil vor
Gericht vorgenommen, eine thatsächliche Besitzübertragung noch nicht in sich
schliesst.
19 Cap. Liptinense c. 2, I 28: statuimus quoque cum consilio servorum Dei
et populi christiani propter imminentia bella et persecutiones ceterarum gentium,
quae in circuitu nostro sunt, ut sub precario et censu aliquam partem ecclesialis
pecuniae in adiutorium exercitus nostri cum indulgentia Dei aliquanto tem-
pore retineamus ea conditione, ut annis singulis de unaquaque casata solidus, id
est duodecim denarii ad ecclesiam vel ad monasterium reddatur ...

§ 91. Das Benefizialwesen.
die Staatsnot am gröſsten und Eile am nötigsten war, griff ziemlich
rücksichtslos durch und nahm das Kirchengut, wo es zu finden war.
Er zog Kirchengüter ein, um sie selbst zu vergaben, besetzte Bis-
tümer und Abteien mit Laien oder willfährigen Klerikern, die dann
auf seine Weisung hin Güter der Kirche vergabten; er duldete es,
daſs seine Anhänger und Günstlinge Kirchengüter an sich rissen.

Das Verfahren Karl Martells brachte nicht nur einen groſsen
Teil des Kirchengutes in weltliche Hände, sondern drohte auch, durch
sein System der Besetzung der Kirchenämter die Kirchenzucht voll-
ständig aufzulösen. Aus der Kirche heraus erhob sich daher eine
Reaktion, zu deren Trägern Bonifatius gehörte. Als Pippin und Karl-
mann nach dem Tode ihres Vaters die Reichsregierung übernahmen,
kam es zu einer friedlichen Auseinandersetzung zwischen Staatsgewalt
und Klerus. Im Gegensatz zu der Methode Karl Martells wurde die
Einsetzung rechtmäſsiger, d. h. dem kanonischen Recht entsprechen-
der Bischöfe gewährleistet und allmählich durchgeführt. Hinsichtlich
der Kirchengüter war der Weg, den die beiden Brüder einschlugen,
nicht genau derselbe. Karlmann anerkannte 742 das Eigentum der
Kirchen an den ihnen entfremdeten Gütern 18. Im folgenden Jahre
oder bald darnach hielt er zu Estinnes im Hennegau eine Reichs-
versammlung ab, in der mit Rücksicht auf die bevorstehenden Kriegs-
läufte unter Zustimmung der Kirche beschlossen wurde, daſs ein
Teil des Kirchenvermögens als Precarium in Laienhänden verbleibe.
Nur sofern es einer Kirche an dem notwendigen Unterhalte fehle,
solle deren Besitztum restituiert werden 19. In dem Reichsteile Pip-
pins, wo für die Staatsgewalt weit mehr auf dem Spiele stand als in
Austrasien, wurde auf einer im Jahre 744 zu Soissons abgehaltenen

habe. Solche auſserordentliche Abgaben forderten schon die römischen Imperatoren
in Fällen der Staatsnot von den Inhabern verschenkter Fiskalgüter. Cod. Theod.
XI 20, 4.
18 Cap. Karlom. v. J. 742, c. 1, I 25: et fraudatas pecunias ecclesiarum eccle-
siis restituimus et reddidimus. Dabei ist, wie die nachfolgenden Ereignisse er-
geben, nicht an eine Restitution des Besitzes zu denken. In den fränkischen Ge-
richtsurkunden werden reddere und restituere für die symbolische Investitur ge-
braucht, die zwar das Recht des Gegners zur Anerkennung bringt, aber, weil vor
Gericht vorgenommen, eine thatsächliche Besitzübertragung noch nicht in sich
schlieſst.
19 Cap. Liptinense c. 2, I 28: statuimus quoque cum consilio servorum Dei
et populi christiani propter imminentia bella et persecutiones ceterarum gentium,
quae in circuitu nostro sunt, ut sub precario et censu aliquam partem ecclesialis
pecuniae in adiutorium exercitus nostri cum indulgentia Dei aliquanto tem-
pore retineamus ea conditione, ut annis singulis de unaquaque casata solidus, id
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[247/0265] § 91. Das Benefizialwesen. die Staatsnot am gröſsten und Eile am nötigsten war, griff ziemlich rücksichtslos durch und nahm das Kirchengut, wo es zu finden war. Er zog Kirchengüter ein, um sie selbst zu vergaben, besetzte Bis- tümer und Abteien mit Laien oder willfährigen Klerikern, die dann auf seine Weisung hin Güter der Kirche vergabten; er duldete es, daſs seine Anhänger und Günstlinge Kirchengüter an sich rissen. Das Verfahren Karl Martells brachte nicht nur einen groſsen Teil des Kirchengutes in weltliche Hände, sondern drohte auch, durch sein System der Besetzung der Kirchenämter die Kirchenzucht voll- ständig aufzulösen. Aus der Kirche heraus erhob sich daher eine Reaktion, zu deren Trägern Bonifatius gehörte. Als Pippin und Karl- mann nach dem Tode ihres Vaters die Reichsregierung übernahmen, kam es zu einer friedlichen Auseinandersetzung zwischen Staatsgewalt und Klerus. Im Gegensatz zu der Methode Karl Martells wurde die Einsetzung rechtmäſsiger, d. h. dem kanonischen Recht entsprechen- der Bischöfe gewährleistet und allmählich durchgeführt. Hinsichtlich der Kirchengüter war der Weg, den die beiden Brüder einschlugen, nicht genau derselbe. Karlmann anerkannte 742 das Eigentum der Kirchen an den ihnen entfremdeten Gütern 18. Im folgenden Jahre oder bald darnach hielt er zu Estinnes im Hennegau eine Reichs- versammlung ab, in der mit Rücksicht auf die bevorstehenden Kriegs- läufte unter Zustimmung der Kirche beschlossen wurde, daſs ein Teil des Kirchenvermögens als Precarium in Laienhänden verbleibe. Nur sofern es einer Kirche an dem notwendigen Unterhalte fehle, solle deren Besitztum restituiert werden 19. In dem Reichsteile Pip- pins, wo für die Staatsgewalt weit mehr auf dem Spiele stand als in Austrasien, wurde auf einer im Jahre 744 zu Soissons abgehaltenen 17 18 Cap. Karlom. v. J. 742, c. 1, I 25: et fraudatas pecunias ecclesiarum eccle- siis restituimus et reddidimus. Dabei ist, wie die nachfolgenden Ereignisse er- geben, nicht an eine Restitution des Besitzes zu denken. In den fränkischen Ge- richtsurkunden werden reddere und restituere für die symbolische Investitur ge- braucht, die zwar das Recht des Gegners zur Anerkennung bringt, aber, weil vor Gericht vorgenommen, eine thatsächliche Besitzübertragung noch nicht in sich schlieſst. 19 Cap. Liptinense c. 2, I 28: statuimus quoque cum consilio servorum Dei et populi christiani propter imminentia bella et persecutiones ceterarum gentium, quae in circuitu nostro sunt, ut sub precario et censu aliquam partem ecclesialis pecuniae in adiutorium exercitus nostri cum indulgentia Dei aliquanto tem- pore retineamus ea conditione, ut annis singulis de unaquaque casata solidus, id est duodecim denarii ad ecclesiam vel ad monasterium reddatur … 17 habe. Solche auſserordentliche Abgaben forderten schon die römischen Imperatoren in Fällen der Staatsnot von den Inhabern verschenkter Fiskalgüter. Cod. Theod. XI 20, 4.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/265>, abgerufen am 22.11.2024.