Das Fortleben der Grundsteuer wird uns vielfach bezeugt. Ob freie Franken, die in Gallien Grundbesitz erwarben, dazu heran- gezogen wurden, ist Gegenstand einer Streitfrage. Sie darf nicht schlechtweg verneint werden. Soweit der Erwerbstitel in könig- licher Schenkung beruhte, blieb das Land regelmässig steuerfrei. Da- gegen hat in einzelnen Teilen Galliens, namentlich im Süden und Westen, die römische Grundsteuer den Charakter einer gemeinen Last des Grundbesitzes beibehalten. Wo und solange dies der Fall war, wurde ihr auch das von Franken erworbene Land unterworfen 7.
Das Steuersoll pflegte die fränkische Verwaltung nicht wie die römische nach Massgabe des wechselnden Bedürfnisses auszuschreiben, sondern das Quantum der aufzubringenden Steuer (tributum, census, inferenda) wurde ein unwandelbares. Von Chilperich wird erzählt, dass er von einer beabsichtigten Erneuerung der Steuerrollen Abstand nahm und sich schliesslich mit der unter Chlothar I. aufgebrachten Steuer begnügte 8. Den Einwohnern von Tours schwur Charibert, dass er ihnen keine neuen Lasten auferlegen wolle 9. Allgemein ver- sprach Chlothar II. die Beseitigung neuer Steuern, gegen welche das Volk reklamieren werde 10. Nach den Nachrichten, die uns über die Opposition gegen angeblich unbillige Steuerforderungen erhalten sind, machte die Bevölkerung Galliens im ganzen nicht ohne Erfolg den Standpunkt geltend, dass die Steuer nur in dem hergebrachten Be- trage, nur dort, wo sie nicht ausser Gebrauch gekommen, und nur von Personen und Grundstücken zu zahlen sei, die ihr von alters her unterworfen waren. Da es nicht gelang, den Widerstand der vom Klerus geführten Provinzialen gegen Änderungen des Steuerbetrages und der Steuerpflicht zu überwinden, verwandelte sich die Kopfsteuer in einen auf bestimmte Familien beschränkten erblichen Kopfzins, die Grundsteuer in eine Reallast, die in unveränderlicher Höhe von den belasteten Grundstücken erhoben wurde 11.
7Waitz, VG II 2, S. 275 ff.
8 Greg. Tur. Hist. Franc. V 34.
9 Greg. Tur. Hist. Franc. IX 30. Roth, Beneficialwesen S. 88.
10 Ed. Chloth. II. c. 8, Cap. I 22.
11 In den Gauen von Le Mans, Angers und Tours bestand eine eigenartige Abgabe (inferenda), welche in Kühen geleistet wurde. Pertz, Dipl. M. 84 v. J. 716. Sie ist vielleicht ein Überrest der römischen functiones annonariae. In karolingischer Zeit wird sie in Geld bezahlt (zwei Solidi statt der Kuh). Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 15, II 17. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 251; IV 115, Fustel de Coulanges, Monarchie S. 275, Anm. 1. Daneben findet sich in den Gauen von Le Mans und Tours unter dem Namen aurum pagense eine Geldabgabe,
§ 90. Das Finanzwesen.
Das Fortleben der Grundsteuer wird uns vielfach bezeugt. Ob freie Franken, die in Gallien Grundbesitz erwarben, dazu heran- gezogen wurden, ist Gegenstand einer Streitfrage. Sie darf nicht schlechtweg verneint werden. Soweit der Erwerbstitel in könig- licher Schenkung beruhte, blieb das Land regelmäſsig steuerfrei. Da- gegen hat in einzelnen Teilen Galliens, namentlich im Süden und Westen, die römische Grundsteuer den Charakter einer gemeinen Last des Grundbesitzes beibehalten. Wo und solange dies der Fall war, wurde ihr auch das von Franken erworbene Land unterworfen 7.
Das Steuersoll pflegte die fränkische Verwaltung nicht wie die römische nach Maſsgabe des wechselnden Bedürfnisses auszuschreiben, sondern das Quantum der aufzubringenden Steuer (tributum, census, inferenda) wurde ein unwandelbares. Von Chilperich wird erzählt, daſs er von einer beabsichtigten Erneuerung der Steuerrollen Abstand nahm und sich schlieſslich mit der unter Chlothar I. aufgebrachten Steuer begnügte 8. Den Einwohnern von Tours schwur Charibert, daſs er ihnen keine neuen Lasten auferlegen wolle 9. Allgemein ver- sprach Chlothar II. die Beseitigung neuer Steuern, gegen welche das Volk reklamieren werde 10. Nach den Nachrichten, die uns über die Opposition gegen angeblich unbillige Steuerforderungen erhalten sind, machte die Bevölkerung Galliens im ganzen nicht ohne Erfolg den Standpunkt geltend, daſs die Steuer nur in dem hergebrachten Be- trage, nur dort, wo sie nicht auſser Gebrauch gekommen, und nur von Personen und Grundstücken zu zahlen sei, die ihr von alters her unterworfen waren. Da es nicht gelang, den Widerstand der vom Klerus geführten Provinzialen gegen Änderungen des Steuerbetrages und der Steuerpflicht zu überwinden, verwandelte sich die Kopfsteuer in einen auf bestimmte Familien beschränkten erblichen Kopfzins, die Grundsteuer in eine Reallast, die in unveränderlicher Höhe von den belasteten Grundstücken erhoben wurde 11.
7Waitz, VG II 2, S. 275 ff.
8 Greg. Tur. Hist. Franc. V 34.
9 Greg. Tur. Hist. Franc. IX 30. Roth, Beneficialwesen S. 88.
10 Ed. Chloth. II. c. 8, Cap. I 22.
11 In den Gauen von Le Mans, Angers und Tours bestand eine eigenartige Abgabe (inferenda), welche in Kühen geleistet wurde. Pertz, Dipl. M. 84 v. J. 716. Sie ist vielleicht ein Überrest der römischen functiones annonariae. In karolingischer Zeit wird sie in Geld bezahlt (zwei Solidi statt der Kuh). Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 15, II 17. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 251; IV 115, Fustel de Coulanges, Monarchie S. 275, Anm. 1. Daneben findet sich in den Gauen von Le Mans und Tours unter dem Namen aurum pagense eine Geldabgabe,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0253"n="235"/><fwplace="top"type="header">§ 90. Das Finanzwesen.</fw><lb/><p>Das Fortleben der Grundsteuer wird uns vielfach bezeugt. Ob<lb/>
freie Franken, die in Gallien Grundbesitz erwarben, dazu heran-<lb/>
gezogen wurden, ist Gegenstand einer Streitfrage. Sie darf nicht<lb/>
schlechtweg verneint werden. Soweit der Erwerbstitel in könig-<lb/>
licher Schenkung beruhte, blieb das Land regelmäſsig steuerfrei. Da-<lb/>
gegen hat in einzelnen Teilen Galliens, namentlich im Süden und<lb/>
Westen, die römische Grundsteuer den Charakter einer gemeinen Last<lb/>
des Grundbesitzes beibehalten. Wo und solange dies der Fall war,<lb/>
wurde ihr auch das von Franken erworbene Land unterworfen <noteplace="foot"n="7"><hirendition="#g">Waitz</hi>, VG II 2, S. 275 ff.</note>.</p><lb/><p>Das Steuersoll pflegte die fränkische Verwaltung nicht wie die<lb/>
römische nach Maſsgabe des wechselnden Bedürfnisses auszuschreiben,<lb/>
sondern das Quantum der aufzubringenden Steuer (tributum, census,<lb/>
inferenda) wurde ein unwandelbares. Von Chilperich wird erzählt,<lb/>
daſs er von einer beabsichtigten Erneuerung der Steuerrollen Abstand<lb/>
nahm und sich schlieſslich mit der unter Chlothar I. aufgebrachten<lb/>
Steuer begnügte <noteplace="foot"n="8">Greg. Tur. Hist. Franc. V 34.</note>. Den Einwohnern von Tours schwur Charibert,<lb/>
daſs er ihnen keine neuen Lasten auferlegen wolle <noteplace="foot"n="9">Greg. Tur. Hist. Franc. IX 30. <hirendition="#g">Roth</hi>, Beneficialwesen S. 88.</note>. Allgemein ver-<lb/>
sprach Chlothar II. die Beseitigung neuer Steuern, gegen welche das<lb/>
Volk reklamieren werde <noteplace="foot"n="10">Ed. Chloth. II. c. 8, Cap. I 22.</note>. Nach den Nachrichten, die uns über die<lb/>
Opposition gegen angeblich unbillige Steuerforderungen erhalten sind,<lb/>
machte die Bevölkerung Galliens im ganzen nicht ohne Erfolg den<lb/>
Standpunkt geltend, daſs die Steuer nur in dem hergebrachten Be-<lb/>
trage, nur dort, wo sie nicht auſser Gebrauch gekommen, und nur<lb/>
von Personen und Grundstücken zu zahlen sei, die ihr von alters her<lb/>
unterworfen waren. Da es nicht gelang, den Widerstand der vom<lb/>
Klerus geführten Provinzialen gegen Änderungen des Steuerbetrages<lb/>
und der Steuerpflicht zu überwinden, verwandelte sich die Kopfsteuer<lb/>
in einen auf bestimmte Familien beschränkten erblichen Kopfzins, die<lb/>
Grundsteuer in eine Reallast, die in unveränderlicher Höhe von den<lb/>
belasteten Grundstücken erhoben wurde <notexml:id="seg2pn_56_1"next="#seg2pn_56_2"place="foot"n="11">In den Gauen von Le Mans, Angers und Tours bestand eine eigenartige<lb/>
Abgabe (inferenda), welche in Kühen geleistet wurde. Pertz, Dipl. M. 84 v. J.<lb/>
716. Sie ist vielleicht ein Überrest der römischen functiones annonariae. In<lb/>
karolingischer Zeit wird sie in Geld bezahlt (zwei Solidi statt der Kuh). Cap.<lb/>
miss. Worm. v. J. 829, c. 15, II 17. Vgl. <hirendition="#g">Waitz</hi>, VG II 2, S. 251; IV 115,<lb/><hirendition="#g">Fustel de Coulanges</hi>, Monarchie S. 275, Anm. 1. Daneben findet sich in den<lb/>
Gauen von Le Mans und Tours unter dem Namen aurum pagense eine Geldabgabe,</note>.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[235/0253]
§ 90. Das Finanzwesen.
Das Fortleben der Grundsteuer wird uns vielfach bezeugt. Ob
freie Franken, die in Gallien Grundbesitz erwarben, dazu heran-
gezogen wurden, ist Gegenstand einer Streitfrage. Sie darf nicht
schlechtweg verneint werden. Soweit der Erwerbstitel in könig-
licher Schenkung beruhte, blieb das Land regelmäſsig steuerfrei. Da-
gegen hat in einzelnen Teilen Galliens, namentlich im Süden und
Westen, die römische Grundsteuer den Charakter einer gemeinen Last
des Grundbesitzes beibehalten. Wo und solange dies der Fall war,
wurde ihr auch das von Franken erworbene Land unterworfen 7.
Das Steuersoll pflegte die fränkische Verwaltung nicht wie die
römische nach Maſsgabe des wechselnden Bedürfnisses auszuschreiben,
sondern das Quantum der aufzubringenden Steuer (tributum, census,
inferenda) wurde ein unwandelbares. Von Chilperich wird erzählt,
daſs er von einer beabsichtigten Erneuerung der Steuerrollen Abstand
nahm und sich schlieſslich mit der unter Chlothar I. aufgebrachten
Steuer begnügte 8. Den Einwohnern von Tours schwur Charibert,
daſs er ihnen keine neuen Lasten auferlegen wolle 9. Allgemein ver-
sprach Chlothar II. die Beseitigung neuer Steuern, gegen welche das
Volk reklamieren werde 10. Nach den Nachrichten, die uns über die
Opposition gegen angeblich unbillige Steuerforderungen erhalten sind,
machte die Bevölkerung Galliens im ganzen nicht ohne Erfolg den
Standpunkt geltend, daſs die Steuer nur in dem hergebrachten Be-
trage, nur dort, wo sie nicht auſser Gebrauch gekommen, und nur
von Personen und Grundstücken zu zahlen sei, die ihr von alters her
unterworfen waren. Da es nicht gelang, den Widerstand der vom
Klerus geführten Provinzialen gegen Änderungen des Steuerbetrages
und der Steuerpflicht zu überwinden, verwandelte sich die Kopfsteuer
in einen auf bestimmte Familien beschränkten erblichen Kopfzins, die
Grundsteuer in eine Reallast, die in unveränderlicher Höhe von den
belasteten Grundstücken erhoben wurde 11.
7 Waitz, VG II 2, S. 275 ff.
8 Greg. Tur. Hist. Franc. V 34.
9 Greg. Tur. Hist. Franc. IX 30. Roth, Beneficialwesen S. 88.
10 Ed. Chloth. II. c. 8, Cap. I 22.
11 In den Gauen von Le Mans, Angers und Tours bestand eine eigenartige
Abgabe (inferenda), welche in Kühen geleistet wurde. Pertz, Dipl. M. 84 v. J.
716. Sie ist vielleicht ein Überrest der römischen functiones annonariae. In
karolingischer Zeit wird sie in Geld bezahlt (zwei Solidi statt der Kuh). Cap.
miss. Worm. v. J. 829, c. 15, II 17. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 251; IV 115,
Fustel de Coulanges, Monarchie S. 275, Anm. 1. Daneben findet sich in den
Gauen von Le Mans und Tours unter dem Namen aurum pagense eine Geldabgabe,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/253>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.