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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 90. Das Finanzwesen.
Finanzgeschichte des Mittelalters 1805. Ilse, Geschichte des deutschen Steuer-
wesens I (1844). Birnbaum, Die rechtl. Natur des Zehnten 1831. Guerard,
Des impositions publiques dans les Gaules, Bibliotheque de l'ecole des chartes
I 336. Vuitry, Etudes sur le regime financier de la France 1878.

Einem Gemeinwesen, das die öffentlichen Bedürfnisse durch die
persönlichen Dienstleistungen der Volksgenossen deckt, fehlt der Trieb,
eine geordnete Finanzverfassung auszubilden oder, wo es sie vor-
findet, festzuhalten. So erklärt es sich, dass die fränkische Verwal-
tung auf dem Gebiete des Finanzwesens in Gallien nur Rückschritte
zu verzeichnen hat.

Eine allgemeine Steuerpflicht der Unterthanen war der frän-
kischen Verfassung unbekannt. Als die Franken Gallien eroberten,
fanden sie daselbst das römische Steuerwesen vor 1. Die römische
Verwaltung erhob von den Grundbesitzern eine Grundsteuer (capitatio
terrena, iugatio), von der landlosen Bevölkerung 2 eine Kopfsteuer
(capitatio plebeia). Die Grundbesitzer waren ausserdem zu Natural-
lieferungen (functiones annonariae) verpflichtet, welche in den meisten
Provinzen zur Verpflegung des Heeres bestimmt waren 3.

Das fränkische Königtum hatte den besten Willen, die römische
Steuerverfassung im Verhältnis zu den Provinzialen beizubehalten.
Allein die Technik des römischen Steuerwesens kam den Verwaltungs-
organen mehr und mehr abhanden. Man verstand es nicht, die
Steuerschraube in Bewegung zu erhalten, sodass die überlieferte
Steuerverfassung erstarrte und die ihr eigentümlichen Abgaben den
Charakter wahrer Steuern verloren 4.

Die Kopfsteuer blieb nicht überall auf die landlose Bevölkerung
beschränkt, sondern wurde in einzelnen Gegenden auch auf die Grund-
besitzer ausgedehnt 5. Doch scheiterten derartige Neuerungen häufig
an dem Widerstande der Bevölkerung und der für sie eintretenden
Geistlichkeit. Auch wird uns von einzelnen Beamten berichtet, die
es versuchten, sogar freie Franken der Steuer zu unterwerfen. Aber
das waren rechtswidrige Übergriffe, für welche die Rache der Opfer
nicht auszubleiben pflegte 6.


1 Über dieses siehe Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II2 204 ff. 238 ff.
Karlowa, Röm. RG I 903.
2 Die Sklaven waren der Kopfsteuer nicht unterworfen.
3 Siehe oben I 65.
4 Was Fustel de Coulanges a. O. ausführt, ist gründlich verfehlt.
5 Roth, Beneficialwesen S. 86 ff.
6 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 15. Vgl. III 36. Das Edictum Pistense v. J.
864, c. 28, Pertz, LL I 495, kennt Franci, welche Kopfzins (censum de suo capite),
und solche, welche Grundzins (de suis rebus) zahlen.

§ 90. Das Finanzwesen.
Finanzgeschichte des Mittelalters 1805. Ilse, Geschichte des deutschen Steuer-
wesens I (1844). Birnbaum, Die rechtl. Natur des Zehnten 1831. Guérard,
Des impositions publiques dans les Gaules, Bibliothèque de l’école des chartes
I 336. Vuitry, Études sur le régime financier de la France 1878.

Einem Gemeinwesen, das die öffentlichen Bedürfnisse durch die
persönlichen Dienstleistungen der Volksgenossen deckt, fehlt der Trieb,
eine geordnete Finanzverfassung auszubilden oder, wo es sie vor-
findet, festzuhalten. So erklärt es sich, daſs die fränkische Verwal-
tung auf dem Gebiete des Finanzwesens in Gallien nur Rückschritte
zu verzeichnen hat.

Eine allgemeine Steuerpflicht der Unterthanen war der frän-
kischen Verfassung unbekannt. Als die Franken Gallien eroberten,
fanden sie daselbst das römische Steuerwesen vor 1. Die römische
Verwaltung erhob von den Grundbesitzern eine Grundsteuer (capitatio
terrena, iugatio), von der landlosen Bevölkerung 2 eine Kopfsteuer
(capitatio plebeia). Die Grundbesitzer waren auſserdem zu Natural-
lieferungen (functiones annonariae) verpflichtet, welche in den meisten
Provinzen zur Verpflegung des Heeres bestimmt waren 3.

Das fränkische Königtum hatte den besten Willen, die römische
Steuerverfassung im Verhältnis zu den Provinzialen beizubehalten.
Allein die Technik des römischen Steuerwesens kam den Verwaltungs-
organen mehr und mehr abhanden. Man verstand es nicht, die
Steuerschraube in Bewegung zu erhalten, sodaſs die überlieferte
Steuerverfassung erstarrte und die ihr eigentümlichen Abgaben den
Charakter wahrer Steuern verloren 4.

Die Kopfsteuer blieb nicht überall auf die landlose Bevölkerung
beschränkt, sondern wurde in einzelnen Gegenden auch auf die Grund-
besitzer ausgedehnt 5. Doch scheiterten derartige Neuerungen häufig
an dem Widerstande der Bevölkerung und der für sie eintretenden
Geistlichkeit. Auch wird uns von einzelnen Beamten berichtet, die
es versuchten, sogar freie Franken der Steuer zu unterwerfen. Aber
das waren rechtswidrige Übergriffe, für welche die Rache der Opfer
nicht auszubleiben pflegte 6.


1 Über dieses siehe Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II2 204 ff. 238 ff.
Karlowa, Röm. RG I 903.
2 Die Sklaven waren der Kopfsteuer nicht unterworfen.
3 Siehe oben I 65.
4 Was Fustel de Coulanges a. O. ausführt, ist gründlich verfehlt.
5 Roth, Beneficialwesen S. 86 ff.
6 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 15. Vgl. III 36. Das Edictum Pistense v. J.
864, c. 28, Pertz, LL I 495, kennt Franci, welche Kopfzins (censum de suo capite),
und solche, welche Grundzins (de suis rebus) zahlen.
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[234/0252] § 90. Das Finanzwesen. Finanzgeschichte des Mittelalters 1805. Ilse, Geschichte des deutschen Steuer- wesens I (1844). Birnbaum, Die rechtl. Natur des Zehnten 1831. Guérard, Des impositions publiques dans les Gaules, Bibliothèque de l’école des chartes I 336. Vuitry, Études sur le régime financier de la France 1878. Einem Gemeinwesen, das die öffentlichen Bedürfnisse durch die persönlichen Dienstleistungen der Volksgenossen deckt, fehlt der Trieb, eine geordnete Finanzverfassung auszubilden oder, wo es sie vor- findet, festzuhalten. So erklärt es sich, daſs die fränkische Verwal- tung auf dem Gebiete des Finanzwesens in Gallien nur Rückschritte zu verzeichnen hat. Eine allgemeine Steuerpflicht der Unterthanen war der frän- kischen Verfassung unbekannt. Als die Franken Gallien eroberten, fanden sie daselbst das römische Steuerwesen vor 1. Die römische Verwaltung erhob von den Grundbesitzern eine Grundsteuer (capitatio terrena, iugatio), von der landlosen Bevölkerung 2 eine Kopfsteuer (capitatio plebeia). Die Grundbesitzer waren auſserdem zu Natural- lieferungen (functiones annonariae) verpflichtet, welche in den meisten Provinzen zur Verpflegung des Heeres bestimmt waren 3. Das fränkische Königtum hatte den besten Willen, die römische Steuerverfassung im Verhältnis zu den Provinzialen beizubehalten. Allein die Technik des römischen Steuerwesens kam den Verwaltungs- organen mehr und mehr abhanden. Man verstand es nicht, die Steuerschraube in Bewegung zu erhalten, sodaſs die überlieferte Steuerverfassung erstarrte und die ihr eigentümlichen Abgaben den Charakter wahrer Steuern verloren 4. Die Kopfsteuer blieb nicht überall auf die landlose Bevölkerung beschränkt, sondern wurde in einzelnen Gegenden auch auf die Grund- besitzer ausgedehnt 5. Doch scheiterten derartige Neuerungen häufig an dem Widerstande der Bevölkerung und der für sie eintretenden Geistlichkeit. Auch wird uns von einzelnen Beamten berichtet, die es versuchten, sogar freie Franken der Steuer zu unterwerfen. Aber das waren rechtswidrige Übergriffe, für welche die Rache der Opfer nicht auszubleiben pflegte 6. 1 Über dieses siehe Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II2 204 ff. 238 ff. Karlowa, Röm. RG I 903. 2 Die Sklaven waren der Kopfsteuer nicht unterworfen. 3 Siehe oben I 65. 4 Was Fustel de Coulanges a. O. ausführt, ist gründlich verfehlt. 5 Roth, Beneficialwesen S. 86 ff. 6 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 15. Vgl. III 36. Das Edictum Pistense v. J. 864, c. 28, Pertz, LL I 495, kennt Franci, welche Kopfzins (censum de suo capite), und solche, welche Grundzins (de suis rebus) zahlen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/252>, abgerufen am 22.11.2024.