Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 60. Die königliche Gewalt. teilen zu sollen. Da zur Wiederherstellung des Reichs und zumKampf gegen die inneren und äusseren Feinde die Kräfte nicht aus- reichten, welche der allgemeine Unterthanenverband damals noch zur Verfügung stellen konnte, haben die Karolinger die grossen Grund- herren und ihren Anhang durch Rechtsformen, die im wesentlichen germanischen Ursprungs waren, nämlich durch Vassallität und Bene- fizialwesen, in persönliche Abhängigkeit gebracht und zu gesteigertem Dienste gewonnen. In diesem Lichte betrachtet, stellt sich die Ent- stehung und Ausbreitung des Lehnwesens als ein Prozess der Ger- manisierung und politischen Anpassung dar, durch welchen die in den sozialen Zuständen vorhandenen Elemente der Auflösung zu leistungs- fähigen Werkzeugen der Staatsgewalt umgestaltet wurden. Dass es sich bei dieser Assimilierung um Verhältnisse handelt, die auf den Nachlass des römischen Reiches zurückgehen, weil sie darin ihren fruchtbarsten Nährboden fanden, zeigt schon der Umstand, dass das Lehnwesen gerade in den westlichen und südlichen Teilen des Reiches sich am raschesten und wirksamsten entwickelte. Eine ähnliche Funktion wie das Lehnwesen erfüllte hinsichtlich der Patrimonial- gerichtsbarkeit gallo-römischer Herkunft die Immunität und erfüllte hinsichtlich der katholischen Hierarchie das Staatskirchentum der Karolinger. Aber schon früh und zwar zuerst in Westfrancien lockerte sich I. Das Königtum. § 60. Die königliche Gewalt. Siehe die Litteratur zu § 59. v. Sybel, Entstehung des deutschen Königthums, Das Kleinkönigtum, das die Salfranken vor der Reichsgründung § 60. Die königliche Gewalt. teilen zu sollen. Da zur Wiederherstellung des Reichs und zumKampf gegen die inneren und äuſseren Feinde die Kräfte nicht aus- reichten, welche der allgemeine Unterthanenverband damals noch zur Verfügung stellen konnte, haben die Karolinger die groſsen Grund- herren und ihren Anhang durch Rechtsformen, die im wesentlichen germanischen Ursprungs waren, nämlich durch Vassallität und Bene- fizialwesen, in persönliche Abhängigkeit gebracht und zu gesteigertem Dienste gewonnen. In diesem Lichte betrachtet, stellt sich die Ent- stehung und Ausbreitung des Lehnwesens als ein Prozeſs der Ger- manisierung und politischen Anpassung dar, durch welchen die in den sozialen Zuständen vorhandenen Elemente der Auflösung zu leistungs- fähigen Werkzeugen der Staatsgewalt umgestaltet wurden. Daſs es sich bei dieser Assimilierung um Verhältnisse handelt, die auf den Nachlaſs des römischen Reiches zurückgehen, weil sie darin ihren fruchtbarsten Nährboden fanden, zeigt schon der Umstand, dass das Lehnwesen gerade in den westlichen und südlichen Teilen des Reiches sich am raschesten und wirksamsten entwickelte. Eine ähnliche Funktion wie das Lehnwesen erfüllte hinsichtlich der Patrimonial- gerichtsbarkeit gallo-römischer Herkunft die Immunität und erfüllte hinsichtlich der katholischen Hierarchie das Staatskirchentum der Karolinger. Aber schon früh und zwar zuerst in Westfrancien lockerte sich I. Das Königtum. § 60. Die königliche Gewalt. Siehe die Litteratur zu § 59. v. Sybel, Entstehung des deutschen Königthums, Das Kleinkönigtum, das die Salfranken vor der Reichsgründung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0025" n="7"/><fw place="top" type="header">§ 60. Die königliche Gewalt.</fw><lb/> teilen zu sollen. 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§ 60. Die königliche Gewalt.
teilen zu sollen. Da zur Wiederherstellung des Reichs und zum
Kampf gegen die inneren und äuſseren Feinde die Kräfte nicht aus-
reichten, welche der allgemeine Unterthanenverband damals noch zur
Verfügung stellen konnte, haben die Karolinger die groſsen Grund-
herren und ihren Anhang durch Rechtsformen, die im wesentlichen
germanischen Ursprungs waren, nämlich durch Vassallität und Bene-
fizialwesen, in persönliche Abhängigkeit gebracht und zu gesteigertem
Dienste gewonnen. In diesem Lichte betrachtet, stellt sich die Ent-
stehung und Ausbreitung des Lehnwesens als ein Prozeſs der Ger-
manisierung und politischen Anpassung dar, durch welchen die in den
sozialen Zuständen vorhandenen Elemente der Auflösung zu leistungs-
fähigen Werkzeugen der Staatsgewalt umgestaltet wurden. Daſs es
sich bei dieser Assimilierung um Verhältnisse handelt, die auf den
Nachlaſs des römischen Reiches zurückgehen, weil sie darin ihren
fruchtbarsten Nährboden fanden, zeigt schon der Umstand, dass das
Lehnwesen gerade in den westlichen und südlichen Teilen des Reiches
sich am raschesten und wirksamsten entwickelte. Eine ähnliche
Funktion wie das Lehnwesen erfüllte hinsichtlich der Patrimonial-
gerichtsbarkeit gallo-römischer Herkunft die Immunität und erfüllte
hinsichtlich der katholischen Hierarchie das Staatskirchentum der
Karolinger.
Aber schon früh und zwar zuerst in Westfrancien lockerte sich
das Band, welches die neuen oder neu organisierten politischen Mächte
in Abhängigkeit vom Königtum erhielt. Gegen Ende der karolingischen
Zeit ist das fränkische Reich schwächer als unter den Merowingern.
Den Untergang des merowingischen Königsgeschlechtes hatte es zu
überdauern vermocht. Unter den Karolingern ging es in Trümmer,
obwohl die Dynastie das Reich überlebte.
I. Das Königtum.
§ 60. Die königliche Gewalt.
Siehe die Litteratur zu § 59. v. Sybel, Entstehung des deutschen Königthums,
2. Aufl. 1881. v. Amira, Abschnitt: Recht in Pauls Grundriss der germanischen
Philologie II 2, S. 125 ff. W. Sickel, Die Reiche der Völkerwanderung, West-
deutsche Z. f. Gesch. und Kunst IX 245 ff. Pontus Fahlbeck, La royauté et
le droit royal francs, 1883, Übersetzung und Umarbeitung seines älteren schwe-
disch geschriebenen Werkes: Kritiska studier öfver det Frankiska rikets äldsta sum-
fundsskik, 1880. Siehe hierüber Sohm in der Berliner Litteraturzeitung vom
19. Juni 1884 und Zeumer in den Gött. gel. Anzeigen 1885, S. 97 ff.
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