Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.
ins Feld zu ziehen24. Eine Werttaxe der gebräuchlichen Waffen-
stücke, welche in karolingischer Zeit der Lex Ribuaria eingefügt
wurde, nennt von Angriffswaffen nur das Schwert und die Lanze25.
Karl der Grosse regelte die Ausrüstung durch eine Verordnung, die
uns leider nicht überliefert ist. Eine Ergänzung dieses verlorenen
Kapitulars bestimmt, dass jeder Besitzer von zwölf Hufen mit einer
Brünne -- einem Ring- oder Schuppenpanzer, wie er der schwer-
gerüsteten Reiterei eigentümlich war -- bewehrt sein solle26. Von
den leichten Reitern, caballarii, wird verlangt, dass sie mit Lanze und
Schild, Schwert und Halbschwert, Bogen, Köcher und Pfeilen aus-
gerüstet seien27. Schild, Lanze, Bogen mit zwei Sehnen und zwölf
Pfeile sind das Minimum der Ausrüstung, die jeder Wehrmann haben
soll28. Ein Kapitular Ludwigs I. von 828 fordert wie etwas Her-
kömmliches von den Dienstpflichtigen, dass sie mit Pferden, Waffen
und Kleidern versehen seien29. Auch Karl II. bot 864 nur noch
Reiter auf, während die Ärmeren zum Wachtdienste verwendet wurden.

Der Ausfall, welchen das fränkische Heer durch die Abnahme
der leistungsfähigen freien Grundeigentümer erlitt, wurde ersetzt
durch die militärische Bedeutung, die der sogenannte Seniorat er-
langte. Seniorat ist das Verhältnis des Herrn (senior) zu den von
ihm abhängigen Leuten, zu seinen homines. Von den Verhältnissen,
die zum homo machen, kommen für die Heerverfassung die Anfänge
des Lehnwesens und die Grundherrlichkeit in Betracht. An sich hat
es keinen Einfluss auf die allgemeine Wehrpflicht, wenn ein freier
Mann Vassall oder Hintersasse eines Grundherrn wird. Er bleibt
wehrpflichtig, wie er es früher war. Wenn aber ein freier Mann, der,
weil er kein genügendes Vermögen hat, von Hause aus dienstunfähig
ist, als Vassall ein Benefizium, als Hintersasse ein Zinsgut erhält,
das ihn zum Heerdienst befähigt, so hat das Heer an ihm einen dienst-
fähigen Streiter gewonnen. Die Verleihung von Zinsgütern verfolgte
wirtschaftliche Zwecke und hat daher für das Heerwesen bloss neben-

24 Cap. Aquisgr. 801--813, c. 17, I 172: quod nullus in hoste baculum ha-
beat, sed arcum.
25 Lex Rib. 36, 11. Siehe oben I 304, Anm. 5.
26 Cap. miss. Theod. sec. v. J. 805, c. 6, I 123.
27 Ad Fulradum epist. 804--811, Cap. I 168. Vgl. Cap. miss. I 67, c. 4 und
Aistulfs Verordnung v. J. 750, LL IV 196, c. 2.
28 Cap. Aquisgr. 801--813, c. 9, I 171.
29 Hludow. et Hlotharii ep. gen. v. J. 828, Cap. II 5, forma A: ut omnes
homines per totum regnum nostrum, qui exercitalis itineris debitores sunt, bene
sint praeparati cum equis, armis, vestimentis, carris et victualibus.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 14

§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.
ins Feld zu ziehen24. Eine Werttaxe der gebräuchlichen Waffen-
stücke, welche in karolingischer Zeit der Lex Ribuaria eingefügt
wurde, nennt von Angriffswaffen nur das Schwert und die Lanze25.
Karl der Groſse regelte die Ausrüstung durch eine Verordnung, die
uns leider nicht überliefert ist. Eine Ergänzung dieses verlorenen
Kapitulars bestimmt, daſs jeder Besitzer von zwölf Hufen mit einer
Brünne — einem Ring- oder Schuppenpanzer, wie er der schwer-
gerüsteten Reiterei eigentümlich war — bewehrt sein solle26. Von
den leichten Reitern, caballarii, wird verlangt, daſs sie mit Lanze und
Schild, Schwert und Halbschwert, Bogen, Köcher und Pfeilen aus-
gerüstet seien27. Schild, Lanze, Bogen mit zwei Sehnen und zwölf
Pfeile sind das Minimum der Ausrüstung, die jeder Wehrmann haben
soll28. Ein Kapitular Ludwigs I. von 828 fordert wie etwas Her-
kömmliches von den Dienstpflichtigen, daſs sie mit Pferden, Waffen
und Kleidern versehen seien29. Auch Karl II. bot 864 nur noch
Reiter auf, während die Ärmeren zum Wachtdienste verwendet wurden.

Der Ausfall, welchen das fränkische Heer durch die Abnahme
der leistungsfähigen freien Grundeigentümer erlitt, wurde ersetzt
durch die militärische Bedeutung, die der sogenannte Seniorat er-
langte. Seniorat ist das Verhältnis des Herrn (senior) zu den von
ihm abhängigen Leuten, zu seinen homines. Von den Verhältnissen,
die zum homo machen, kommen für die Heerverfassung die Anfänge
des Lehnwesens und die Grundherrlichkeit in Betracht. An sich hat
es keinen Einfluſs auf die allgemeine Wehrpflicht, wenn ein freier
Mann Vassall oder Hintersasse eines Grundherrn wird. Er bleibt
wehrpflichtig, wie er es früher war. Wenn aber ein freier Mann, der,
weil er kein genügendes Vermögen hat, von Hause aus dienstunfähig
ist, als Vassall ein Benefizium, als Hintersasse ein Zinsgut erhält,
das ihn zum Heerdienst befähigt, so hat das Heer an ihm einen dienst-
fähigen Streiter gewonnen. Die Verleihung von Zinsgütern verfolgte
wirtschaftliche Zwecke und hat daher für das Heerwesen bloſs neben-

24 Cap. Aquisgr. 801—813, c. 17, I 172: quod nullus in hoste baculum ha-
beat, sed arcum.
25 Lex Rib. 36, 11. Siehe oben I 304, Anm. 5.
26 Cap. miss. Theod. sec. v. J. 805, c. 6, I 123.
27 Ad Fulradum epist. 804—811, Cap. I 168. Vgl. Cap. miss. I 67, c. 4 und
Aistulfs Verordnung v. J. 750, LL IV 196, c. 2.
28 Cap. Aquisgr. 801—813, c. 9, I 171.
29 Hludow. et Hlotharii ep. gen. v. J. 828, Cap. II 5, forma A: ut omnes
homines per totum regnum nostrum, qui exercitalis itineris debitores sunt, bene
sint praeparati cum equis, armis, vestimentis, carris et victualibus.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0227" n="209"/><fw place="top" type="header">§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.</fw><lb/>
ins Feld zu ziehen<note place="foot" n="24">Cap. Aquisgr. 801&#x2014;813, c. 17, I 172: quod nullus in hoste baculum ha-<lb/>
beat, sed arcum.</note>. Eine Werttaxe der gebräuchlichen Waffen-<lb/>
stücke, welche in karolingischer Zeit der Lex Ribuaria eingefügt<lb/>
wurde, nennt von Angriffswaffen nur das Schwert und die Lanze<note place="foot" n="25">Lex Rib. 36, 11. Siehe oben I 304, Anm. 5.</note>.<lb/>
Karl der Gro&#x017F;se regelte die Ausrüstung durch eine Verordnung, die<lb/>
uns leider nicht überliefert ist. Eine Ergänzung dieses verlorenen<lb/>
Kapitulars bestimmt, da&#x017F;s jeder Besitzer von zwölf Hufen mit einer<lb/>
Brünne &#x2014; einem Ring- oder Schuppenpanzer, wie er der schwer-<lb/>
gerüsteten Reiterei eigentümlich war &#x2014; bewehrt sein solle<note place="foot" n="26">Cap. miss. Theod. sec. v. J. 805, c. 6, I 123.</note>. Von<lb/>
den leichten Reitern, caballarii, wird verlangt, da&#x017F;s sie mit Lanze und<lb/>
Schild, Schwert und Halbschwert, Bogen, Köcher und Pfeilen aus-<lb/>
gerüstet seien<note place="foot" n="27">Ad Fulradum epist. 804&#x2014;811, Cap. I 168. Vgl. Cap. miss. I 67, c. 4 und<lb/>
Aistulfs Verordnung v. J. 750, LL IV 196, c. 2.</note>. Schild, Lanze, Bogen mit zwei Sehnen und zwölf<lb/>
Pfeile sind das Minimum der Ausrüstung, die jeder Wehrmann haben<lb/>
soll<note place="foot" n="28">Cap. Aquisgr. 801&#x2014;813, c. 9, I 171.</note>. Ein Kapitular Ludwigs I. von 828 fordert wie etwas Her-<lb/>
kömmliches von den Dienstpflichtigen, da&#x017F;s sie mit Pferden, Waffen<lb/>
und Kleidern versehen seien<note place="foot" n="29">Hludow. et Hlotharii ep. gen. v. J. 828, Cap. II 5, forma A: ut omnes<lb/>
homines per totum regnum nostrum, qui exercitalis itineris debitores sunt, bene<lb/>
sint praeparati cum equis, armis, vestimentis, carris et victualibus.</note>. Auch Karl II. bot 864 nur noch<lb/>
Reiter auf, während die Ärmeren zum Wachtdienste verwendet wurden.</p><lb/>
            <p>Der Ausfall, welchen das fränkische Heer durch die Abnahme<lb/>
der leistungsfähigen freien Grundeigentümer erlitt, wurde ersetzt<lb/>
durch die militärische Bedeutung, die der sogenannte Seniorat er-<lb/>
langte. Seniorat ist das Verhältnis des Herrn (senior) zu den von<lb/>
ihm abhängigen Leuten, zu seinen homines. Von den Verhältnissen,<lb/>
die zum homo machen, kommen für die Heerverfassung die Anfänge<lb/>
des Lehnwesens und die Grundherrlichkeit in Betracht. An sich hat<lb/>
es keinen Einflu&#x017F;s auf die allgemeine Wehrpflicht, wenn ein freier<lb/>
Mann Vassall oder Hintersasse eines Grundherrn wird. Er bleibt<lb/>
wehrpflichtig, wie er es früher war. Wenn aber ein freier Mann, der,<lb/>
weil er kein genügendes Vermögen hat, von Hause aus dienstunfähig<lb/>
ist, als Vassall ein Benefizium, als Hintersasse ein Zinsgut erhält,<lb/>
das ihn zum Heerdienst befähigt, so hat das Heer an ihm einen dienst-<lb/>
fähigen Streiter gewonnen. Die Verleihung von Zinsgütern verfolgte<lb/>
wirtschaftliche Zwecke und hat daher für das Heerwesen blo&#x017F;s neben-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Binding, Handbuch. II. 1. II: <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Deutsche Rechtsgesch. II. 14</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0227] § 87. Wehrpflicht und Heerwesen. ins Feld zu ziehen 24. Eine Werttaxe der gebräuchlichen Waffen- stücke, welche in karolingischer Zeit der Lex Ribuaria eingefügt wurde, nennt von Angriffswaffen nur das Schwert und die Lanze 25. Karl der Groſse regelte die Ausrüstung durch eine Verordnung, die uns leider nicht überliefert ist. Eine Ergänzung dieses verlorenen Kapitulars bestimmt, daſs jeder Besitzer von zwölf Hufen mit einer Brünne — einem Ring- oder Schuppenpanzer, wie er der schwer- gerüsteten Reiterei eigentümlich war — bewehrt sein solle 26. Von den leichten Reitern, caballarii, wird verlangt, daſs sie mit Lanze und Schild, Schwert und Halbschwert, Bogen, Köcher und Pfeilen aus- gerüstet seien 27. Schild, Lanze, Bogen mit zwei Sehnen und zwölf Pfeile sind das Minimum der Ausrüstung, die jeder Wehrmann haben soll 28. Ein Kapitular Ludwigs I. von 828 fordert wie etwas Her- kömmliches von den Dienstpflichtigen, daſs sie mit Pferden, Waffen und Kleidern versehen seien 29. Auch Karl II. bot 864 nur noch Reiter auf, während die Ärmeren zum Wachtdienste verwendet wurden. Der Ausfall, welchen das fränkische Heer durch die Abnahme der leistungsfähigen freien Grundeigentümer erlitt, wurde ersetzt durch die militärische Bedeutung, die der sogenannte Seniorat er- langte. Seniorat ist das Verhältnis des Herrn (senior) zu den von ihm abhängigen Leuten, zu seinen homines. Von den Verhältnissen, die zum homo machen, kommen für die Heerverfassung die Anfänge des Lehnwesens und die Grundherrlichkeit in Betracht. An sich hat es keinen Einfluſs auf die allgemeine Wehrpflicht, wenn ein freier Mann Vassall oder Hintersasse eines Grundherrn wird. Er bleibt wehrpflichtig, wie er es früher war. Wenn aber ein freier Mann, der, weil er kein genügendes Vermögen hat, von Hause aus dienstunfähig ist, als Vassall ein Benefizium, als Hintersasse ein Zinsgut erhält, das ihn zum Heerdienst befähigt, so hat das Heer an ihm einen dienst- fähigen Streiter gewonnen. Die Verleihung von Zinsgütern verfolgte wirtschaftliche Zwecke und hat daher für das Heerwesen bloſs neben- 24 Cap. Aquisgr. 801—813, c. 17, I 172: quod nullus in hoste baculum ha- beat, sed arcum. 25 Lex Rib. 36, 11. Siehe oben I 304, Anm. 5. 26 Cap. miss. Theod. sec. v. J. 805, c. 6, I 123. 27 Ad Fulradum epist. 804—811, Cap. I 168. Vgl. Cap. miss. I 67, c. 4 und Aistulfs Verordnung v. J. 750, LL IV 196, c. 2. 28 Cap. Aquisgr. 801—813, c. 9, I 171. 29 Hludow. et Hlotharii ep. gen. v. J. 828, Cap. II 5, forma A: ut omnes homines per totum regnum nostrum, qui exercitalis itineris debitores sunt, bene sint praeparati cum equis, armis, vestimentis, carris et victualibus. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/227
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/227>, abgerufen am 08.05.2024.