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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 85. Die königlichen Missi.
Missi auch an Stelle des Grafen im echten Ding als Richter fungieren
und die Gerichtsgemeinden der Volksgerichte in den Dienst des
missatischen Gerichtes stellen.

Kompetent waren die missatischen Gerichte in Sachen der Justiz-
verweigerung und Justizverzögerung, in Sachen, welche der ordent-
liche Richter nicht erledigen konnte 27, in delegierten Streitfällen, die
eine reklamationsberechtigte Partei an den Königshof gedungen hatte 28,
in Angelegenheiten, welche ihnen durch königliches Spezialmandat zur
Entscheidung oder zur Untersuchung überwiesen worden waren. Die
Missi hatten das Recht, Streitigkeiten aus dem Volksgerichte zu evo-
cieren. Ausserdem konkurrierten sie mit den Grafen in der Ausübung
der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Doch sollte auch in dieser Beziehung
ihre Wirksamkeit die der Grafen grundsätzlich nur ergänzen. Darum
ist ihnen vorgeschrieben, nur dort längere Zeit zu verweilen, wo die
ordentliche Rechtspflege eine lässige und unzulängliche ist, dagegen in
einer Grafschaft, deren Graf sich als tüchtiger Richter bewährt,
nur kurzen Aufenthalt zu nehmen 29. Damit sie die Gerichtsbarkeit
der Grafen nicht lahmlegen, sollen sie nach einem Kapitular Karls
des Grossen ihre Gerichtstage nur in vier Monaten des Jahres abhalten,
nämlich im Januar, im April, im Juli und im Oktober, während die
übrigen Monate für die gräflichen Gerichte frei bleiben sollen 30. In
richterlicher Eigenschaft hatten die Missi den Königsbann, allgemeine
Inquisitionsvollmacht 31, das Recht der Billigkeitsjustiz 32 und einen
Anteil an den Bannbussen, die in ihren Gerichten fällig wurden 33.


27 Commemoratio v. J. 825, c. 2, Cap. I 308: et omnis populus sciat ad hoc
eos (missos) esse constitutos, ut quicumque per negligentiam aut incuriam vel im-
possibilitatem comitis iustitiam suam adquirere non potuerit, ad eos primum quere-
lam suam possit deferre et per eorum auxilium iustitiam adquirere.
28 Die Stelle in Anm. 27 fährt fort: et quando aliquis ad nos necessitatis causa
reclamaverit, ad eos possimus relatorum querelas ad definiendum remittere. In
dem Schutzbriefe, form. imper. 55, Zeumer S. 326, lautet die Reklamationsklausel:
quod si aliquae causae adversus eos .. exortae fuerint .., volumus, ut usque in
nostram aut missorum nostrorum praesentiam sint suspensae vel conservatae.
29 Cap. miss. v. J. 819, c. 24, I 291.
30 Cap. de iustitiis fac. v. J. 811--813, c. 8, I 177.
31 Siehe unten § 121.
32 Das folgt aus der Zuweisung von Reklamationsfällen. Siehe oben Anm. 28.
Responsa missis data v. J. 826, c. 9, Cap. I 315: querelam, quam Helisachar et Hei-
minus contra Maginarium habent, volumus ut missi nostri secundum iustitiam et
aequitatem definiant. Conventus apud Marsnam primus v. J. 847, c. 7, Cap.
II 69: ut ... missi idonei constituantur, qui querelas pauperum ... examinare et
secundum legis aequitatem valeant definire.
33 Argum. Cap. miss. gen. v. J. 802, c. 29, I 96.

§ 85. Die königlichen Missi.
Missi auch an Stelle des Grafen im echten Ding als Richter fungieren
und die Gerichtsgemeinden der Volksgerichte in den Dienst des
missatischen Gerichtes stellen.

Kompetent waren die missatischen Gerichte in Sachen der Justiz-
verweigerung und Justizverzögerung, in Sachen, welche der ordent-
liche Richter nicht erledigen konnte 27, in delegierten Streitfällen, die
eine reklamationsberechtigte Partei an den Königshof gedungen hatte 28,
in Angelegenheiten, welche ihnen durch königliches Spezialmandat zur
Entscheidung oder zur Untersuchung überwiesen worden waren. Die
Missi hatten das Recht, Streitigkeiten aus dem Volksgerichte zu evo-
cieren. Auſserdem konkurrierten sie mit den Grafen in der Ausübung
der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Doch sollte auch in dieser Beziehung
ihre Wirksamkeit die der Grafen grundsätzlich nur ergänzen. Darum
ist ihnen vorgeschrieben, nur dort längere Zeit zu verweilen, wo die
ordentliche Rechtspflege eine lässige und unzulängliche ist, dagegen in
einer Grafschaft, deren Graf sich als tüchtiger Richter bewährt,
nur kurzen Aufenthalt zu nehmen 29. Damit sie die Gerichtsbarkeit
der Grafen nicht lahmlegen, sollen sie nach einem Kapitular Karls
des Groſsen ihre Gerichtstage nur in vier Monaten des Jahres abhalten,
nämlich im Januar, im April, im Juli und im Oktober, während die
übrigen Monate für die gräflichen Gerichte frei bleiben sollen 30. In
richterlicher Eigenschaft hatten die Missi den Königsbann, allgemeine
Inquisitionsvollmacht 31, das Recht der Billigkeitsjustiz 32 und einen
Anteil an den Bannbuſsen, die in ihren Gerichten fällig wurden 33.


27 Commemoratio v. J. 825, c. 2, Cap. I 308: et omnis populus sciat ad hoc
eos (missos) esse constitutos, ut quicumque per negligentiam aut incuriam vel im-
possibilitatem comitis iustitiam suam adquirere non potuerit, ad eos primum quere-
lam suam possit deferre et per eorum auxilium iustitiam adquirere.
28 Die Stelle in Anm. 27 fährt fort: et quando aliquis ad nos necessitatis causa
reclamaverit, ad eos possimus relatorum querelas ad definiendum remittere. In
dem Schutzbriefe, form. imper. 55, Zeumer S. 326, lautet die Reklamationsklausel:
quod si aliquae causae adversus eos .. exortae fuerint .., volumus, ut usque in
nostram aut missorum nostrorum praesentiam sint suspensae vel conservatae.
29 Cap. miss. v. J. 819, c. 24, I 291.
30 Cap. de iustitiis fac. v. J. 811—813, c. 8, I 177.
31 Siehe unten § 121.
32 Das folgt aus der Zuweisung von Reklamationsfällen. Siehe oben Anm. 28.
Responsa missis data v. J. 826, c. 9, Cap. I 315: querelam, quam Helisachar et Hei-
minus contra Maginarium habent, volumus ut missi nostri secundum iustitiam et
aequitatem definiant. Conventus apud Marsnam primus v. J. 847, c. 7, Cap.
II 69: ut … missi idonei constituantur, qui querelas pauperum … examinare et
secundum legis aequitatem valeant definire.
33 Argum. Cap. miss. gen. v. J. 802, c. 29, I 96.
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[194/0212] § 85. Die königlichen Missi. Missi auch an Stelle des Grafen im echten Ding als Richter fungieren und die Gerichtsgemeinden der Volksgerichte in den Dienst des missatischen Gerichtes stellen. Kompetent waren die missatischen Gerichte in Sachen der Justiz- verweigerung und Justizverzögerung, in Sachen, welche der ordent- liche Richter nicht erledigen konnte 27, in delegierten Streitfällen, die eine reklamationsberechtigte Partei an den Königshof gedungen hatte 28, in Angelegenheiten, welche ihnen durch königliches Spezialmandat zur Entscheidung oder zur Untersuchung überwiesen worden waren. Die Missi hatten das Recht, Streitigkeiten aus dem Volksgerichte zu evo- cieren. Auſserdem konkurrierten sie mit den Grafen in der Ausübung der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Doch sollte auch in dieser Beziehung ihre Wirksamkeit die der Grafen grundsätzlich nur ergänzen. Darum ist ihnen vorgeschrieben, nur dort längere Zeit zu verweilen, wo die ordentliche Rechtspflege eine lässige und unzulängliche ist, dagegen in einer Grafschaft, deren Graf sich als tüchtiger Richter bewährt, nur kurzen Aufenthalt zu nehmen 29. Damit sie die Gerichtsbarkeit der Grafen nicht lahmlegen, sollen sie nach einem Kapitular Karls des Groſsen ihre Gerichtstage nur in vier Monaten des Jahres abhalten, nämlich im Januar, im April, im Juli und im Oktober, während die übrigen Monate für die gräflichen Gerichte frei bleiben sollen 30. In richterlicher Eigenschaft hatten die Missi den Königsbann, allgemeine Inquisitionsvollmacht 31, das Recht der Billigkeitsjustiz 32 und einen Anteil an den Bannbuſsen, die in ihren Gerichten fällig wurden 33. 27 Commemoratio v. J. 825, c. 2, Cap. I 308: et omnis populus sciat ad hoc eos (missos) esse constitutos, ut quicumque per negligentiam aut incuriam vel im- possibilitatem comitis iustitiam suam adquirere non potuerit, ad eos primum quere- lam suam possit deferre et per eorum auxilium iustitiam adquirere. 28 Die Stelle in Anm. 27 fährt fort: et quando aliquis ad nos necessitatis causa reclamaverit, ad eos possimus relatorum querelas ad definiendum remittere. In dem Schutzbriefe, form. imper. 55, Zeumer S. 326, lautet die Reklamationsklausel: quod si aliquae causae adversus eos .. exortae fuerint .., volumus, ut usque in nostram aut missorum nostrorum praesentiam sint suspensae vel conservatae. 29 Cap. miss. v. J. 819, c. 24, I 291. 30 Cap. de iustitiis fac. v. J. 811—813, c. 8, I 177. 31 Siehe unten § 121. 32 Das folgt aus der Zuweisung von Reklamationsfällen. Siehe oben Anm. 28. Responsa missis data v. J. 826, c. 9, Cap. I 315: querelam, quam Helisachar et Hei- minus contra Maginarium habent, volumus ut missi nostri secundum iustitiam et aequitatem definiant. Conventus apud Marsnam primus v. J. 847, c. 7, Cap. II 69: ut … missi idonei constituantur, qui querelas pauperum … examinare et secundum legis aequitatem valeant definire. 33 Argum. Cap. miss. gen. v. J. 802, c. 29, I 96.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/212>, abgerufen am 24.11.2024.