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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
bringen39. Eine andere Neuerung knüpfte sich an die Erhebung
Karls II. an. Nach dem Herkommen hätte damals das Kaisertum der
älteren karolingischen Linie gebührt. Zudem hatte Ludwig II. selbst
seinen Vetter Karlmann, den ältesten Sohn Ludwigs des Deutschen,
zum Nachfolger auserkoren40. Indem Johann VIII. trotzdem Karl II.
erhob, masste er sich die Befugnis an, den Kaiser nach freier Wahl
zu bestimmen, wie denn auch von beiden Seiten betont wurde, dass
Karl durch die Wahl des Papstes Kaiser geworden sei41. Das Papst-
tum fühlte sich nicht einmal an das karolingische Geschlecht gebunden.
Auf Karl III., der die Kaiserwürde als sein Recht in Anspruch ge-
nommen und erlangt hatte, folgten Wido und Lambert von Spoleto,
welche dem karolingischen Hause nicht angehörten.

Die Rechte, die das Kaisertum dem fränkischen König ursprüng-
lich gewährte, decken sich im wesentlichen mit den Rechten, welche
Karl der Grosse als Patricius ausgeübt hatte, indem er es gleich
seinen Vorfahren, den Hausmeiern, verstand, Machtbefugnisse ohne
den entsprechenden Titel geltend zu machen. Das Kaisertum gab das
Recht und die Pflicht, die römische Kirche zu schützen; es gewährte
die Oberhoheit in dem römischen Gebiete. Kaiserliche Regierungs-
rechte haben daselbst Karl der Grosse, Ludwig I., Lothar I. und
Ludwig II. teils in Person teils durch ihre Missi ausgeübt42. Herr-
schaftsrechte des Kaisers in Rom ergeben sich aus dem Zusatz in

habe Lantbertum et Arnulfum tantae maiestatis homines zur kaiserlichen Würde
erhöhen können.' Dümmler III 430, Anm.
39 Es war die Zeit, in welcher die unheimliche Minierarbeit jener systema-
tischen Fälschungen zu wirken begonnen hatte, welche die weltliche Gewalt der
geistlichen unterzuordnen suchten. In die pseudoisidorischen Dekretalen war auch
das Constitutum Constantini aufgenommen worden.
40 Dümmler II 340. 388, Anm. 1.
41 Kar. II electio, Cap. II 99: quia divina pietas vos per Johannem summum
pontificem .. ad imperiale culmen provexit. Synodus Pontigon. LL I 533: sicut
domnus Johannes .. primo Romae elegit. Johann selbst sagt: eligimus hunc
merito et approbavimus una cum annisu et voto omnium fratrum et coepiscoporum
nostrorum ... amplique senatus totiusque Romani populi gentisque togatae.
Dümmler II 398, Anm. Nicht ohne Absicht wurde die Krönung Karls II. auf
das Weihnachtsfest verschoben; denn es galt die Krönung Karls des Grossen als
Präjudiz zu verwerten. Karls II. schwächliche Ehrsucht hatte die Früchte der
Politik geopfert, durch welche Karl der Grosse den Folgen des Coups von 800
vorzubeugen gewusst hatte.
42 Die Bestimmung des Pactum Ludowicianum, dass der Kaiser im päpst-
lichen Gebiete keinerlei Regierungshandlung ausüben werde, wenn ihn nicht der
Papst darum gebeten habe, ist wahrscheinlich interpoliert. Jedenfalls wurde das
Verhältnis zwischen Kaiser und Papst 824 mit Zustimmung des letzteren auf einer
davon völlig abweichenden Grundlage normiert.

§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
bringen39. Eine andere Neuerung knüpfte sich an die Erhebung
Karls II. an. Nach dem Herkommen hätte damals das Kaisertum der
älteren karolingischen Linie gebührt. Zudem hatte Ludwig II. selbst
seinen Vetter Karlmann, den ältesten Sohn Ludwigs des Deutschen,
zum Nachfolger auserkoren40. Indem Johann VIII. trotzdem Karl II.
erhob, maſste er sich die Befugnis an, den Kaiser nach freier Wahl
zu bestimmen, wie denn auch von beiden Seiten betont wurde, daſs
Karl durch die Wahl des Papstes Kaiser geworden sei41. Das Papst-
tum fühlte sich nicht einmal an das karolingische Geschlecht gebunden.
Auf Karl III., der die Kaiserwürde als sein Recht in Anspruch ge-
nommen und erlangt hatte, folgten Wido und Lambert von Spoleto,
welche dem karolingischen Hause nicht angehörten.

Die Rechte, die das Kaisertum dem fränkischen König ursprüng-
lich gewährte, decken sich im wesentlichen mit den Rechten, welche
Karl der Groſse als Patricius ausgeübt hatte, indem er es gleich
seinen Vorfahren, den Hausmeiern, verstand, Machtbefugnisse ohne
den entsprechenden Titel geltend zu machen. Das Kaisertum gab das
Recht und die Pflicht, die römische Kirche zu schützen; es gewährte
die Oberhoheit in dem römischen Gebiete. Kaiserliche Regierungs-
rechte haben daselbst Karl der Groſse, Ludwig I., Lothar I. und
Ludwig II. teils in Person teils durch ihre Missi ausgeübt42. Herr-
schaftsrechte des Kaisers in Rom ergeben sich aus dem Zusatz in

habe Lantbertum et Arnulfum tantae maiestatis homines zur kaiserlichen Würde
erhöhen können.’ Dümmler III 430, Anm.
39 Es war die Zeit, in welcher die unheimliche Minierarbeit jener systema-
tischen Fälschungen zu wirken begonnen hatte, welche die weltliche Gewalt der
geistlichen unterzuordnen suchten. In die pseudoisidorischen Dekretalen war auch
das Constitutum Constantini aufgenommen worden.
40 Dümmler II 340. 388, Anm. 1.
41 Kar. II electio, Cap. II 99: quia divina pietas vos per Johannem summum
pontificem .. ad imperiale culmen provexit. Synodus Pontigon. LL I 533: sicut
domnus Johannes .. primo Romae elegit. Johann selbst sagt: eligimus hunc
merito et approbavimus una cum annisu et voto omnium fratrum et coepiscoporum
nostrorum … amplique senatus totiusque Romani populi gentisque togatae.
Dümmler II 398, Anm. Nicht ohne Absicht wurde die Krönung Karls II. auf
das Weihnachtsfest verschoben; denn es galt die Krönung Karls des Groſsen als
Präjudiz zu verwerten. Karls II. schwächliche Ehrsucht hatte die Früchte der
Politik geopfert, durch welche Karl der Groſse den Folgen des Coups von 800
vorzubeugen gewuſst hatte.
42 Die Bestimmung des Pactum Ludowicianum, daſs der Kaiser im päpst-
lichen Gebiete keinerlei Regierungshandlung ausüben werde, wenn ihn nicht der
Papst darum gebeten habe, ist wahrscheinlich interpoliert. Jedenfalls wurde das
Verhältnis zwischen Kaiser und Papst 824 mit Zustimmung des letzteren auf einer
davon völlig abweichenden Grundlage normiert.
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[92/0110] § 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum bringen 39. Eine andere Neuerung knüpfte sich an die Erhebung Karls II. an. Nach dem Herkommen hätte damals das Kaisertum der älteren karolingischen Linie gebührt. Zudem hatte Ludwig II. selbst seinen Vetter Karlmann, den ältesten Sohn Ludwigs des Deutschen, zum Nachfolger auserkoren 40. Indem Johann VIII. trotzdem Karl II. erhob, maſste er sich die Befugnis an, den Kaiser nach freier Wahl zu bestimmen, wie denn auch von beiden Seiten betont wurde, daſs Karl durch die Wahl des Papstes Kaiser geworden sei 41. Das Papst- tum fühlte sich nicht einmal an das karolingische Geschlecht gebunden. Auf Karl III., der die Kaiserwürde als sein Recht in Anspruch ge- nommen und erlangt hatte, folgten Wido und Lambert von Spoleto, welche dem karolingischen Hause nicht angehörten. Die Rechte, die das Kaisertum dem fränkischen König ursprüng- lich gewährte, decken sich im wesentlichen mit den Rechten, welche Karl der Groſse als Patricius ausgeübt hatte, indem er es gleich seinen Vorfahren, den Hausmeiern, verstand, Machtbefugnisse ohne den entsprechenden Titel geltend zu machen. Das Kaisertum gab das Recht und die Pflicht, die römische Kirche zu schützen; es gewährte die Oberhoheit in dem römischen Gebiete. Kaiserliche Regierungs- rechte haben daselbst Karl der Groſse, Ludwig I., Lothar I. und Ludwig II. teils in Person teils durch ihre Missi ausgeübt 42. Herr- schaftsrechte des Kaisers in Rom ergeben sich aus dem Zusatz in 38 39 Es war die Zeit, in welcher die unheimliche Minierarbeit jener systema- tischen Fälschungen zu wirken begonnen hatte, welche die weltliche Gewalt der geistlichen unterzuordnen suchten. In die pseudoisidorischen Dekretalen war auch das Constitutum Constantini aufgenommen worden. 40 Dümmler II 340. 388, Anm. 1. 41 Kar. II electio, Cap. II 99: quia divina pietas vos per Johannem summum pontificem .. ad imperiale culmen provexit. Synodus Pontigon. LL I 533: sicut domnus Johannes .. primo Romae elegit. Johann selbst sagt: eligimus hunc merito et approbavimus una cum annisu et voto omnium fratrum et coepiscoporum nostrorum … amplique senatus totiusque Romani populi gentisque togatae. Dümmler II 398, Anm. Nicht ohne Absicht wurde die Krönung Karls II. auf das Weihnachtsfest verschoben; denn es galt die Krönung Karls des Groſsen als Präjudiz zu verwerten. Karls II. schwächliche Ehrsucht hatte die Früchte der Politik geopfert, durch welche Karl der Groſse den Folgen des Coups von 800 vorzubeugen gewuſst hatte. 42 Die Bestimmung des Pactum Ludowicianum, daſs der Kaiser im päpst- lichen Gebiete keinerlei Regierungshandlung ausüben werde, wenn ihn nicht der Papst darum gebeten habe, ist wahrscheinlich interpoliert. Jedenfalls wurde das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst 824 mit Zustimmung des letzteren auf einer davon völlig abweichenden Grundlage normiert. 38 habe Lantbertum et Arnulfum tantae maiestatis homines zur kaiserlichen Würde erhöhen können.’ Dümmler III 430, Anm.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/110>, abgerufen am 24.11.2024.