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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.
sein, wäre ihr nicht eine allmähliche Germanisierung des römischen
Staates und des römischen Heeres vorangegangen.

Die Grossthaten Armins hatten nur den erheblicheren Teil
Germaniens vor der Fremdherrschaft gerettet. Neben dem freien
Germanien gab es ein römisches, welches aus den beiden Rhein-
provinzen Ober- und Niedergermanien bestand. Die deutschen Stämme,
die hier unter der Herrschaft der römischen Provinzialverfassung einer
raschen Romanisierung entgegengingen, waren die Triboker, Nemeter,
Vangionen, die chattischen Mattiaker, wenigstens ein Teil der Usiper,
die stets römerfreundlichen Ubier und die von Tiberius gewaltsam
verpflanzten Sugambern 1. In einer privilegierten Sonderstellung 2,
aber noch in Reichsunterthänigkeit 3 befanden sich die im Rheindelta
sesshaften Bataver, die Kannenefaten und die Friesen, deren west-
liche Gaue etwa bis zur Yssel, bei dem Reiche verblieben, als
Kaiser Claudius das übrige Friesland aufgab. In Obergermanien er-
streckte sich die römische Herrschaft dauernd über einen Teil des
rechten Rheinufers. Um den Grenzverkehr zu überwachen, legten die
Römer hier eine Grenzsperre an, die als obergermanischer limes bei
Rheinbrohl oberhalb Remagen begann und als rätischer limes bei
Kehlheim an der Donau endete. Noch innerhalb des limes sassen
am Taunus die Mattiaker, bei welchen seit dem Ende des zweiten
Jahrhunderts römische Municipalverfassung nachzuweisen ist 4, während
weiter südlich im Neckargebiet, in den bei Tacitus sogenannten agri
decumates germanische Völkerschaften nicht geduldet wurden.

Andere Teile des Reiches, darunter Gallien, Britannien, die
Donauländer und Italien, wurden infolge der römischen Siege durch
innere Kolonisation mit germanischer Bevölkerung durchsetzt. Schon
seit den Kimbernkriegen füllten die Verknechtung der Kriegsgefangenen
und der Gewerbebetrieb römischer Händler Italien und die Provinzen
mit germanischen Sklaven. Wahrscheinlich aus Anlass des Marko-
mannenkrieges entstand für die Behandlung überwältigter Feinde das
eigenartige Rechtsverhältnis des Kolonats, welches zwischen Freiheit
und Knechtschaft in der Mitte stehend sich als Hörigkeit darstellt. Der
Kolone ist nach der Theorie persönlich frei, kann Vermögen erwerben
und zahlt von dem Grundstück, das er zu bebauen hat, bestimmte

1 Manche vermuten, dass aus ihnen die Cugerni hervorgegangen seien.
Schröder, Herkunft der Franken, Histor. Z NF VII 3 ff.
2 Mommsen, Römische Geschichte V 110 ff.
3 Denn sie werden zu den Auxilien der augustischen Heerverfassung aus-
gehoben.
4 Mommsen, Römische Geschichte V 135.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 3

§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.
sein, wäre ihr nicht eine allmähliche Germanisierung des römischen
Staates und des römischen Heeres vorangegangen.

Die Groſsthaten Armins hatten nur den erheblicheren Teil
Germaniens vor der Fremdherrschaft gerettet. Neben dem freien
Germanien gab es ein römisches, welches aus den beiden Rhein-
provinzen Ober- und Niedergermanien bestand. Die deutschen Stämme,
die hier unter der Herrschaft der römischen Provinzialverfassung einer
raschen Romanisierung entgegengingen, waren die Triboker, Nemeter,
Vangionen, die chattischen Mattiaker, wenigstens ein Teil der Usiper,
die stets römerfreundlichen Ubier und die von Tiberius gewaltsam
verpflanzten Sugambern 1. In einer privilegierten Sonderstellung 2,
aber noch in Reichsunterthänigkeit 3 befanden sich die im Rheindelta
seſshaften Bataver, die Kannenefaten und die Friesen, deren west-
liche Gaue etwa bis zur Yssel, bei dem Reiche verblieben, als
Kaiser Claudius das übrige Friesland aufgab. In Obergermanien er-
streckte sich die römische Herrschaft dauernd über einen Teil des
rechten Rheinufers. Um den Grenzverkehr zu überwachen, legten die
Römer hier eine Grenzsperre an, die als obergermanischer limes bei
Rheinbrohl oberhalb Remagen begann und als rätischer limes bei
Kehlheim an der Donau endete. Noch innerhalb des limes saſsen
am Taunus die Mattiaker, bei welchen seit dem Ende des zweiten
Jahrhunderts römische Municipalverfassung nachzuweisen ist 4, während
weiter südlich im Neckargebiet, in den bei Tacitus sogenannten agri
decumates germanische Völkerschaften nicht geduldet wurden.

Andere Teile des Reiches, darunter Gallien, Britannien, die
Donauländer und Italien, wurden infolge der römischen Siege durch
innere Kolonisation mit germanischer Bevölkerung durchsetzt. Schon
seit den Kimbernkriegen füllten die Verknechtung der Kriegsgefangenen
und der Gewerbebetrieb römischer Händler Italien und die Provinzen
mit germanischen Sklaven. Wahrscheinlich aus Anlaſs des Marko-
mannenkrieges entstand für die Behandlung überwältigter Feinde das
eigenartige Rechtsverhältnis des Kolonats, welches zwischen Freiheit
und Knechtschaft in der Mitte stehend sich als Hörigkeit darstellt. Der
Kolone ist nach der Theorie persönlich frei, kann Vermögen erwerben
und zahlt von dem Grundstück, das er zu bebauen hat, bestimmte

1 Manche vermuten, daſs aus ihnen die Cugerni hervorgegangen seien.
Schröder, Herkunft der Franken, Histor. Z NF VII 3 ff.
2 Mommsen, Römische Geschichte V 110 ff.
3 Denn sie werden zu den Auxilien der augustischen Heerverfassung aus-
gehoben.
4 Mommsen, Römische Geschichte V 135.
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[33/0051] § 7. Das Germanentum im römischen Reich. sein, wäre ihr nicht eine allmähliche Germanisierung des römischen Staates und des römischen Heeres vorangegangen. Die Groſsthaten Armins hatten nur den erheblicheren Teil Germaniens vor der Fremdherrschaft gerettet. Neben dem freien Germanien gab es ein römisches, welches aus den beiden Rhein- provinzen Ober- und Niedergermanien bestand. Die deutschen Stämme, die hier unter der Herrschaft der römischen Provinzialverfassung einer raschen Romanisierung entgegengingen, waren die Triboker, Nemeter, Vangionen, die chattischen Mattiaker, wenigstens ein Teil der Usiper, die stets römerfreundlichen Ubier und die von Tiberius gewaltsam verpflanzten Sugambern 1. In einer privilegierten Sonderstellung 2, aber noch in Reichsunterthänigkeit 3 befanden sich die im Rheindelta seſshaften Bataver, die Kannenefaten und die Friesen, deren west- liche Gaue etwa bis zur Yssel, bei dem Reiche verblieben, als Kaiser Claudius das übrige Friesland aufgab. In Obergermanien er- streckte sich die römische Herrschaft dauernd über einen Teil des rechten Rheinufers. Um den Grenzverkehr zu überwachen, legten die Römer hier eine Grenzsperre an, die als obergermanischer limes bei Rheinbrohl oberhalb Remagen begann und als rätischer limes bei Kehlheim an der Donau endete. Noch innerhalb des limes saſsen am Taunus die Mattiaker, bei welchen seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts römische Municipalverfassung nachzuweisen ist 4, während weiter südlich im Neckargebiet, in den bei Tacitus sogenannten agri decumates germanische Völkerschaften nicht geduldet wurden. Andere Teile des Reiches, darunter Gallien, Britannien, die Donauländer und Italien, wurden infolge der römischen Siege durch innere Kolonisation mit germanischer Bevölkerung durchsetzt. Schon seit den Kimbernkriegen füllten die Verknechtung der Kriegsgefangenen und der Gewerbebetrieb römischer Händler Italien und die Provinzen mit germanischen Sklaven. Wahrscheinlich aus Anlaſs des Marko- mannenkrieges entstand für die Behandlung überwältigter Feinde das eigenartige Rechtsverhältnis des Kolonats, welches zwischen Freiheit und Knechtschaft in der Mitte stehend sich als Hörigkeit darstellt. Der Kolone ist nach der Theorie persönlich frei, kann Vermögen erwerben und zahlt von dem Grundstück, das er zu bebauen hat, bestimmte 1 Manche vermuten, daſs aus ihnen die Cugerni hervorgegangen seien. Schröder, Herkunft der Franken, Histor. Z NF VII 3 ff. 2 Mommsen, Römische Geschichte V 110 ff. 3 Denn sie werden zu den Auxilien der augustischen Heerverfassung aus- gehoben. 4 Mommsen, Römische Geschichte V 135. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 3

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/51>, abgerufen am 24.11.2024.