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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 58. Die Formelsammlungen.
bruch benannt, der die Mehrzahl dieser Formeln zuerst abgedruckt
hat, unstreitig salischer Herkunft, wie die salischen Rechtssätze und
die ausdrücklichen Beziehungen auf salisches Recht ergeben. Die
Sammlung enthält nur Privaturkunden41. Ihre Heimat dürfte in den
Gebieten an der Maas und Schelde zu suchen sein. Sie muss vor
den letzten Jahren des achten Jahrhunderts entstanden sein, da sie
um diese Zeit bereits in bairischen Urkunden benutzt wird42. Wahr-
scheinlich ist die Sammlung, eine der wichtigsten, weil sie die ein-
zige ist, von der wir mit Sicherheit sagen können, dass sie auf alt-
salischem Boden entstand, durch den Salzburger Erzbischof Arno aus
dem Kloster St. Amand im Hennegau, dessen Abt er war, nach Baiern
gebracht worden, wo sie in ein Salzburger Formelbuch und in eine
Emmeramer Formelsammlung aufgenommen wurde43.

10. Die Pithousche Sammlung44, nur fragmentarisch in den
Zitaten überliefert, welche Du Cange aus einer dem Franz oder Peter
Pithou45 gehörigen Handschrift in sein Glossar aufnahm. Die For-
meln stammen aus einer Gegend salischen Rechtes und gehören wahr-
scheinlich noch dem achten Jahrhundert an.

11. Die Collectio Flaviniacensis46, eine noch im achten
Jahrhundert zu Flavigny in Burgund abgefasste, umfangreiche Samm-
lung, welche sich zum grössten Teile als eine Bearbeitung des Mar-
culf und der Turonischen Formeln darstellt, aber auch einige selb-
ständige Stücke enthält.

12. Die Formulae imperiales47, 55 Formeln für Kaiser-
urkunden, die in der Kanzlei Ludwigs I. von einem Beamten der-
selben um das Jahr 830 (jedenfalls 828--840) zusammengestellt
wurden48. Zur Grundlage dienten Urkunden Ludwigs des Frommen,

41 Eigentümlich ist ihnen in der Aufzählung der Pertinenzen von Grundstücken
der Ausdruck "cum wadriscapis" (Wasserläufe, nach Schröder Wasserleitungen),
der uns urkundlich vorzugsweise in Toxandrien begegnet.
42 UB. des Landes ob der Enns I 454 Nr 27.
43 Zeumer in den Götting. gel. Anz. a. O. S 1407; Schröder, Z2 f. RG
IV 94--111 verlegt die Entstehung der Lindenbruchschen Formeln nach St. Amand
und schlägt vor, sie wegen des Anteils, den Arno daran genommen, als Arnonis
formulae S. Amandi oder als Formulae Elnonenses Arnonis archiepiscopi zu be-
zeichnen.
44 Zeumer S 596.
45 Wahrscheinlich Franz, weil dieser c. 75 der Sammlung, wie Zeumer S 598
bemerkt, im Glossarium ad legem Salicam herausgegeben hat.
46 Zeumer S 469.
47 Zeumer S 288.
48 Sickel, Urkundenlehre S 116 ff.

§ 58. Die Formelsammlungen.
bruch benannt, der die Mehrzahl dieser Formeln zuerst abgedruckt
hat, unstreitig salischer Herkunft, wie die salischen Rechtssätze und
die ausdrücklichen Beziehungen auf salisches Recht ergeben. Die
Sammlung enthält nur Privaturkunden41. Ihre Heimat dürfte in den
Gebieten an der Maas und Schelde zu suchen sein. Sie muſs vor
den letzten Jahren des achten Jahrhunderts entstanden sein, da sie
um diese Zeit bereits in bairischen Urkunden benutzt wird42. Wahr-
scheinlich ist die Sammlung, eine der wichtigsten, weil sie die ein-
zige ist, von der wir mit Sicherheit sagen können, daſs sie auf alt-
salischem Boden entstand, durch den Salzburger Erzbischof Arno aus
dem Kloster St. Amand im Hennegau, dessen Abt er war, nach Baiern
gebracht worden, wo sie in ein Salzburger Formelbuch und in eine
Emmeramer Formelsammlung aufgenommen wurde43.

10. Die Pithousche Sammlung44, nur fragmentarisch in den
Zitaten überliefert, welche Du Cange aus einer dem Franz oder Peter
Pithou45 gehörigen Handschrift in sein Glossar aufnahm. Die For-
meln stammen aus einer Gegend salischen Rechtes und gehören wahr-
scheinlich noch dem achten Jahrhundert an.

11. Die Collectio Flaviniacensis46, eine noch im achten
Jahrhundert zu Flavigny in Burgund abgefaſste, umfangreiche Samm-
lung, welche sich zum gröſsten Teile als eine Bearbeitung des Mar-
culf und der Turonischen Formeln darstellt, aber auch einige selb-
ständige Stücke enthält.

12. Die Formulae imperiales47, 55 Formeln für Kaiser-
urkunden, die in der Kanzlei Ludwigs I. von einem Beamten der-
selben um das Jahr 830 (jedenfalls 828—840) zusammengestellt
wurden48. Zur Grundlage dienten Urkunden Ludwigs des Frommen,

41 Eigentümlich ist ihnen in der Aufzählung der Pertinenzen von Grundstücken
der Ausdruck „cum wadriscapis“ (Wasserläufe, nach Schröder Wasserleitungen),
der uns urkundlich vorzugsweise in Toxandrien begegnet.
42 UB. des Landes ob der Enns I 454 Nr 27.
43 Zeumer in den Götting. gel. Anz. a. O. S 1407; Schröder, Z2 f. RG
IV 94—111 verlegt die Entstehung der Lindenbruchschen Formeln nach St. Amand
und schlägt vor, sie wegen des Anteils, den Arno daran genommen, als Arnonis
formulae S. Amandi oder als Formulae Elnonenses Arnonis archiepiscopi zu be-
zeichnen.
44 Zeumer S 596.
45 Wahrscheinlich Franz, weil dieser c. 75 der Sammlung, wie Zeumer S 598
bemerkt, im Glossarium ad legem Salicam herausgegeben hat.
46 Zeumer S 469.
47 Zeumer S 288.
48 Sickel, Urkundenlehre S 116 ff.
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[409/0427] § 58. Die Formelsammlungen. bruch benannt, der die Mehrzahl dieser Formeln zuerst abgedruckt hat, unstreitig salischer Herkunft, wie die salischen Rechtssätze und die ausdrücklichen Beziehungen auf salisches Recht ergeben. Die Sammlung enthält nur Privaturkunden 41. Ihre Heimat dürfte in den Gebieten an der Maas und Schelde zu suchen sein. Sie muſs vor den letzten Jahren des achten Jahrhunderts entstanden sein, da sie um diese Zeit bereits in bairischen Urkunden benutzt wird 42. Wahr- scheinlich ist die Sammlung, eine der wichtigsten, weil sie die ein- zige ist, von der wir mit Sicherheit sagen können, daſs sie auf alt- salischem Boden entstand, durch den Salzburger Erzbischof Arno aus dem Kloster St. Amand im Hennegau, dessen Abt er war, nach Baiern gebracht worden, wo sie in ein Salzburger Formelbuch und in eine Emmeramer Formelsammlung aufgenommen wurde 43. 10. Die Pithousche Sammlung 44, nur fragmentarisch in den Zitaten überliefert, welche Du Cange aus einer dem Franz oder Peter Pithou 45 gehörigen Handschrift in sein Glossar aufnahm. Die For- meln stammen aus einer Gegend salischen Rechtes und gehören wahr- scheinlich noch dem achten Jahrhundert an. 11. Die Collectio Flaviniacensis 46, eine noch im achten Jahrhundert zu Flavigny in Burgund abgefaſste, umfangreiche Samm- lung, welche sich zum gröſsten Teile als eine Bearbeitung des Mar- culf und der Turonischen Formeln darstellt, aber auch einige selb- ständige Stücke enthält. 12. Die Formulae imperiales 47, 55 Formeln für Kaiser- urkunden, die in der Kanzlei Ludwigs I. von einem Beamten der- selben um das Jahr 830 (jedenfalls 828—840) zusammengestellt wurden 48. Zur Grundlage dienten Urkunden Ludwigs des Frommen, 41 Eigentümlich ist ihnen in der Aufzählung der Pertinenzen von Grundstücken der Ausdruck „cum wadriscapis“ (Wasserläufe, nach Schröder Wasserleitungen), der uns urkundlich vorzugsweise in Toxandrien begegnet. 42 UB. des Landes ob der Enns I 454 Nr 27. 43 Zeumer in den Götting. gel. Anz. a. O. S 1407; Schröder, Z2 f. RG IV 94—111 verlegt die Entstehung der Lindenbruchschen Formeln nach St. Amand und schlägt vor, sie wegen des Anteils, den Arno daran genommen, als Arnonis formulae S. Amandi oder als Formulae Elnonenses Arnonis archiepiscopi zu be- zeichnen. 44 Zeumer S 596. 45 Wahrscheinlich Franz, weil dieser c. 75 der Sammlung, wie Zeumer S 598 bemerkt, im Glossarium ad legem Salicam herausgegeben hat. 46 Zeumer S 469. 47 Zeumer S 288. 48 Sickel, Urkundenlehre S 116 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/427>, abgerufen am 02.05.2024.