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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 44. Die Lex Burgundionum.
angebliche Redaktion, welche auf eine der prima constitutio voraus-
gehende Notiz gestützt wird 19, fällt die Thatsache ins Gewicht, dass
uns in Titel 52 der Lex ein Gesetz vom 29. März 517 erhalten ist,
worin Sigismund eine Lücke der früheren Gesetzgebung ausfüllen will,
indem er einem aus Anlass eines Rechtsfalles ausgesprochenen Urteile
Gesetzeskraft beilegt, ein Vorgang, der sich schwerlich mit der An-
nahme vereinigen lässt, dass Sigismund an demselben Tage eine neue
Redaktion der Gesetzsammlung publiziert habe.

Die Lex Burgundionum wollte nicht bloss für die Burgunder
gelten, sondern sollte auch bei Rechtshändeln zwischen Römern und
Burgundern zur Anwendung gelangen 20. Die Rechtsbeziehungen der
Römer unter einander regelte die Gundobada nicht; für sie blieb das
römische Recht in Geltung und wurde im burgundischen Reiche aus
römischen Rechtsquellen ein besonderes Rechtsbuch, die Lex Romana
Burgundionum, abgefasst. Doch haben in die Gundobada einzelne
Konstitutionen Aufnahme gefunden, welche die Burgunder und die
Römer gemeinsamen Rechtssätzen unterwarfen und sonach die Be-
deutung eines allgemeinen burgundischen Reichsrechtes besassen 21.

Obzwar zur Zeit ihrer Abfassung kaum ein halbes Jahrhundert
seit der Verpflanzung der Burgunder nach Gallien verflossen war,

leges mitiores instituit, ne Romanos obpraemerent, eine Nachricht, die sehr wohl
von einzelnen Novellen Gundobads verstanden werden kann. Bluhme meint, dass
Gundobads zweite Redaktion 105 Titel umfasst habe, und schliesst dies aus der
Überschrift: sub titulo CV invenimus in libro constitutionum, die er dahin auslegt,
dass Sigismund in dem 105. Titel der Konstitutionen seines Vaters gefunden habe.
Allein wie Binding S 42 seiner Ausgabe bemerkt, fehlt das Wort constitutionum
in allen Handschriften und ist mit den besseren Handschriften Constantini zu lesen,
auf dessen Konstitution in Cod. Theod. II 30 Bezug genommen wird. CV mit claris-
simi viri (statt viri clarissimi) aufzulösen, ist bedenklich. Es mag dahingestellt blei-
ben, wie die Verstümmelung. entstand. Jedenfalls gehört die Stelle nicht in die
Gundobada. Der Rechtssatz, dass Pfändung von Ochsen mit Tod bestraft werde,
hat für die Burgunder nie gegolten (Gund. 19) und brauchte für sie nicht aufgehoben
zu werden. Vielleicht steckt in Tit. 105 eine Novelle zum Papian.
19 In Dei nomine anno secundo regni domni nostri gloriosissimi (Sigismundi)
Gundobadi regis liber constitutionum de praeteritis et praesentibus atque in per-
petuum conservandis legibus et datum sub die IV Kal. April. Keine Handschrift
hat beide Königsnamen. Entweder fehlt Sigismundi oder Gundobadi. Binding
hält (Ausgabe S 2 Anm 1) die Worte et datum sub die IV Kal. April. anno secundo
regni d. gl. Sigismundi für den Zusatz eines Schreibers, der dieses Datum unter
einer von Sigismund in die Sammlung eingefügten Novelle gefunden und die Schluss-
worte anno secundo usw. wegen Mangels an Raum über den Anfang der Überschrift
Gundobadi regis liber ... legibus gesetzt habe.
20 Prima const. c. 2. Vgl. Bluhme, Jahrb. I 72 ff.
21 Titel 4, 1: tam Burgundio quam Romanus; 4, 3; 4, 4; 6, 3; 6, 9 u. öfter.

§ 44. Die Lex Burgundionum.
angebliche Redaktion, welche auf eine der prima constitutio voraus-
gehende Notiz gestützt wird 19, fällt die Thatsache ins Gewicht, daſs
uns in Titel 52 der Lex ein Gesetz vom 29. März 517 erhalten ist,
worin Sigismund eine Lücke der früheren Gesetzgebung ausfüllen will,
indem er einem aus Anlaſs eines Rechtsfalles ausgesprochenen Urteile
Gesetzeskraft beilegt, ein Vorgang, der sich schwerlich mit der An-
nahme vereinigen läſst, daſs Sigismund an demselben Tage eine neue
Redaktion der Gesetzsammlung publiziert habe.

Die Lex Burgundionum wollte nicht bloſs für die Burgunder
gelten, sondern sollte auch bei Rechtshändeln zwischen Römern und
Burgundern zur Anwendung gelangen 20. Die Rechtsbeziehungen der
Römer unter einander regelte die Gundobada nicht; für sie blieb das
römische Recht in Geltung und wurde im burgundischen Reiche aus
römischen Rechtsquellen ein besonderes Rechtsbuch, die Lex Romana
Burgundionum, abgefaſst. Doch haben in die Gundobada einzelne
Konstitutionen Aufnahme gefunden, welche die Burgunder und die
Römer gemeinsamen Rechtssätzen unterwarfen und sonach die Be-
deutung eines allgemeinen burgundischen Reichsrechtes besaſsen 21.

Obzwar zur Zeit ihrer Abfassung kaum ein halbes Jahrhundert
seit der Verpflanzung der Burgunder nach Gallien verflossen war,

leges mitiores instituit, ne Romanos obpraemerent, eine Nachricht, die sehr wohl
von einzelnen Novellen Gundobads verstanden werden kann. Bluhme meint, daſs
Gundobads zweite Redaktion 105 Titel umfaſst habe, und schlieſst dies aus der
Überschrift: sub titulo CV invenimus in libro constitutionum, die er dahin auslegt,
daſs Sigismund in dem 105. Titel der Konstitutionen seines Vaters gefunden habe.
Allein wie Binding S 42 seiner Ausgabe bemerkt, fehlt das Wort constitutionum
in allen Handschriften und ist mit den besseren Handschriften Constantini zu lesen,
auf dessen Konstitution in Cod. Theod. II 30 Bezug genommen wird. CV mit claris-
simi viri (statt viri clarissimi) aufzulösen, ist bedenklich. Es mag dahingestellt blei-
ben, wie die Verstümmelung. entstand. Jedenfalls gehört die Stelle nicht in die
Gundobada. Der Rechtssatz, daſs Pfändung von Ochsen mit Tod bestraft werde,
hat für die Burgunder nie gegolten (Gund. 19) und brauchte für sie nicht aufgehoben
zu werden. Vielleicht steckt in Tit. 105 eine Novelle zum Papian.
19 In Dei nomine anno secundo regni domni nostri gloriosissimi (Sigismundi)
Gundobadi regis liber constitutionum de praeteritis et praesentibus atque in per-
petuum conservandis legibus et datum sub die IV Kal. April. Keine Handschrift
hat beide Königsnamen. Entweder fehlt Sigismundi oder Gundobadi. Binding
hält (Ausgabe S 2 Anm 1) die Worte et datum sub die IV Kal. April. anno secundo
regni d. gl. Sigismundi für den Zusatz eines Schreibers, der dieses Datum unter
einer von Sigismund in die Sammlung eingefügten Novelle gefunden und die Schluſs-
worte anno secundo usw. wegen Mangels an Raum über den Anfang der Überschrift
Gundobadi regis liber … legibus gesetzt habe.
20 Prima const. c. 2. Vgl. Bluhme, Jahrb. I 72 ff.
21 Titel 4, 1: tam Burgundio quam Romanus; 4, 3; 4, 4; 6, 3; 6, 9 u. öfter.
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[338/0356] § 44. Die Lex Burgundionum. angebliche Redaktion, welche auf eine der prima constitutio voraus- gehende Notiz gestützt wird 19, fällt die Thatsache ins Gewicht, daſs uns in Titel 52 der Lex ein Gesetz vom 29. März 517 erhalten ist, worin Sigismund eine Lücke der früheren Gesetzgebung ausfüllen will, indem er einem aus Anlaſs eines Rechtsfalles ausgesprochenen Urteile Gesetzeskraft beilegt, ein Vorgang, der sich schwerlich mit der An- nahme vereinigen läſst, daſs Sigismund an demselben Tage eine neue Redaktion der Gesetzsammlung publiziert habe. Die Lex Burgundionum wollte nicht bloſs für die Burgunder gelten, sondern sollte auch bei Rechtshändeln zwischen Römern und Burgundern zur Anwendung gelangen 20. Die Rechtsbeziehungen der Römer unter einander regelte die Gundobada nicht; für sie blieb das römische Recht in Geltung und wurde im burgundischen Reiche aus römischen Rechtsquellen ein besonderes Rechtsbuch, die Lex Romana Burgundionum, abgefaſst. Doch haben in die Gundobada einzelne Konstitutionen Aufnahme gefunden, welche die Burgunder und die Römer gemeinsamen Rechtssätzen unterwarfen und sonach die Be- deutung eines allgemeinen burgundischen Reichsrechtes besaſsen 21. Obzwar zur Zeit ihrer Abfassung kaum ein halbes Jahrhundert seit der Verpflanzung der Burgunder nach Gallien verflossen war, 18 19 In Dei nomine anno secundo regni domni nostri gloriosissimi (Sigismundi) Gundobadi regis liber constitutionum de praeteritis et praesentibus atque in per- petuum conservandis legibus et datum sub die IV Kal. April. Keine Handschrift hat beide Königsnamen. Entweder fehlt Sigismundi oder Gundobadi. Binding hält (Ausgabe S 2 Anm 1) die Worte et datum sub die IV Kal. April. anno secundo regni d. gl. Sigismundi für den Zusatz eines Schreibers, der dieses Datum unter einer von Sigismund in die Sammlung eingefügten Novelle gefunden und die Schluſs- worte anno secundo usw. wegen Mangels an Raum über den Anfang der Überschrift Gundobadi regis liber … legibus gesetzt habe. 20 Prima const. c. 2. Vgl. Bluhme, Jahrb. I 72 ff. 21 Titel 4, 1: tam Burgundio quam Romanus; 4, 3; 4, 4; 6, 3; 6, 9 u. öfter. 18 leges mitiores instituit, ne Romanos obpraemerent, eine Nachricht, die sehr wohl von einzelnen Novellen Gundobads verstanden werden kann. Bluhme meint, daſs Gundobads zweite Redaktion 105 Titel umfaſst habe, und schlieſst dies aus der Überschrift: sub titulo CV invenimus in libro constitutionum, die er dahin auslegt, daſs Sigismund in dem 105. Titel der Konstitutionen seines Vaters gefunden habe. Allein wie Binding S 42 seiner Ausgabe bemerkt, fehlt das Wort constitutionum in allen Handschriften und ist mit den besseren Handschriften Constantini zu lesen, auf dessen Konstitution in Cod. Theod. II 30 Bezug genommen wird. CV mit claris- simi viri (statt viri clarissimi) aufzulösen, ist bedenklich. Es mag dahingestellt blei- ben, wie die Verstümmelung. entstand. Jedenfalls gehört die Stelle nicht in die Gundobada. Der Rechtssatz, daſs Pfändung von Ochsen mit Tod bestraft werde, hat für die Burgunder nie gegolten (Gund. 19) und brauchte für sie nicht aufgehoben zu werden. Vielleicht steckt in Tit. 105 eine Novelle zum Papian.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/356>, abgerufen am 20.05.2024.