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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 44. Die Lex Burgundionum.
sondern hat, von Anfang an in der Sammlung vertreten, mindestens
in Kapitel 1 eine etwas unbeholfene Umarbeitung erfahren, welche
Trümmer des ursprünglichen Textes stehen liess 17.

Von der Novellengesetzgebung, wie sie unter Gundobad und
Sigismund thätig war, wurden die Titel der ersten Masse verhältnis-
mässig am wenigsten berührt. Wie viele Titel der zweiten Masse
ursprünglich im Liber constitutionum standen, lässt sich nicht mit
Sicherheit angeben. Nachdem die Novellengesetzgebung die Gesamt-
zahl der Titel auf 88 erhöht hatte, fügten einzelne Abschreiber der
geschlossenen Sammlung hinter Titel 88 teils neueste, teils veraltete
Gesetze hinzu.

Die herrschende Ansicht spricht sich dahin aus, dass die Lex
Burgundionum eine mehrmalige amtliche Redaktion erfahren habe.
Eine zweite Redaktion soll noch König Gundobad selbst und zwar
bald nach 501, eine dritte König Sigismund am 29. März 517 publi-
ziert haben. Nur letztere sei uns überliefert. Allein die Gestalt, in
der die Lex vorliegt, der Mangel an systematischer Ordnung, die Fülle
von Widersprüchen, die Hinweisungen auf Gesetze, die in der Samm-
lung fehlen, lassen sich kaum als das Ergebnis einer einheitlichen
amtlichen Umarbeitung erklären. Für eine zweite Redaktion Gundo-
bads fehlt es an festen Anhaltspunkten 18. Und gegen Sigismunds

proprietas besonders zu betonen. Nur die Absicht, eine Parallelstelle zu Gundob.
1, 3 zu schaffen, vermag den Passus völlig zu erklären. Da man füglich nicht an-
nehmen kann, dass auch in die Lex Rom. Burg. Titel 1 nachträglich eingeschoben
worden sei, so muss schon Gundobads Liber constitutionum in seinem ersten Titel
ein seiner jetzigen Überschrift entsprechendes Gesetz enthalten haben, von welchem
u. a. 1, 3 ein Überrest ist.
17 Tit. 1, 1 ist in seiner vorliegenden Gestalt jünger wie Tit. 51 u. Tit. 24, 5.
Wie wir aus Tit. 51 erfahren, bestimmte die ältere Gesetzgebung, dass der Vater
sein Vermögen mit den Söhnen zu gleichem Rechte (aequo iure) teilen solle und
über die bei der Teilung ihm zugefallene portio frei verfügen könne. Tit. 1, 1
spricht aber dem Vater schon vor erfolgter Abteilung die volle Verfügungsfreiheit
über sein Vermögen zu, ausgenommen die terra sortis titulo adquisita, wofür das
ältere Recht, prioris legis ordo in Geltung bleiben solle. Höchst wahrscheinlich
enthielt Titel 1, 1 in seiner ursprünglichen Fassung jene ältere Satzung. Als der
Gesetzgeber, vermutlich Sigismund, sie änderte, liess er den für die Novelle durch-
aus unpassenden Eingang: quia nihil de praestita patribus donandi licentia vel
munificentia dominantium fuerat constitutum stehen, verwies aber nichtsdestoweniger
hinsichtlich der sortes auf den prior legis ordo. Tit. 24, 5 passt nicht zur Titel-
rubrik und hat vielleicht früher in Tit. 1 gestanden. Vgl. Brunner, Landschen-
kungen, in Berliner Sitzungsber. 1885 S 1189.
18 Gregor von Tours berichtet Hist. Fr. II 33, Gundobad habe nach dem Tode
seines Bruders Godegisel den Burgundern mildere Gesetze gegeben, Burgundionibus
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 22

§ 44. Die Lex Burgundionum.
sondern hat, von Anfang an in der Sammlung vertreten, mindestens
in Kapitel 1 eine etwas unbeholfene Umarbeitung erfahren, welche
Trümmer des ursprünglichen Textes stehen lieſs 17.

Von der Novellengesetzgebung, wie sie unter Gundobad und
Sigismund thätig war, wurden die Titel der ersten Masse verhältnis-
mäſsig am wenigsten berührt. Wie viele Titel der zweiten Masse
ursprünglich im Liber constitutionum standen, läſst sich nicht mit
Sicherheit angeben. Nachdem die Novellengesetzgebung die Gesamt-
zahl der Titel auf 88 erhöht hatte, fügten einzelne Abschreiber der
geschlossenen Sammlung hinter Titel 88 teils neueste, teils veraltete
Gesetze hinzu.

Die herrschende Ansicht spricht sich dahin aus, daſs die Lex
Burgundionum eine mehrmalige amtliche Redaktion erfahren habe.
Eine zweite Redaktion soll noch König Gundobad selbst und zwar
bald nach 501, eine dritte König Sigismund am 29. März 517 publi-
ziert haben. Nur letztere sei uns überliefert. Allein die Gestalt, in
der die Lex vorliegt, der Mangel an systematischer Ordnung, die Fülle
von Widersprüchen, die Hinweisungen auf Gesetze, die in der Samm-
lung fehlen, lassen sich kaum als das Ergebnis einer einheitlichen
amtlichen Umarbeitung erklären. Für eine zweite Redaktion Gundo-
bads fehlt es an festen Anhaltspunkten 18. Und gegen Sigismunds

proprietas besonders zu betonen. Nur die Absicht, eine Parallelstelle zu Gundob.
1, 3 zu schaffen, vermag den Passus völlig zu erklären. Da man füglich nicht an-
nehmen kann, daſs auch in die Lex Rom. Burg. Titel 1 nachträglich eingeschoben
worden sei, so muſs schon Gundobads Liber constitutionum in seinem ersten Titel
ein seiner jetzigen Überschrift entsprechendes Gesetz enthalten haben, von welchem
u. a. 1, 3 ein Überrest ist.
17 Tit. 1, 1 ist in seiner vorliegenden Gestalt jünger wie Tit. 51 u. Tit. 24, 5.
Wie wir aus Tit. 51 erfahren, bestimmte die ältere Gesetzgebung, daſs der Vater
sein Vermögen mit den Söhnen zu gleichem Rechte (aequo iure) teilen solle und
über die bei der Teilung ihm zugefallene portio frei verfügen könne. Tit. 1, 1
spricht aber dem Vater schon vor erfolgter Abteilung die volle Verfügungsfreiheit
über sein Vermögen zu, ausgenommen die terra sortis titulo adquisita, wofür das
ältere Recht, prioris legis ordo in Geltung bleiben solle. Höchst wahrscheinlich
enthielt Titel 1, 1 in seiner ursprünglichen Fassung jene ältere Satzung. Als der
Gesetzgeber, vermutlich Sigismund, sie änderte, lieſs er den für die Novelle durch-
aus unpassenden Eingang: quia nihil de praestita patribus donandi licentia vel
munificentia dominantium fuerat constitutum stehen, verwies aber nichtsdestoweniger
hinsichtlich der sortes auf den prior legis ordo. Tit. 24, 5 paſst nicht zur Titel-
rubrik und hat vielleicht früher in Tit. 1 gestanden. Vgl. Brunner, Landschen-
kungen, in Berliner Sitzungsber. 1885 S 1189.
18 Gregor von Tours berichtet Hist. Fr. II 33, Gundobad habe nach dem Tode
seines Bruders Godegisel den Burgundern mildere Gesetze gegeben, Burgundionibus
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 22
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[337/0355] § 44. Die Lex Burgundionum. sondern hat, von Anfang an in der Sammlung vertreten, mindestens in Kapitel 1 eine etwas unbeholfene Umarbeitung erfahren, welche Trümmer des ursprünglichen Textes stehen lieſs 17. Von der Novellengesetzgebung, wie sie unter Gundobad und Sigismund thätig war, wurden die Titel der ersten Masse verhältnis- mäſsig am wenigsten berührt. Wie viele Titel der zweiten Masse ursprünglich im Liber constitutionum standen, läſst sich nicht mit Sicherheit angeben. Nachdem die Novellengesetzgebung die Gesamt- zahl der Titel auf 88 erhöht hatte, fügten einzelne Abschreiber der geschlossenen Sammlung hinter Titel 88 teils neueste, teils veraltete Gesetze hinzu. Die herrschende Ansicht spricht sich dahin aus, daſs die Lex Burgundionum eine mehrmalige amtliche Redaktion erfahren habe. Eine zweite Redaktion soll noch König Gundobad selbst und zwar bald nach 501, eine dritte König Sigismund am 29. März 517 publi- ziert haben. Nur letztere sei uns überliefert. Allein die Gestalt, in der die Lex vorliegt, der Mangel an systematischer Ordnung, die Fülle von Widersprüchen, die Hinweisungen auf Gesetze, die in der Samm- lung fehlen, lassen sich kaum als das Ergebnis einer einheitlichen amtlichen Umarbeitung erklären. Für eine zweite Redaktion Gundo- bads fehlt es an festen Anhaltspunkten 18. Und gegen Sigismunds 16 17 Tit. 1, 1 ist in seiner vorliegenden Gestalt jünger wie Tit. 51 u. Tit. 24, 5. Wie wir aus Tit. 51 erfahren, bestimmte die ältere Gesetzgebung, daſs der Vater sein Vermögen mit den Söhnen zu gleichem Rechte (aequo iure) teilen solle und über die bei der Teilung ihm zugefallene portio frei verfügen könne. Tit. 1, 1 spricht aber dem Vater schon vor erfolgter Abteilung die volle Verfügungsfreiheit über sein Vermögen zu, ausgenommen die terra sortis titulo adquisita, wofür das ältere Recht, prioris legis ordo in Geltung bleiben solle. Höchst wahrscheinlich enthielt Titel 1, 1 in seiner ursprünglichen Fassung jene ältere Satzung. Als der Gesetzgeber, vermutlich Sigismund, sie änderte, lieſs er den für die Novelle durch- aus unpassenden Eingang: quia nihil de praestita patribus donandi licentia vel munificentia dominantium fuerat constitutum stehen, verwies aber nichtsdestoweniger hinsichtlich der sortes auf den prior legis ordo. Tit. 24, 5 paſst nicht zur Titel- rubrik und hat vielleicht früher in Tit. 1 gestanden. Vgl. Brunner, Landschen- kungen, in Berliner Sitzungsber. 1885 S 1189. 18 Gregor von Tours berichtet Hist. Fr. II 33, Gundobad habe nach dem Tode seines Bruders Godegisel den Burgundern mildere Gesetze gegeben, Burgundionibus 16 proprietas besonders zu betonen. Nur die Absicht, eine Parallelstelle zu Gundob. 1, 3 zu schaffen, vermag den Passus völlig zu erklären. Da man füglich nicht an- nehmen kann, daſs auch in die Lex Rom. Burg. Titel 1 nachträglich eingeschoben worden sei, so muſs schon Gundobads Liber constitutionum in seinem ersten Titel ein seiner jetzigen Überschrift entsprechendes Gesetz enthalten haben, von welchem u. a. 1, 3 ein Überrest ist. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 22

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/355>, abgerufen am 20.05.2024.