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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 44. Die Lex Burgundionum.
2--41. Eigentümlich ist ihr die altertümliche Form der Satzung.
Die meisten Titel beginnen mit si quis oder quicunque oder ähnlich.
Nur selten finden sich Verweisungen auf ältere Gesetze 6 und ver-
hältnismässig gering sind die Spuren nachträglicher Einschaltung und
Überarbeitung 7. Einen anderen Charakter hat die zweite Masse, der
die Titel 42--88 angehören. Die Sprache der Satzung ist minder
knapp und liebt es, die einzuführenden Rechtssätze zu motivieren.
Viele Konstitutionen, darunter gleich die erste der zweiten Masse,
tragen die Datierungszeile an sich 8. Die einzelnen Gesetze geben
sich sehr oft durch Wortlaut oder Inhalt als Abänderungen oder Er-
gänzungen älterer Konstitutionen zu erkennen 9. Die dritte Masse,
Titel 89--104, ist ein buntes Gemisch verschiedenartiger Bestandteile.
Einzelne Titel erweisen sich als veraltete Gesetze, welche teils Gun-
dobads Redaktion des Corpus constitutionum, teils die Novellengesetz-
gebung ausser Kraft gesetzt haben mag, so die Titel 90--104 mit der
altertümlichen Einkleidung si quis, quicumque. Titel 105 ist ein
fremdartiges Einschiebsel. Titel 89 und 109 stammen von Sigismund,
dem Sohn und Nachfolger Gundobads, Titel 106 und 108 von Gun-
dobad. Titel 107 enthält die Beschlüsse einer Reichsversammlung,
welche zu Amberieux und zwar wahrscheinlich von Godomar, dem
letzten burgundischen Könige, abgehalten worden ist 10. Der Stand
der handschriftlichen Überlieferung und der Inhalt der einzelnen
Stücke führen zu dem Ergebnis, dass die Titel 89--109 der Lex nie-
mals angehörten oder aus ihr ausgemerzt worden waren, aber von
den Abschreibern in dem Bestreben, den vorhandenen Rechtsstoff
möglichst vollständig zusammenzutragen, als Anhänge zugefügt wurden.

6 Tit. 4, 7 verweist auf eine Lex über entlaufene Pferde, die uns nicht mehr
erhalten ist. Vermutlich ist die Konstitution gemeint, die der König in Tit. 49, 4
vor Zeiten aufgehoben zu haben erklärt.
7 Über Tit. 1 s. unt. Anm 16. In 2, 1 sind die Worte aut servum regis natione
duntaxat barbarum eingeschaltet worden. Denn Tit. 50, 1 kennt für die Tötung
des königl. Aktors nicht die Todesstrafe wie 11, 1, sondern ein Wergeld von 150
solidi. In Tit. 14 sind die §§ 5--7 zu Gunsten der Töchter, die den Schleier ge-
nommen haben, vermutlich von Sigismund eingefügt worden. Vgl. Bluhme, LL III
558 Anm 39. Tit. 34, 4 ist jünger wie 34, 2: Loening, Kirchenr. II 619 Anm 1;
Tit. 36 jünger wie das Concil von Epao; vgl. Loening, Kirchenr. II 547. 548.
8 Datiert sind Tit. 42 vom 3. Sept. 501, Tit. 45 vom 27. Mai 501, Tit. 52 vom
29. März 517, Tit. 62 vom 10. Juni 517, Tit. 76 vom 27. Juni 513, Tit. 79 vom
1. März 515.
9 Siehe Gaupp, Ansiedlungen S 305 ff.
10 Bluhme setzt diesen Reichstag in das Jahr 501, Binding in das Jahr 524.
Für Godomars Autorschaft hat sich auch Gaupp, Ansiedl. S 317 ausgesprochen.

§ 44. Die Lex Burgundionum.
2—41. Eigentümlich ist ihr die altertümliche Form der Satzung.
Die meisten Titel beginnen mit si quis oder quicunque oder ähnlich.
Nur selten finden sich Verweisungen auf ältere Gesetze 6 und ver-
hältnismäſsig gering sind die Spuren nachträglicher Einschaltung und
Überarbeitung 7. Einen anderen Charakter hat die zweite Masse, der
die Titel 42—88 angehören. Die Sprache der Satzung ist minder
knapp und liebt es, die einzuführenden Rechtssätze zu motivieren.
Viele Konstitutionen, darunter gleich die erste der zweiten Masse,
tragen die Datierungszeile an sich 8. Die einzelnen Gesetze geben
sich sehr oft durch Wortlaut oder Inhalt als Abänderungen oder Er-
gänzungen älterer Konstitutionen zu erkennen 9. Die dritte Masse,
Titel 89—104, ist ein buntes Gemisch verschiedenartiger Bestandteile.
Einzelne Titel erweisen sich als veraltete Gesetze, welche teils Gun-
dobads Redaktion des Corpus constitutionum, teils die Novellengesetz-
gebung auſser Kraft gesetzt haben mag, so die Titel 90—104 mit der
altertümlichen Einkleidung si quis, quicumque. Titel 105 ist ein
fremdartiges Einschiebsel. Titel 89 und 109 stammen von Sigismund,
dem Sohn und Nachfolger Gundobads, Titel 106 und 108 von Gun-
dobad. Titel 107 enthält die Beschlüsse einer Reichsversammlung,
welche zu Ambérieux und zwar wahrscheinlich von Godomar, dem
letzten burgundischen Könige, abgehalten worden ist 10. Der Stand
der handschriftlichen Überlieferung und der Inhalt der einzelnen
Stücke führen zu dem Ergebnis, daſs die Titel 89—109 der Lex nie-
mals angehörten oder aus ihr ausgemerzt worden waren, aber von
den Abschreibern in dem Bestreben, den vorhandenen Rechtsstoff
möglichst vollständig zusammenzutragen, als Anhänge zugefügt wurden.

6 Tit. 4, 7 verweist auf eine Lex über entlaufene Pferde, die uns nicht mehr
erhalten ist. Vermutlich ist die Konstitution gemeint, die der König in Tit. 49, 4
vor Zeiten aufgehoben zu haben erklärt.
7 Über Tit. 1 s. unt. Anm 16. In 2, 1 sind die Worte aut servum regis natione
duntaxat barbarum eingeschaltet worden. Denn Tit. 50, 1 kennt für die Tötung
des königl. Aktors nicht die Todesstrafe wie 11, 1, sondern ein Wergeld von 150
solidi. In Tit. 14 sind die §§ 5—7 zu Gunsten der Töchter, die den Schleier ge-
nommen haben, vermutlich von Sigismund eingefügt worden. Vgl. Bluhme, LL III
558 Anm 39. Tit. 34, 4 ist jünger wie 34, 2: Loening, Kirchenr. II 619 Anm 1;
Tit. 36 jünger wie das Concil von Epao; vgl. Loening, Kirchenr. II 547. 548.
8 Datiert sind Tit. 42 vom 3. Sept. 501, Tit. 45 vom 27. Mai 501, Tit. 52 vom
29. März 517, Tit. 62 vom 10. Juni 517, Tit. 76 vom 27. Juni 513, Tit. 79 vom
1. März 515.
9 Siehe Gaupp, Ansiedlungen S 305 ff.
10 Bluhme setzt diesen Reichstag in das Jahr 501, Binding in das Jahr 524.
Für Godomars Autorschaft hat sich auch Gaupp, Ansiedl. S 317 ausgesprochen.
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[334/0352] § 44. Die Lex Burgundionum. 2—41. Eigentümlich ist ihr die altertümliche Form der Satzung. Die meisten Titel beginnen mit si quis oder quicunque oder ähnlich. Nur selten finden sich Verweisungen auf ältere Gesetze 6 und ver- hältnismäſsig gering sind die Spuren nachträglicher Einschaltung und Überarbeitung 7. Einen anderen Charakter hat die zweite Masse, der die Titel 42—88 angehören. Die Sprache der Satzung ist minder knapp und liebt es, die einzuführenden Rechtssätze zu motivieren. Viele Konstitutionen, darunter gleich die erste der zweiten Masse, tragen die Datierungszeile an sich 8. Die einzelnen Gesetze geben sich sehr oft durch Wortlaut oder Inhalt als Abänderungen oder Er- gänzungen älterer Konstitutionen zu erkennen 9. Die dritte Masse, Titel 89—104, ist ein buntes Gemisch verschiedenartiger Bestandteile. Einzelne Titel erweisen sich als veraltete Gesetze, welche teils Gun- dobads Redaktion des Corpus constitutionum, teils die Novellengesetz- gebung auſser Kraft gesetzt haben mag, so die Titel 90—104 mit der altertümlichen Einkleidung si quis, quicumque. Titel 105 ist ein fremdartiges Einschiebsel. Titel 89 und 109 stammen von Sigismund, dem Sohn und Nachfolger Gundobads, Titel 106 und 108 von Gun- dobad. Titel 107 enthält die Beschlüsse einer Reichsversammlung, welche zu Ambérieux und zwar wahrscheinlich von Godomar, dem letzten burgundischen Könige, abgehalten worden ist 10. Der Stand der handschriftlichen Überlieferung und der Inhalt der einzelnen Stücke führen zu dem Ergebnis, daſs die Titel 89—109 der Lex nie- mals angehörten oder aus ihr ausgemerzt worden waren, aber von den Abschreibern in dem Bestreben, den vorhandenen Rechtsstoff möglichst vollständig zusammenzutragen, als Anhänge zugefügt wurden. 6 Tit. 4, 7 verweist auf eine Lex über entlaufene Pferde, die uns nicht mehr erhalten ist. Vermutlich ist die Konstitution gemeint, die der König in Tit. 49, 4 vor Zeiten aufgehoben zu haben erklärt. 7 Über Tit. 1 s. unt. Anm 16. In 2, 1 sind die Worte aut servum regis natione duntaxat barbarum eingeschaltet worden. Denn Tit. 50, 1 kennt für die Tötung des königl. Aktors nicht die Todesstrafe wie 11, 1, sondern ein Wergeld von 150 solidi. In Tit. 14 sind die §§ 5—7 zu Gunsten der Töchter, die den Schleier ge- nommen haben, vermutlich von Sigismund eingefügt worden. Vgl. Bluhme, LL III 558 Anm 39. Tit. 34, 4 ist jünger wie 34, 2: Loening, Kirchenr. II 619 Anm 1; Tit. 36 jünger wie das Concil von Epao; vgl. Loening, Kirchenr. II 547. 548. 8 Datiert sind Tit. 42 vom 3. Sept. 501, Tit. 45 vom 27. Mai 501, Tit. 52 vom 29. März 517, Tit. 62 vom 10. Juni 517, Tit. 76 vom 27. Juni 513, Tit. 79 vom 1. März 515. 9 Siehe Gaupp, Ansiedlungen S 305 ff. 10 Bluhme setzt diesen Reichstag in das Jahr 501, Binding in das Jahr 524. Für Godomars Autorschaft hat sich auch Gaupp, Ansiedl. S 317 ausgesprochen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/352>, abgerufen am 22.11.2024.