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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 44. Die Lex Burgundionum.
ordnungen, die eine unparteiische und unbestechliche Rechtspflege
sicherstellen wollen, und schärft die Beobachtung der in der Lex ver-
einigten Gesetze ein. Schliesslich erklärt der Gesetzgeber, dass er
sein Werk durch die Unterschriften seiner Grafen habe bestätigen
lassen. Es folgen denn auch auf die prima constitutio die Hand-
zeichen und Namen von 31 burgundischen Grafen. Wenn die Erklärung
so vieler gleichzeitiger Grafen Burgunds auf Schwierigkeiten stösst, so
ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Handzeichen nicht sämt-
lich bei der Publikation des Gesetzes, sondern zum Teil nachträglich
beigefügt wurden 4, indem man später ernannte Grafen successive bei
passendem Anlass durch ihre Unterschrift auf das Gesetzbuch ver-
pflichtete.

Gundobads Konstitutionensammlung ist uns nicht in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt erhalten. Sie hat durch die Novellengesetzgebung
Gundobads und seiner Nachfolger Erweiterungen und tief einschnei-
dende Änderungen erfahren, welche die alte Anlage in Unordnung und
Verwirrung brachten.

Von den zwölf überlieferten Handschriften, deren keine über das
neunte Jahrhundert hinaufreicht, haben fünf einen Text von 105
Titeln, die übrigen bringen nur 88 Titel oder fügen ihnen eine An-
zahl von Nachträgen in verschiedenartiger Anordnung hinzu 5.

Der gesamte handschriftlich überlieferte Stoff der burgundischen
Königsgesetze, welche auf die prima constitutio folgen, zerfällt in drei
verschiedenartige Massen. Die erste Masse besteht, wenn wir von
dem nachträglich überarbeiteten Titel 1 zunächst absehen, aus Titel

4 Wie dies mitunter bei mittelalterlichen Urkunden hinsichtlich der Zeugen-
signa der Fall war. S. Ficker, Neue Beiträge zur Urkundenlehre, Mitth. des
Instituts für österr. Geschichtsforschung I 42.
5 Durch die Ursprünglichkeit des Textes erscheint Cod. K, Paris. 4626, als
die beachtenswerteste Handschrift. Er endet hinter Titel 88 mit den Worten: ex-
plicit liber legis Salicae. Der mit K verwandte Cod. L hat zwischen Titel 88 und
den Nachträgen die Worte: explicit liber legum feliciter. Amen. Cod. M hat einen
Index von 88 numerierten Titeln, worauf 19 ungezählte Rubriken folgen. F G H,
bei Bluhme Codices decurtati genannt, enthalten nur 88 Titel der Lex. Bluhme
hat in seiner Ausgabe die Codices mit 105 Titeln A B C D E in die erste Reihe
gestellt und verkennt, dass die kürzeren Handschriften die Lex richtiger wieder-
geben und dass der "Überschuss, welchen die reichhaltigeren Handschriften zu ge-
währen scheinen, zu dem allen Handschriften gemeinsamen Grundstock nicht passt":
Boretius a. O. S 9. -- Herold hat nur einen Teil der Lex (bis 19, 5) abge-
druckt. Wahrscheinlich benutzte er eine von Freundes Hand verfertigte Abschrift,
der die Schlussbemerkung: hactenus quae habere potuimus angehörte. Von der-
selben Hand rührt wohl auch die Bemerkung über die Weglassung der Grafen-
namen her.

§ 44. Die Lex Burgundionum.
ordnungen, die eine unparteiische und unbestechliche Rechtspflege
sicherstellen wollen, und schärft die Beobachtung der in der Lex ver-
einigten Gesetze ein. Schlieſslich erklärt der Gesetzgeber, daſs er
sein Werk durch die Unterschriften seiner Grafen habe bestätigen
lassen. Es folgen denn auch auf die prima constitutio die Hand-
zeichen und Namen von 31 burgundischen Grafen. Wenn die Erklärung
so vieler gleichzeitiger Grafen Burgunds auf Schwierigkeiten stöſst, so
ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daſs die Handzeichen nicht sämt-
lich bei der Publikation des Gesetzes, sondern zum Teil nachträglich
beigefügt wurden 4, indem man später ernannte Grafen successive bei
passendem Anlaſs durch ihre Unterschrift auf das Gesetzbuch ver-
pflichtete.

Gundobads Konstitutionensammlung ist uns nicht in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt erhalten. Sie hat durch die Novellengesetzgebung
Gundobads und seiner Nachfolger Erweiterungen und tief einschnei-
dende Änderungen erfahren, welche die alte Anlage in Unordnung und
Verwirrung brachten.

Von den zwölf überlieferten Handschriften, deren keine über das
neunte Jahrhundert hinaufreicht, haben fünf einen Text von 105
Titeln, die übrigen bringen nur 88 Titel oder fügen ihnen eine An-
zahl von Nachträgen in verschiedenartiger Anordnung hinzu 5.

Der gesamte handschriftlich überlieferte Stoff der burgundischen
Königsgesetze, welche auf die prima constitutio folgen, zerfällt in drei
verschiedenartige Massen. Die erste Masse besteht, wenn wir von
dem nachträglich überarbeiteten Titel 1 zunächst absehen, aus Titel

4 Wie dies mitunter bei mittelalterlichen Urkunden hinsichtlich der Zeugen-
signa der Fall war. S. Ficker, Neue Beiträge zur Urkundenlehre, Mitth. des
Instituts für österr. Geschichtsforschung I 42.
5 Durch die Ursprünglichkeit des Textes erscheint Cod. K, Paris. 4626, als
die beachtenswerteste Handschrift. Er endet hinter Titel 88 mit den Worten: ex-
plicit liber legis Salicae. Der mit K verwandte Cod. L hat zwischen Titel 88 und
den Nachträgen die Worte: explicit liber legum feliciter. Amen. Cod. M hat einen
Index von 88 numerierten Titeln, worauf 19 ungezählte Rubriken folgen. F G H,
bei Bluhme Codices decurtati genannt, enthalten nur 88 Titel der Lex. Bluhme
hat in seiner Ausgabe die Codices mit 105 Titeln A B C D E in die erste Reihe
gestellt und verkennt, daſs die kürzeren Handschriften die Lex richtiger wieder-
geben und daſs der „Überschuſs, welchen die reichhaltigeren Handschriften zu ge-
währen scheinen, zu dem allen Handschriften gemeinsamen Grundstock nicht paſst“:
Boretius a. O. S 9. — Herold hat nur einen Teil der Lex (bis 19, 5) abge-
druckt. Wahrscheinlich benutzte er eine von Freundes Hand verfertigte Abschrift,
der die Schluſsbemerkung: hactenus quae habere potuimus angehörte. Von der-
selben Hand rührt wohl auch die Bemerkung über die Weglassung der Grafen-
namen her.
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[333/0351] § 44. Die Lex Burgundionum. ordnungen, die eine unparteiische und unbestechliche Rechtspflege sicherstellen wollen, und schärft die Beobachtung der in der Lex ver- einigten Gesetze ein. Schlieſslich erklärt der Gesetzgeber, daſs er sein Werk durch die Unterschriften seiner Grafen habe bestätigen lassen. Es folgen denn auch auf die prima constitutio die Hand- zeichen und Namen von 31 burgundischen Grafen. Wenn die Erklärung so vieler gleichzeitiger Grafen Burgunds auf Schwierigkeiten stöſst, so ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daſs die Handzeichen nicht sämt- lich bei der Publikation des Gesetzes, sondern zum Teil nachträglich beigefügt wurden 4, indem man später ernannte Grafen successive bei passendem Anlaſs durch ihre Unterschrift auf das Gesetzbuch ver- pflichtete. Gundobads Konstitutionensammlung ist uns nicht in ihrer ur- sprünglichen Gestalt erhalten. Sie hat durch die Novellengesetzgebung Gundobads und seiner Nachfolger Erweiterungen und tief einschnei- dende Änderungen erfahren, welche die alte Anlage in Unordnung und Verwirrung brachten. Von den zwölf überlieferten Handschriften, deren keine über das neunte Jahrhundert hinaufreicht, haben fünf einen Text von 105 Titeln, die übrigen bringen nur 88 Titel oder fügen ihnen eine An- zahl von Nachträgen in verschiedenartiger Anordnung hinzu 5. Der gesamte handschriftlich überlieferte Stoff der burgundischen Königsgesetze, welche auf die prima constitutio folgen, zerfällt in drei verschiedenartige Massen. Die erste Masse besteht, wenn wir von dem nachträglich überarbeiteten Titel 1 zunächst absehen, aus Titel 4 Wie dies mitunter bei mittelalterlichen Urkunden hinsichtlich der Zeugen- signa der Fall war. S. Ficker, Neue Beiträge zur Urkundenlehre, Mitth. des Instituts für österr. Geschichtsforschung I 42. 5 Durch die Ursprünglichkeit des Textes erscheint Cod. K, Paris. 4626, als die beachtenswerteste Handschrift. Er endet hinter Titel 88 mit den Worten: ex- plicit liber legis Salicae. Der mit K verwandte Cod. L hat zwischen Titel 88 und den Nachträgen die Worte: explicit liber legum feliciter. Amen. Cod. M hat einen Index von 88 numerierten Titeln, worauf 19 ungezählte Rubriken folgen. F G H, bei Bluhme Codices decurtati genannt, enthalten nur 88 Titel der Lex. Bluhme hat in seiner Ausgabe die Codices mit 105 Titeln A B C D E in die erste Reihe gestellt und verkennt, daſs die kürzeren Handschriften die Lex richtiger wieder- geben und daſs der „Überschuſs, welchen die reichhaltigeren Handschriften zu ge- währen scheinen, zu dem allen Handschriften gemeinsamen Grundstock nicht paſst“: Boretius a. O. S 9. — Herold hat nur einen Teil der Lex (bis 19, 5) abge- druckt. Wahrscheinlich benutzte er eine von Freundes Hand verfertigte Abschrift, der die Schluſsbemerkung: hactenus quae habere potuimus angehörte. Von der- selben Hand rührt wohl auch die Bemerkung über die Weglassung der Grafen- namen her.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/351>, abgerufen am 22.11.2024.