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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 40. Die Lex Ribuaria.
62 verraten sich als ein eingeschobenes Königsgesetz11). Es handelt
von den Freilassungen und von der Übereignung des Grundbesitzes.
Die Berücksichtigung kirchlicher Ansprüche und Interessen lässt ver-
muten, dass der Satzung ein Kompromiss des Königtums mit der
Kirche zu Grunde lag. Die Titel 65 bis 79 zeichnen sich durch die
in den Leges sonst so spärlich vertretenen Normen des öffentlichen
Rechtes aus. Ausserdem enthalten sie prozess- und strafrechtliche
Sätze zum Teil altertümlichen Inhalts. Von den letzten zehn Titeln
sind sechs (80, 82--86) der Lex Salica nachgebildet.

Die Entstehung der Lex reicht jedenfalls in die merowingische
Zeit zurück. Sie muss im wesentlichen zum Abschluss gelangt sein,
als das Königtum noch kräftig war und der maior domus noch nicht
eine das Königtum lahmlegende Machtfülle erlangt hatte, weil in
Titel 88 dem Hausmeier ebenso wie anderen Beamten die Todes-
strafe angedroht wird, falls er in gerichtlicher Thätigkeit Geschenke
annimmt. Das weist auf die Zeit vor dem Tode Dagoberts I. (639)
hin, des letzten merowingischen Königs, der ein kraftvolles persön-
liches Regiment zu führen wusste. Für die ältere merowingische Zeit
spricht auch die ursprüngliche Fassung des Titels 36, c. 5; welche
dem niederen Kleriker nicht das Wergeld seiner Geburt, sondern
schlechtweg das des Römers beilegt und damit voraussetzt, dass noch
fast ausschliesslich Romanen die niederen ordines innehaben12). Das
eingeschobene Königsgesetz macht der Kirche eine Reihe von Kon-
zessionen, die über das Mass der Zugeständnisse hinausgehen, welche
ihr durch ein Edikt Chlothars II. von 614 zuteil geworden sind13).
Es ist also jedenfalls erst nach 614, wahrscheinlich erst unter
Dagobert I., 628--639 entstanden. Gleichfalls unter Dagobert
scheinen die Titel 65--89 abgefasst worden zu sein. Schon oben
S 289 wurde angedeutet, dass die Nachricht des Aufsatzes De auc-
toribus legum über Dagoberts gesetzgeberische Thätigkeit auf eine
ribuarische Satzung dieses Königs zurückgehen dürfte. Dagegen
reicht die Entstehung der übrigen Bestandteile vermutlich noch in
das sechste Jahrhundert hinauf14). Titel 53 setzt den Fall, dass ein

11) Tit. 60 c. 2--8, ursprünglich wohl durch die Rubrik de testamentis regum
zusammengefasst, ist mit Sohm, Praef. S 189 f. für älter zu erachten.
12) Loening, Kirchenr. II 296 ff. Sohm, Praef. S 188. E. Mayer S 10 ff.
Schröder, Z2 f. RG VII 26. Die bald nach Anfang des 8. Jahrh. abgefasste Lex
Alam. (Hlo. 15) bestimmt das Wergeld des Klerikers bereits nach seinem Geburtsrechte.
13) Loening, Kirchenrecht II 238 f. 741. Schröder a. O. S 23.
14) Sohm a. O. S 192 unterscheidet vier Teile der Lex u. das Königsgesetz. Der
erste (1--31) sei in der ersten, der zweite (32--64) in der zweiten Hälfte des 6. Jahrh.,

§ 40. Die Lex Ribuaria.
62 verraten sich als ein eingeschobenes Königsgesetz11). Es handelt
von den Freilassungen und von der Übereignung des Grundbesitzes.
Die Berücksichtigung kirchlicher Ansprüche und Interessen läſst ver-
muten, daſs der Satzung ein Kompromiſs des Königtums mit der
Kirche zu Grunde lag. Die Titel 65 bis 79 zeichnen sich durch die
in den Leges sonst so spärlich vertretenen Normen des öffentlichen
Rechtes aus. Auſserdem enthalten sie prozeſs- und strafrechtliche
Sätze zum Teil altertümlichen Inhalts. Von den letzten zehn Titeln
sind sechs (80, 82—86) der Lex Salica nachgebildet.

Die Entstehung der Lex reicht jedenfalls in die merowingische
Zeit zurück. Sie muſs im wesentlichen zum Abschluſs gelangt sein,
als das Königtum noch kräftig war und der maior domus noch nicht
eine das Königtum lahmlegende Machtfülle erlangt hatte, weil in
Titel 88 dem Hausmeier ebenso wie anderen Beamten die Todes-
strafe angedroht wird, falls er in gerichtlicher Thätigkeit Geschenke
annimmt. Das weist auf die Zeit vor dem Tode Dagoberts I. (639)
hin, des letzten merowingischen Königs, der ein kraftvolles persön-
liches Regiment zu führen wuſste. Für die ältere merowingische Zeit
spricht auch die ursprüngliche Fassung des Titels 36, c. 5; welche
dem niederen Kleriker nicht das Wergeld seiner Geburt, sondern
schlechtweg das des Römers beilegt und damit voraussetzt, daſs noch
fast ausschlieſslich Romanen die niederen ordines innehaben12). Das
eingeschobene Königsgesetz macht der Kirche eine Reihe von Kon-
zessionen, die über das Maſs der Zugeständnisse hinausgehen, welche
ihr durch ein Edikt Chlothars II. von 614 zuteil geworden sind13).
Es ist also jedenfalls erst nach 614, wahrscheinlich erst unter
Dagobert I., 628—639 entstanden. Gleichfalls unter Dagobert
scheinen die Titel 65—89 abgefaſst worden zu sein. Schon oben
S 289 wurde angedeutet, daſs die Nachricht des Aufsatzes De auc-
toribus legum über Dagoberts gesetzgeberische Thätigkeit auf eine
ribuarische Satzung dieses Königs zurückgehen dürfte. Dagegen
reicht die Entstehung der übrigen Bestandteile vermutlich noch in
das sechste Jahrhundert hinauf14). Titel 53 setzt den Fall, daſs ein

11) Tit. 60 c. 2—8, ursprünglich wohl durch die Rubrik de testamentis regum
zusammengefaſst, ist mit Sohm, Praef. S 189 f. für älter zu erachten.
12) Loening, Kirchenr. II 296 ff. Sohm, Praef. S 188. E. Mayer S 10 ff.
Schröder, Z2 f. RG VII 26. Die bald nach Anfang des 8. Jahrh. abgefaſste Lex
Alam. (Hlo. 15) bestimmt das Wergeld des Klerikers bereits nach seinem Geburtsrechte.
13) Loening, Kirchenrecht II 238 f. 741. Schröder a. O. S 23.
14) Sohm a. O. S 192 unterscheidet vier Teile der Lex u. das Königsgesetz. Der
erste (1—31) sei in der ersten, der zweite (32—64) in der zweiten Hälfte des 6. Jahrh.,
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[306/0324] § 40. Die Lex Ribuaria. 62 verraten sich als ein eingeschobenes Königsgesetz 11). Es handelt von den Freilassungen und von der Übereignung des Grundbesitzes. Die Berücksichtigung kirchlicher Ansprüche und Interessen läſst ver- muten, daſs der Satzung ein Kompromiſs des Königtums mit der Kirche zu Grunde lag. Die Titel 65 bis 79 zeichnen sich durch die in den Leges sonst so spärlich vertretenen Normen des öffentlichen Rechtes aus. Auſserdem enthalten sie prozeſs- und strafrechtliche Sätze zum Teil altertümlichen Inhalts. Von den letzten zehn Titeln sind sechs (80, 82—86) der Lex Salica nachgebildet. Die Entstehung der Lex reicht jedenfalls in die merowingische Zeit zurück. Sie muſs im wesentlichen zum Abschluſs gelangt sein, als das Königtum noch kräftig war und der maior domus noch nicht eine das Königtum lahmlegende Machtfülle erlangt hatte, weil in Titel 88 dem Hausmeier ebenso wie anderen Beamten die Todes- strafe angedroht wird, falls er in gerichtlicher Thätigkeit Geschenke annimmt. Das weist auf die Zeit vor dem Tode Dagoberts I. (639) hin, des letzten merowingischen Königs, der ein kraftvolles persön- liches Regiment zu führen wuſste. Für die ältere merowingische Zeit spricht auch die ursprüngliche Fassung des Titels 36, c. 5; welche dem niederen Kleriker nicht das Wergeld seiner Geburt, sondern schlechtweg das des Römers beilegt und damit voraussetzt, daſs noch fast ausschlieſslich Romanen die niederen ordines innehaben 12). Das eingeschobene Königsgesetz macht der Kirche eine Reihe von Kon- zessionen, die über das Maſs der Zugeständnisse hinausgehen, welche ihr durch ein Edikt Chlothars II. von 614 zuteil geworden sind 13). Es ist also jedenfalls erst nach 614, wahrscheinlich erst unter Dagobert I., 628—639 entstanden. Gleichfalls unter Dagobert scheinen die Titel 65—89 abgefaſst worden zu sein. Schon oben S 289 wurde angedeutet, daſs die Nachricht des Aufsatzes De auc- toribus legum über Dagoberts gesetzgeberische Thätigkeit auf eine ribuarische Satzung dieses Königs zurückgehen dürfte. Dagegen reicht die Entstehung der übrigen Bestandteile vermutlich noch in das sechste Jahrhundert hinauf 14). Titel 53 setzt den Fall, daſs ein 11) Tit. 60 c. 2—8, ursprünglich wohl durch die Rubrik de testamentis regum zusammengefaſst, ist mit Sohm, Praef. S 189 f. für älter zu erachten. 12) Loening, Kirchenr. II 296 ff. Sohm, Praef. S 188. E. Mayer S 10 ff. Schröder, Z2 f. RG VII 26. Die bald nach Anfang des 8. Jahrh. abgefaſste Lex Alam. (Hlo. 15) bestimmt das Wergeld des Klerikers bereits nach seinem Geburtsrechte. 13) Loening, Kirchenrecht II 238 f. 741. Schröder a. O. S 23. 14) Sohm a. O. S 192 unterscheidet vier Teile der Lex u. das Königsgesetz. Der erste (1—31) sei in der ersten, der zweite (32—64) in der zweiten Hälfte des 6. Jahrh.,

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/324>, abgerufen am 25.11.2024.