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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 38. Die Volksrechte.
umfassende Thätigkeit bestimmter merowingischer Könige zurückführt.
Sie findet sich in einem Aufsatz de legibus (auctoribus legum) 9, der
handschriftlich zumeist als Prolog zur Lex Baiuwariorum überliefert
ist 10. Drei Stellen dieses Prologs, der mit den Worten: Moyses
gentis Hebreae primus omnium divinas leges sacris litteris explicavit
beginnt, sind einem Werke des Bischofs Isidor von Sevilla, den sog.
Origines seu etymologiae entlehnt, aber nicht unmittelbar, sondern nach
Auszügen, welche vor dem Breviarium Alaricianum vorkommen 11.
Eingeschoben ist zwischen die entlehnten Stücke die selbständige
Notiz 12, König Theoderich habe zu Chalons weise und rechtskundige
Männer ausgewählt und mit ihrer Hilfe die Rechte der Franken, der
Alamannen und Baiern aufzeichnen lassen. Childebert und Chlothar
hätten sein Werk im Sinne der Christianisierung des Rechts zu Ende ge-
führt; schliesslich habe König Dagobert durch vier Männer, Namens
Claudius, Chadoind 13, Magnus und Agilulf, eine Revision vornehmen
lassen und allen Stämmen ihre geschriebenen Rechte gegeben, welche
bis heute in Geltung seien.

Diese Erzählung ist unglaubwürdig, denn sie lässt sich mit der
Entstehungsgeschichte der darin genannten Leges nicht in Einklang
bringen 14. Höchst wahrscheinlich beruht sie, soweit sie sich auf die

9 Vgl. über ihn v. Daniels, RG I 203 und Merkel im Archiv XI 615.
10 Er findet sich vereinzelt auch als Prolog zur Lex Salica, zur Lex Alaman-
norum und zur Lex Wisigothorum. Wahrscheinlich war er ursprünglich nicht für
eine einzelne Lex, sondern für einen Sammelkodex bestimmt, der ausser den frän-
kischen Leges auch die Lex Baiuw. und die Lex Alamannorum enthielt.
11 v. Daniels a. O. S 204.
12 Theodericus rex Francorum, cum esset Catalaunis, elegit viros sapientes, qui
in regno suo legibus antiquis eruditi erant. Ipso autem dictante iussit conscribere
legem Francorum et Alamannorum et Baioariorum unicuique genti quae in eius
potestate erant, secundum consuetudinem suam, addidit quae addenda erant et in-
provisa et inconposita resecavit et quae erant secundum consuetudinem paganorum
mutavit secundum legem christianorum. Et quicquid Theodericus rex propter ve-
tustissimam paganorum consuetudinem emendare non potuit, post haec Hildebertus
rex inchoavit, sed Lotharius rex perfecit. Haec omnia Dagobertus rex gloriosissimus
per viros illustres Claudio, Chadoindo, Magno et Agilulfo renovavit et omnia vetera
legum in melius transtulit et unicuique genti scripta tradidit, quae usque hodie
perseverant. LL III 259.
13 Ein Chadoind war königlicher Referendar in der Zeit Dagoberts. Merkel,
LL III 219 Anm 84.
14 Eine gleichzeitige Satzung der Lex Sal. und Rib. und der Leges Alam.
und Baiuw. ist schlechterdings undenkbar. Vgl. im übrigen v. Daniels a. O.
Unkritisch ist es, die Nachricht des Prologs auf die Ribuarier, Alamannen und
Baiern zu beschränken. Unter den Franci sind sicher auch die Salier gemeint.

§ 38. Die Volksrechte.
umfassende Thätigkeit bestimmter merowingischer Könige zurückführt.
Sie findet sich in einem Aufsatz de legibus (auctoribus legum) 9, der
handschriftlich zumeist als Prolog zur Lex Baiuwariorum überliefert
ist 10. Drei Stellen dieses Prologs, der mit den Worten: Moyses
gentis Hebreae primus omnium divinas leges sacris litteris explicavit
beginnt, sind einem Werke des Bischofs Isidor von Sevilla, den sog.
Origines seu etymologiae entlehnt, aber nicht unmittelbar, sondern nach
Auszügen, welche vor dem Breviarium Alaricianum vorkommen 11.
Eingeschoben ist zwischen die entlehnten Stücke die selbständige
Notiz 12, König Theoderich habe zu Chalons weise und rechtskundige
Männer ausgewählt und mit ihrer Hilfe die Rechte der Franken, der
Alamannen und Baiern aufzeichnen lassen. Childebert und Chlothar
hätten sein Werk im Sinne der Christianisierung des Rechts zu Ende ge-
führt; schlieſslich habe König Dagobert durch vier Männer, Namens
Claudius, Chadoind 13, Magnus und Agilulf, eine Revision vornehmen
lassen und allen Stämmen ihre geschriebenen Rechte gegeben, welche
bis heute in Geltung seien.

Diese Erzählung ist unglaubwürdig, denn sie läſst sich mit der
Entstehungsgeschichte der darin genannten Leges nicht in Einklang
bringen 14. Höchst wahrscheinlich beruht sie, soweit sie sich auf die

9 Vgl. über ihn v. Daniels, RG I 203 und Merkel im Archiv XI 615.
10 Er findet sich vereinzelt auch als Prolog zur Lex Salica, zur Lex Alaman-
norum und zur Lex Wisigothorum. Wahrscheinlich war er ursprünglich nicht für
eine einzelne Lex, sondern für einen Sammelkodex bestimmt, der auſser den frän-
kischen Leges auch die Lex Baiuw. und die Lex Alamannorum enthielt.
11 v. Daniels a. O. S 204.
12 Theodericus rex Francorum, cum esset Catalaunis, elegit viros sapientes, qui
in regno suo legibus antiquis eruditi erant. Ipso autem dictante iussit conscribere
legem Francorum et Alamannorum et Baioariorum unicuique genti quae in eius
potestate erant, secundum consuetudinem suam, addidit quae addenda erant et in-
provisa et inconposita resecavit et quae erant secundum consuetudinem paganorum
mutavit secundum legem christianorum. Et quicquid Theodericus rex propter ve-
tustissimam paganorum consuetudinem emendare non potuit, post haec Hildebertus
rex inchoavit, sed Lotharius rex perfecit. Haec omnia Dagobertus rex gloriosissimus
per viros illustres Claudio, Chadoindo, Magno et Agilulfo renovavit et omnia vetera
legum in melius transtulit et unicuique genti scripta tradidit, quae usque hodie
perseverant. LL III 259.
13 Ein Chadoind war königlicher Referendar in der Zeit Dagoberts. Merkel,
LL III 219 Anm 84.
14 Eine gleichzeitige Satzung der Lex Sal. und Rib. und der Leges Alam.
und Baiuw. ist schlechterdings undenkbar. Vgl. im übrigen v. Daniels a. O.
Unkritisch ist es, die Nachricht des Prologs auf die Ribuarier, Alamannen und
Baiern zu beschränken. Unter den Franci sind sicher auch die Salier gemeint.
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[288/0306] § 38. Die Volksrechte. umfassende Thätigkeit bestimmter merowingischer Könige zurückführt. Sie findet sich in einem Aufsatz de legibus (auctoribus legum) 9, der handschriftlich zumeist als Prolog zur Lex Baiuwariorum überliefert ist 10. Drei Stellen dieses Prologs, der mit den Worten: Moyses gentis Hebreae primus omnium divinas leges sacris litteris explicavit beginnt, sind einem Werke des Bischofs Isidor von Sevilla, den sog. Origines seu etymologiae entlehnt, aber nicht unmittelbar, sondern nach Auszügen, welche vor dem Breviarium Alaricianum vorkommen 11. Eingeschoben ist zwischen die entlehnten Stücke die selbständige Notiz 12, König Theoderich habe zu Chalons weise und rechtskundige Männer ausgewählt und mit ihrer Hilfe die Rechte der Franken, der Alamannen und Baiern aufzeichnen lassen. Childebert und Chlothar hätten sein Werk im Sinne der Christianisierung des Rechts zu Ende ge- führt; schlieſslich habe König Dagobert durch vier Männer, Namens Claudius, Chadoind 13, Magnus und Agilulf, eine Revision vornehmen lassen und allen Stämmen ihre geschriebenen Rechte gegeben, welche bis heute in Geltung seien. Diese Erzählung ist unglaubwürdig, denn sie läſst sich mit der Entstehungsgeschichte der darin genannten Leges nicht in Einklang bringen 14. Höchst wahrscheinlich beruht sie, soweit sie sich auf die 9 Vgl. über ihn v. Daniels, RG I 203 und Merkel im Archiv XI 615. 10 Er findet sich vereinzelt auch als Prolog zur Lex Salica, zur Lex Alaman- norum und zur Lex Wisigothorum. Wahrscheinlich war er ursprünglich nicht für eine einzelne Lex, sondern für einen Sammelkodex bestimmt, der auſser den frän- kischen Leges auch die Lex Baiuw. und die Lex Alamannorum enthielt. 11 v. Daniels a. O. S 204. 12 Theodericus rex Francorum, cum esset Catalaunis, elegit viros sapientes, qui in regno suo legibus antiquis eruditi erant. Ipso autem dictante iussit conscribere legem Francorum et Alamannorum et Baioariorum unicuique genti quae in eius potestate erant, secundum consuetudinem suam, addidit quae addenda erant et in- provisa et inconposita resecavit et quae erant secundum consuetudinem paganorum mutavit secundum legem christianorum. Et quicquid Theodericus rex propter ve- tustissimam paganorum consuetudinem emendare non potuit, post haec Hildebertus rex inchoavit, sed Lotharius rex perfecit. Haec omnia Dagobertus rex gloriosissimus per viros illustres Claudio, Chadoindo, Magno et Agilulfo renovavit et omnia vetera legum in melius transtulit et unicuique genti scripta tradidit, quae usque hodie perseverant. LL III 259. 13 Ein Chadoind war königlicher Referendar in der Zeit Dagoberts. Merkel, LL III 219 Anm 84. 14 Eine gleichzeitige Satzung der Lex Sal. und Rib. und der Leges Alam. und Baiuw. ist schlechterdings undenkbar. Vgl. im übrigen v. Daniels a. O. Unkritisch ist es, die Nachricht des Prologs auf die Ribuarier, Alamannen und Baiern zu beschränken. Unter den Franci sind sicher auch die Salier gemeint.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/306>, abgerufen am 23.11.2024.