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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 35. Das Fremdenrecht u. das Judenrecht.
Fremde heisst in den langobardischen Rechtsdenkmälern 6 waregangus,
in einer fränkischen Quelle wargengus 7, bei den Angelsachsen
vaergenga 8. Sonst wird der Fremde auch der Elende (alilanti) ge-
nannt. Im Lateinischen erscheint er als peregrinus, alienigena oder
als albanus 9. Ein ausschliessliches Recht des Königs, den Fremden zu
schützen, wie es später in dem Begriffe des Fremdenregals auftritt,
hat in fränkischer Zeit nicht bestanden. Der Schutz des Königs greift
nur ergänzend ein. In angelsächsischen Quellen wird mehrfach betont,
dass der König für den Fremden Mag und Mundherr sein soll, wenn
er keinen anderen hat. Fremdlinge, welche Unterthanen zu Herren
haben, sich als Hausgenossen im Schutze eines Unterthans befinden,
werden in fränkischen und in bairischen Quellen vorausgesetzt 10.

Der Fremde lebt nach dem persönlichen Rechte des Schutzherrn,
also wenn er unter dem Schutze des Königs steht, nach dem persön-
lichen Rechte des Königs. Daher gilt für den wargangus des Lango-
bardenreiches das langobardische Recht, es müsste ihm denn der
König durch besonderes Privileg den Genuss eines anderen Rechtes
verstattet haben 11. Für das fränkische Reichsrecht ist uns durch ein
Mandat Karls des Grossen zu Gunsten des Schottenklosters Honau
der Grundsatz überliefert, dass das Besitztum der Fremden nach
fränkischem Rechte einzuklagen sei 12. Durch den Schutz des Königs
erlangt der Fremde ein Wergeld, welches nach dem fränkischen
Rechte in vollem Betrage an den König fällt 13, während der angel-
sächsische König es mit den Magen des Erschlagenen teilt 14. Das
Erbe des Fremden gelangt nach langobardischem Rechte in Er-

6 Rothari 367, Registrum Farfense II, Nr 199 v. J. 813: guaregangus homo.
Radelgisi et Siginulfi div. v. J. 851 c. 12, LL IV 222: de waregnangis.
7 Lex Chamav. c. 9. In einer lothringischen Urkunde von 1069, Waitz, Urkk.
z. D. VG, 2. Aufl., S 17 findet sich warganeus wohl für wargancus.
8 Grimm bringt das Wort RA S 396 mit altnord. ver Wohnung zusammen
und sieht in dem wargango den Vagabunden, der zu den Wohnungen der Leute
kommt und bettelt. Allein näher scheint der Zusammenhang mit ahd. wara
schützende Obhut, Schutz zu liegen. Schade, WB S 1096; Graff I 907. Dann wäre
wargangus so viel wie der im Schutze Wandelnde. In den Fundstellen der angels.
Poesie Dan. 663, Gauthlac 685 hat vaergenga, vergenga (von varu Schutz) die Be-
deutung von Gefährte, Schützling. Grein, Sprsch. II 650.
9 Französisch aubain, doch wohl von alibi.
10 Cap. I 447 c. 2. Const. Ransh. c. 3, LL III 484.
11 Rothari 367.
12 Mühlbacher, Regesten Nr 152. Vgl. Brunner, Zeugen- u. Inquisitions-
beweis S 82.
13 Lex Chamav. c. 9. Es ist ein erhöhtes Wergeld von 600 solidi.
14 Ine 23.

§ 35. Das Fremdenrecht u. das Judenrecht.
Fremde heiſst in den langobardischen Rechtsdenkmälern 6 waregangus,
in einer fränkischen Quelle wargengus 7, bei den Angelsachsen
værgenga 8. Sonst wird der Fremde auch der Elende (alilanti) ge-
nannt. Im Lateinischen erscheint er als peregrinus, alienigena oder
als albanus 9. Ein ausschlieſsliches Recht des Königs, den Fremden zu
schützen, wie es später in dem Begriffe des Fremdenregals auftritt,
hat in fränkischer Zeit nicht bestanden. Der Schutz des Königs greift
nur ergänzend ein. In angelsächsischen Quellen wird mehrfach betont,
daſs der König für den Fremden Mag und Mundherr sein soll, wenn
er keinen anderen hat. Fremdlinge, welche Unterthanen zu Herren
haben, sich als Hausgenossen im Schutze eines Unterthans befinden,
werden in fränkischen und in bairischen Quellen vorausgesetzt 10.

Der Fremde lebt nach dem persönlichen Rechte des Schutzherrn,
also wenn er unter dem Schutze des Königs steht, nach dem persön-
lichen Rechte des Königs. Daher gilt für den wargangus des Lango-
bardenreiches das langobardische Recht, es müſste ihm denn der
König durch besonderes Privileg den Genuſs eines anderen Rechtes
verstattet haben 11. Für das fränkische Reichsrecht ist uns durch ein
Mandat Karls des Groſsen zu Gunsten des Schottenklosters Honau
der Grundsatz überliefert, daſs das Besitztum der Fremden nach
fränkischem Rechte einzuklagen sei 12. Durch den Schutz des Königs
erlangt der Fremde ein Wergeld, welches nach dem fränkischen
Rechte in vollem Betrage an den König fällt 13, während der angel-
sächsische König es mit den Magen des Erschlagenen teilt 14. Das
Erbe des Fremden gelangt nach langobardischem Rechte in Er-

6 Rothari 367, Registrum Farfense II, Nr 199 v. J. 813: guaregangus homo.
Radelgisi et Siginulfi div. v. J. 851 c. 12, LL IV 222: de waregnangis.
7 Lex Chamav. c. 9. In einer lothringischen Urkunde von 1069, Waitz, Urkk.
z. D. VG, 2. Aufl., S 17 findet sich warganeus wohl für wargancus.
8 Grimm bringt das Wort RA S 396 mit altnord. ver Wohnung zusammen
und sieht in dem wargango den Vagabunden, der zu den Wohnungen der Leute
kommt und bettelt. Allein näher scheint der Zusammenhang mit ahd. wara
schützende Obhut, Schutz zu liegen. Schade, WB S 1096; Graff I 907. Dann wäre
wargangus so viel wie der im Schutze Wandelnde. In den Fundstellen der angels.
Poesie Dan. 663, Gûthlâc 685 hat værgenga, vergenga (von varu Schutz) die Be-
deutung von Gefährte, Schützling. Grein, Sprsch. II 650.
9 Französisch aubain, doch wohl von alibi.
10 Cap. I 447 c. 2. Const. Ransh. c. 3, LL III 484.
11 Rothari 367.
12 Mühlbacher, Regesten Nr 152. Vgl. Brunner, Zeugen- u. Inquisitions-
beweis S 82.
13 Lex Chamav. c. 9. Es ist ein erhöhtes Wergeld von 600 solidi.
14 Ine 23.
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[274/0292] § 35. Das Fremdenrecht u. das Judenrecht. Fremde heiſst in den langobardischen Rechtsdenkmälern 6 waregangus, in einer fränkischen Quelle wargengus 7, bei den Angelsachsen værgenga 8. Sonst wird der Fremde auch der Elende (alilanti) ge- nannt. Im Lateinischen erscheint er als peregrinus, alienigena oder als albanus 9. Ein ausschlieſsliches Recht des Königs, den Fremden zu schützen, wie es später in dem Begriffe des Fremdenregals auftritt, hat in fränkischer Zeit nicht bestanden. Der Schutz des Königs greift nur ergänzend ein. In angelsächsischen Quellen wird mehrfach betont, daſs der König für den Fremden Mag und Mundherr sein soll, wenn er keinen anderen hat. Fremdlinge, welche Unterthanen zu Herren haben, sich als Hausgenossen im Schutze eines Unterthans befinden, werden in fränkischen und in bairischen Quellen vorausgesetzt 10. Der Fremde lebt nach dem persönlichen Rechte des Schutzherrn, also wenn er unter dem Schutze des Königs steht, nach dem persön- lichen Rechte des Königs. Daher gilt für den wargangus des Lango- bardenreiches das langobardische Recht, es müſste ihm denn der König durch besonderes Privileg den Genuſs eines anderen Rechtes verstattet haben 11. Für das fränkische Reichsrecht ist uns durch ein Mandat Karls des Groſsen zu Gunsten des Schottenklosters Honau der Grundsatz überliefert, daſs das Besitztum der Fremden nach fränkischem Rechte einzuklagen sei 12. Durch den Schutz des Königs erlangt der Fremde ein Wergeld, welches nach dem fränkischen Rechte in vollem Betrage an den König fällt 13, während der angel- sächsische König es mit den Magen des Erschlagenen teilt 14. Das Erbe des Fremden gelangt nach langobardischem Rechte in Er- 6 Rothari 367, Registrum Farfense II, Nr 199 v. J. 813: guaregangus homo. Radelgisi et Siginulfi div. v. J. 851 c. 12, LL IV 222: de waregnangis. 7 Lex Chamav. c. 9. In einer lothringischen Urkunde von 1069, Waitz, Urkk. z. D. VG, 2. Aufl., S 17 findet sich warganeus wohl für wargancus. 8 Grimm bringt das Wort RA S 396 mit altnord. ver Wohnung zusammen und sieht in dem wargango den Vagabunden, der zu den Wohnungen der Leute kommt und bettelt. Allein näher scheint der Zusammenhang mit ahd. wara schützende Obhut, Schutz zu liegen. Schade, WB S 1096; Graff I 907. Dann wäre wargangus so viel wie der im Schutze Wandelnde. In den Fundstellen der angels. Poesie Dan. 663, Gûthlâc 685 hat værgenga, vergenga (von varu Schutz) die Be- deutung von Gefährte, Schützling. Grein, Sprsch. II 650. 9 Französisch aubain, doch wohl von alibi. 10 Cap. I 447 c. 2. Const. Ransh. c. 3, LL III 484. 11 Rothari 367. 12 Mühlbacher, Regesten Nr 152. Vgl. Brunner, Zeugen- u. Inquisitions- beweis S 82. 13 Lex Chamav. c. 9. Es ist ein erhöhtes Wergeld von 600 solidi. 14 Ine 23.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/292>, abgerufen am 22.11.2024.