Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
Die Beschränkungen, denen sie im römischen Reiche aus öffentlich-
rechtlichen Gesichtspunkten unterworfen waren, sind im Frankenreiche
privatrechtliche Beschränkungen geworden. Der Kolone ist erblich
an die Scholle gebunden; will er sich seiner Abhängigkeit entziehen,
so kann der Herr ihn vindizieren und wird er ebenso wie der ent-
laufene Knecht dem obsiegenden Kläger vom Gerichte durch handhafte
Tradition übergeben 18. Das Grundstück, welches mit dem Kolonen
besetzt ist, kann nicht ohne ihn, er nicht ohne das Grundstück ver-
äussert werden. Die Abgaben und Dienste, welche der Kolone von
seiner Person ("de caput suum") dem Herrn schuldet, werden als
colonitium, colonaticum bezeichnet 19. Darin ist wohl auch die Kopf-
steuer aufgegangen, welcher die Kolonen als plebs rustica nach der
römischen Steuerverfassung unterworfen waren und welche der Herr
zu erheben hatte. In den fränkischen Quellen erscheint der Kolone
als tributarius, homo tributalis 20. Wie der vollfreie Römer im Wer-
gelde dem freien Franken nachsteht, so hat nach der Lex Salica der
Romanus tributarius ein geringeres Wergeld als der Lite 21. Das
jüngere Recht beseitigte diese Ungleichheit und gab ihm ein Wergeld
von 100 solidi 22.

Wenig verschieden von dem Kolonen war der bei den Baiern
genannte Parschalk, der gelegentlich auch als Kolone bezeichnet
wird 23. Er frondet, zahlt Abgaben, leistet Botendienste und kann
mit seinem Hofe veräussert werden. Sein Wergeld, dessen Höhe un-
bekannt ist, wird vom Herrn eingeklagt und bezogen 24. Der Stand
der Parschalken nahm ohne Zweifel eine erbliche Mittelstellung zwi-
schen Freien und Knechten ein 25.

18 Carta Senon. 20; Form. Senon. rec. 1; vgl. 3. 6.
19 Form. Senon. rec. 2. 5; Carta Senon. 10; Form. Emmer. I 1: Zeumer S 463.
20 Über die Identität des tributarius und Kolonen Roth, BW S 83 f.
21 Die Handschriften schwanken in Lex Sal. 41, 7 zwischen 45, 63 und
70 solidi.
22 Lex Sal. 79, 2 (6. Kapit. zur Lex Sal. c. 1).
23 Waitz, VG II 1 S 240. Schmeller, Bayer. WB I 253. Zöpfl, Alter-
thümer II 172 ff. Parscalk, fem. pardiu oder parwip ist soviel wie Freiknecht.
Später heissen die Parschalken auch parservi, parmanni, parliut.
24 Graf Hundt, Abhandl. der bayer. Akademie XIII 1 S 14, Nr. 25 v. J. 846:
J. sculdhaisus contraplacitabat adversus E. episcopum ... wergeldum Kaganharti
barscalti sui. An Stelle des Wergeldes wird eine colonica gegen Zins in Zahlung
gegeben, ein Vorgang, der eine nachträgliche Teilung des Wergeldes mit der Sippe
des Erschlagenen ausschliesst.
25 Liberi homines heissen sie Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 481. Dagegen
LL III 486 Z. 3: parscalchi vel alii servi regalis curtis.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 16

§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
Die Beschränkungen, denen sie im römischen Reiche aus öffentlich-
rechtlichen Gesichtspunkten unterworfen waren, sind im Frankenreiche
privatrechtliche Beschränkungen geworden. Der Kolone ist erblich
an die Scholle gebunden; will er sich seiner Abhängigkeit entziehen,
so kann der Herr ihn vindizieren und wird er ebenso wie der ent-
laufene Knecht dem obsiegenden Kläger vom Gerichte durch handhafte
Tradition übergeben 18. Das Grundstück, welches mit dem Kolonen
besetzt ist, kann nicht ohne ihn, er nicht ohne das Grundstück ver-
äuſsert werden. Die Abgaben und Dienste, welche der Kolone von
seiner Person („de caput suum“) dem Herrn schuldet, werden als
colonitium, colonaticum bezeichnet 19. Darin ist wohl auch die Kopf-
steuer aufgegangen, welcher die Kolonen als plebs rustica nach der
römischen Steuerverfassung unterworfen waren und welche der Herr
zu erheben hatte. In den fränkischen Quellen erscheint der Kolone
als tributarius, homo tributalis 20. Wie der vollfreie Römer im Wer-
gelde dem freien Franken nachsteht, so hat nach der Lex Salica der
Romanus tributarius ein geringeres Wergeld als der Lite 21. Das
jüngere Recht beseitigte diese Ungleichheit und gab ihm ein Wergeld
von 100 solidi 22.

Wenig verschieden von dem Kolonen war der bei den Baiern
genannte Parschalk, der gelegentlich auch als Kolone bezeichnet
wird 23. Er frondet, zahlt Abgaben, leistet Botendienste und kann
mit seinem Hofe veräuſsert werden. Sein Wergeld, dessen Höhe un-
bekannt ist, wird vom Herrn eingeklagt und bezogen 24. Der Stand
der Parschalken nahm ohne Zweifel eine erbliche Mittelstellung zwi-
schen Freien und Knechten ein 25.

18 Carta Senon. 20; Form. Senon. rec. 1; vgl. 3. 6.
19 Form. Senon. rec. 2. 5; Carta Senon. 10; Form. Emmer. I 1: Zeumer S 463.
20 Über die Identität des tributarius und Kolonen Roth, BW S 83 f.
21 Die Handschriften schwanken in Lex Sal. 41, 7 zwischen 45, 63 und
70 solidi.
22 Lex Sal. 79, 2 (6. Kapit. zur Lex Sal. c. 1).
23 Waitz, VG II 1 S 240. Schmeller, Bayer. WB I 253. Zöpfl, Alter-
thümer II 172 ff. Parscalk, fem. pardiu oder parwip ist soviel wie Freiknecht.
Später heiſsen die Parschalken auch parservi, parmanni, parliut.
24 Graf Hundt, Abhandl. der bayer. Akademie XIII 1 S 14, Nr. 25 v. J. 846:
J. sculdhaisus contraplacitabat adversus E. episcopum … wergeldum Kaganharti
barscalti sui. An Stelle des Wergeldes wird eine colonica gegen Zins in Zahlung
gegeben, ein Vorgang, der eine nachträgliche Teilung des Wergeldes mit der Sippe
des Erschlagenen ausschlieſst.
25 Liberi homines heiſsen sie Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 481. Dagegen
LL III 486 Z. 3: parscalchi vel alii servi regalis curtis.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0259" n="241"/><fw place="top" type="header">§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.</fw><lb/>
Die Beschränkungen, denen sie im römischen Reiche aus öffentlich-<lb/>
rechtlichen Gesichtspunkten unterworfen waren, sind im Frankenreiche<lb/>
privatrechtliche Beschränkungen geworden. Der Kolone ist erblich<lb/>
an die Scholle gebunden; will er sich seiner Abhängigkeit entziehen,<lb/>
so kann der Herr ihn vindizieren und wird er ebenso wie der ent-<lb/>
laufene Knecht dem obsiegenden Kläger vom Gerichte durch handhafte<lb/>
Tradition übergeben <note place="foot" n="18">Carta Senon. 20; Form. Senon. rec. 1; vgl. 3. 6.</note>. Das Grundstück, welches mit dem Kolonen<lb/>
besetzt ist, kann nicht ohne ihn, er nicht ohne das Grundstück ver-<lb/>
äu&#x017F;sert werden. Die Abgaben und Dienste, welche der Kolone von<lb/>
seiner Person (&#x201E;de caput suum&#x201C;) dem Herrn schuldet, werden als<lb/>
colonitium, colonaticum bezeichnet <note place="foot" n="19">Form. Senon. rec. 2. 5; Carta Senon. 10; Form. Emmer. I 1: <hi rendition="#g">Zeumer</hi> S 463.</note>. Darin ist wohl auch die Kopf-<lb/>
steuer aufgegangen, welcher die Kolonen als plebs rustica nach der<lb/>
römischen Steuerverfassung unterworfen waren und welche der Herr<lb/>
zu erheben hatte. In den fränkischen Quellen erscheint der Kolone<lb/>
als tributarius, homo tributalis <note place="foot" n="20">Über die Identität des tributarius und Kolonen <hi rendition="#g">Roth</hi>, BW S 83 f.</note>. Wie der vollfreie Römer im Wer-<lb/>
gelde dem freien Franken nachsteht, so hat nach der Lex Salica der<lb/>
Romanus tributarius ein geringeres Wergeld als der Lite <note place="foot" n="21">Die Handschriften schwanken in Lex Sal. 41, 7 zwischen 45, 63 und<lb/>
70 solidi.</note>. Das<lb/>
jüngere Recht beseitigte diese Ungleichheit und gab ihm ein Wergeld<lb/>
von 100 solidi <note place="foot" n="22">Lex Sal. 79, 2 (6. Kapit. zur Lex Sal. c. 1).</note>.</p><lb/>
            <p>Wenig verschieden von dem Kolonen war der bei den Baiern<lb/>
genannte Parschalk, der gelegentlich auch als Kolone bezeichnet<lb/>
wird <note place="foot" n="23"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG II 1 S 240. <hi rendition="#g">Schmeller</hi>, Bayer. WB I 253. <hi rendition="#g">Zöpfl</hi>, Alter-<lb/>
thümer II 172 ff. Parscalk, fem. pardiu oder parwip ist soviel wie Freiknecht.<lb/>
Später hei&#x017F;sen die Parschalken auch parservi, parmanni, parliut.</note>. Er frondet, zahlt Abgaben, leistet Botendienste und kann<lb/>
mit seinem Hofe veräu&#x017F;sert werden. Sein Wergeld, dessen Höhe un-<lb/>
bekannt ist, wird vom Herrn eingeklagt und bezogen <note place="foot" n="24">Graf <hi rendition="#g">Hundt</hi>, Abhandl. der bayer. Akademie XIII 1 S 14, Nr. 25 v. J. 846:<lb/>
J. sculdhaisus contraplacitabat adversus E. episcopum &#x2026; wergeldum Kaganharti<lb/>
barscalti sui. An Stelle des Wergeldes wird eine colonica gegen Zins in Zahlung<lb/>
gegeben, ein Vorgang, der eine nachträgliche Teilung des Wergeldes mit der Sippe<lb/>
des Erschlagenen ausschlie&#x017F;st.</note>. Der Stand<lb/>
der Parschalken nahm ohne Zweifel eine erbliche Mittelstellung zwi-<lb/>
schen Freien und Knechten ein <note place="foot" n="25">Liberi homines hei&#x017F;sen sie <hi rendition="#g">Meichelbeck</hi>, Hist. Fris. Nr 481. Dagegen<lb/>
LL III 486 Z. 3: parscalchi vel alii <hi rendition="#g">servi</hi> regalis curtis.</note>.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">Binding, Handbuch. II. 1. I: <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Deutsche Rechtsgesch. I. 16</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0259] § 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen. Die Beschränkungen, denen sie im römischen Reiche aus öffentlich- rechtlichen Gesichtspunkten unterworfen waren, sind im Frankenreiche privatrechtliche Beschränkungen geworden. Der Kolone ist erblich an die Scholle gebunden; will er sich seiner Abhängigkeit entziehen, so kann der Herr ihn vindizieren und wird er ebenso wie der ent- laufene Knecht dem obsiegenden Kläger vom Gerichte durch handhafte Tradition übergeben 18. Das Grundstück, welches mit dem Kolonen besetzt ist, kann nicht ohne ihn, er nicht ohne das Grundstück ver- äuſsert werden. Die Abgaben und Dienste, welche der Kolone von seiner Person („de caput suum“) dem Herrn schuldet, werden als colonitium, colonaticum bezeichnet 19. Darin ist wohl auch die Kopf- steuer aufgegangen, welcher die Kolonen als plebs rustica nach der römischen Steuerverfassung unterworfen waren und welche der Herr zu erheben hatte. In den fränkischen Quellen erscheint der Kolone als tributarius, homo tributalis 20. Wie der vollfreie Römer im Wer- gelde dem freien Franken nachsteht, so hat nach der Lex Salica der Romanus tributarius ein geringeres Wergeld als der Lite 21. Das jüngere Recht beseitigte diese Ungleichheit und gab ihm ein Wergeld von 100 solidi 22. Wenig verschieden von dem Kolonen war der bei den Baiern genannte Parschalk, der gelegentlich auch als Kolone bezeichnet wird 23. Er frondet, zahlt Abgaben, leistet Botendienste und kann mit seinem Hofe veräuſsert werden. Sein Wergeld, dessen Höhe un- bekannt ist, wird vom Herrn eingeklagt und bezogen 24. Der Stand der Parschalken nahm ohne Zweifel eine erbliche Mittelstellung zwi- schen Freien und Knechten ein 25. 18 Carta Senon. 20; Form. Senon. rec. 1; vgl. 3. 6. 19 Form. Senon. rec. 2. 5; Carta Senon. 10; Form. Emmer. I 1: Zeumer S 463. 20 Über die Identität des tributarius und Kolonen Roth, BW S 83 f. 21 Die Handschriften schwanken in Lex Sal. 41, 7 zwischen 45, 63 und 70 solidi. 22 Lex Sal. 79, 2 (6. Kapit. zur Lex Sal. c. 1). 23 Waitz, VG II 1 S 240. Schmeller, Bayer. WB I 253. Zöpfl, Alter- thümer II 172 ff. Parscalk, fem. pardiu oder parwip ist soviel wie Freiknecht. Später heiſsen die Parschalken auch parservi, parmanni, parliut. 24 Graf Hundt, Abhandl. der bayer. Akademie XIII 1 S 14, Nr. 25 v. J. 846: J. sculdhaisus contraplacitabat adversus E. episcopum … wergeldum Kaganharti barscalti sui. An Stelle des Wergeldes wird eine colonica gegen Zins in Zahlung gegeben, ein Vorgang, der eine nachträgliche Teilung des Wergeldes mit der Sippe des Erschlagenen ausschlieſst. 25 Liberi homines heiſsen sie Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 481. Dagegen LL III 486 Z. 3: parscalchi vel alii servi regalis curtis. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/259
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/259>, abgerufen am 23.11.2024.