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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
Lothar I. nach seiner Niederlage bei Fontenoy zur Empörung auf-
gereizt, verbanden sich die sächsischen Frilinge und die Liten zu dem
sogen. Stellingabunde, um die Adeligen aus dem Lande zu treiben
und nach ihrem alten Rechte zu leben 11, eine Erhebung, welche Lud-
wig der Deutsche niederwarf.

Bei den Baiern findet sich keine Spur von Liten. Dafür kennen
ältere bairische Urkunden die Aldien 12, ein Name der sonst nur noch
bei den Langobarden vorkommt. Obwohl der langobardische Aldio,
dessen Stellung durch die Gesetzgebung eingehend geregelt war, etwas
tiefer stand als der Lite 13, hat man doch im fränkischen Reiche beide
auf dieselbe ständische Stufe gestellt. Ein Kapitular Karls des Grossen
bestimmte, dass die königlichen Aldien in Italien nach demselben
Rechte leben und dienen sollen, wie die fränkischen Liten 14, während
andrerseits eine langobardische Urkunde fränkische Liten schlechtweg
als Aldien bezeichnet 15.

Eine den Liten nahe verwandte Klasse von Halbfreien hat auch
bei den Alamannen existiert. In ihrer ältesten Rechtsaufzeichnung,
in dem sog. Pactus Alamannorum, wird sogar der Name der Liten
genannt. Allein eine viel ausführlichere jüngere Satzung und die
zahlreichen Urkunden wissen nichts von alamannischen Liten. Und
da der Pactus auch sonst spezifisch fränkische, den Alamannen durch-
aus fremdartige Ausdrücke enthält 16, so ist anzunehmen, dass das
Wort bei den Alamannen ebensowenig wie bei den Baiern heimisch
war und im Pactus auf einer Entlehnung aus der fränkischen Rechts-
sprache beruht 17.

Halbfrei sind ferner die Kolonen, welche sich in Gallien, in
Baiern und Schwaben aus der römischen Zeit her gehalten haben.

11 Mühlbacher, Regesten S 402. Waitz, VG III 149.
12 Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 26. 28. 40. 43. 45.
13 Er hatte nur ein Wergeld von 60 solidi. Roth. 129. Seine Abhängigkeit
war eine strengere. S. oben S 102.
14 Cap. ital. v. J. 801 c. 6, I 205: Aldiones vel aldianae ad ius publicum
pertinentes ea lege vivant in Italia in servitute dominorum suorum, qua fiscalini
vel lites in Francia.
15 Über Aldien in comitatu Lugdunensi verfügt eine zu Pavia 934 ausgestellte
Urkunde, Chartes de Cluny I 403 Nr 417. Es können nur Liten gemeint sein,
welche der lombardische Notar in der versio langobardica als Aldien bezeichnet.
16 K. Lehmann im NA X 471. 475.
17 Vermutlich hiessen die Halbfreien bei den Alamannen parones wie in Wart-
mann
I Nr 7 v. J. 741; Waitz, VG II 1 S 238. Vgl. die parmanni unten Anm 23.
In den Urkunden werden neben den mancipia und servi genannt liberti, casati,
manentes, accolae. Glossen haben lantsidel und lantsazo für inquilinus, colonus.

§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
Lothar I. nach seiner Niederlage bei Fontenoy zur Empörung auf-
gereizt, verbanden sich die sächsischen Frilinge und die Liten zu dem
sogen. Stellingabunde, um die Adeligen aus dem Lande zu treiben
und nach ihrem alten Rechte zu leben 11, eine Erhebung, welche Lud-
wig der Deutsche niederwarf.

Bei den Baiern findet sich keine Spur von Liten. Dafür kennen
ältere bairische Urkunden die Aldien 12, ein Name der sonst nur noch
bei den Langobarden vorkommt. Obwohl der langobardische Aldio,
dessen Stellung durch die Gesetzgebung eingehend geregelt war, etwas
tiefer stand als der Lite 13, hat man doch im fränkischen Reiche beide
auf dieselbe ständische Stufe gestellt. Ein Kapitular Karls des Groſsen
bestimmte, daſs die königlichen Aldien in Italien nach demselben
Rechte leben und dienen sollen, wie die fränkischen Liten 14, während
andrerseits eine langobardische Urkunde fränkische Liten schlechtweg
als Aldien bezeichnet 15.

Eine den Liten nahe verwandte Klasse von Halbfreien hat auch
bei den Alamannen existiert. In ihrer ältesten Rechtsaufzeichnung,
in dem sog. Pactus Alamannorum, wird sogar der Name der Liten
genannt. Allein eine viel ausführlichere jüngere Satzung und die
zahlreichen Urkunden wissen nichts von alamannischen Liten. Und
da der Pactus auch sonst spezifisch fränkische, den Alamannen durch-
aus fremdartige Ausdrücke enthält 16, so ist anzunehmen, daſs das
Wort bei den Alamannen ebensowenig wie bei den Baiern heimisch
war und im Pactus auf einer Entlehnung aus der fränkischen Rechts-
sprache beruht 17.

Halbfrei sind ferner die Kolonen, welche sich in Gallien, in
Baiern und Schwaben aus der römischen Zeit her gehalten haben.

11 Mühlbacher, Regesten S 402. Waitz, VG III 149.
12 Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 26. 28. 40. 43. 45.
13 Er hatte nur ein Wergeld von 60 solidi. Roth. 129. Seine Abhängigkeit
war eine strengere. S. oben S 102.
14 Cap. ital. v. J. 801 c. 6, I 205: Aldiones vel aldianae ad ius publicum
pertinentes ea lege vivant in Italia in servitute dominorum suorum, qua fiscalini
vel lites in Francia.
15 Über Aldien in comitatu Lugdunensi verfügt eine zu Pavia 934 ausgestellte
Urkunde, Chartes de Cluny I 403 Nr 417. Es können nur Liten gemeint sein,
welche der lombardische Notar in der versio langobardica als Aldien bezeichnet.
16 K. Lehmann im NA X 471. 475.
17 Vermutlich hieſsen die Halbfreien bei den Alamannen parones wie in Wart-
mann
I Nr 7 v. J. 741; Waitz, VG II 1 S 238. Vgl. die parmanni unten Anm 23.
In den Urkunden werden neben den mancipia und servi genannt liberti, casati,
manentes, accolae. Glossen haben lantsidel und lantsazo für inquilinus, colonus.
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[240/0258] § 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen. Lothar I. nach seiner Niederlage bei Fontenoy zur Empörung auf- gereizt, verbanden sich die sächsischen Frilinge und die Liten zu dem sogen. Stellingabunde, um die Adeligen aus dem Lande zu treiben und nach ihrem alten Rechte zu leben 11, eine Erhebung, welche Lud- wig der Deutsche niederwarf. Bei den Baiern findet sich keine Spur von Liten. Dafür kennen ältere bairische Urkunden die Aldien 12, ein Name der sonst nur noch bei den Langobarden vorkommt. Obwohl der langobardische Aldio, dessen Stellung durch die Gesetzgebung eingehend geregelt war, etwas tiefer stand als der Lite 13, hat man doch im fränkischen Reiche beide auf dieselbe ständische Stufe gestellt. Ein Kapitular Karls des Groſsen bestimmte, daſs die königlichen Aldien in Italien nach demselben Rechte leben und dienen sollen, wie die fränkischen Liten 14, während andrerseits eine langobardische Urkunde fränkische Liten schlechtweg als Aldien bezeichnet 15. Eine den Liten nahe verwandte Klasse von Halbfreien hat auch bei den Alamannen existiert. In ihrer ältesten Rechtsaufzeichnung, in dem sog. Pactus Alamannorum, wird sogar der Name der Liten genannt. Allein eine viel ausführlichere jüngere Satzung und die zahlreichen Urkunden wissen nichts von alamannischen Liten. Und da der Pactus auch sonst spezifisch fränkische, den Alamannen durch- aus fremdartige Ausdrücke enthält 16, so ist anzunehmen, daſs das Wort bei den Alamannen ebensowenig wie bei den Baiern heimisch war und im Pactus auf einer Entlehnung aus der fränkischen Rechts- sprache beruht 17. Halbfrei sind ferner die Kolonen, welche sich in Gallien, in Baiern und Schwaben aus der römischen Zeit her gehalten haben. 11 Mühlbacher, Regesten S 402. Waitz, VG III 149. 12 Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 26. 28. 40. 43. 45. 13 Er hatte nur ein Wergeld von 60 solidi. Roth. 129. Seine Abhängigkeit war eine strengere. S. oben S 102. 14 Cap. ital. v. J. 801 c. 6, I 205: Aldiones vel aldianae ad ius publicum pertinentes ea lege vivant in Italia in servitute dominorum suorum, qua fiscalini vel lites in Francia. 15 Über Aldien in comitatu Lugdunensi verfügt eine zu Pavia 934 ausgestellte Urkunde, Chartes de Cluny I 403 Nr 417. Es können nur Liten gemeint sein, welche der lombardische Notar in der versio langobardica als Aldien bezeichnet. 16 K. Lehmann im NA X 471. 475. 17 Vermutlich hieſsen die Halbfreien bei den Alamannen parones wie in Wart- mann I Nr 7 v. J. 741; Waitz, VG II 1 S 238. Vgl. die parmanni unten Anm 23. In den Urkunden werden neben den mancipia und servi genannt liberti, casati, manentes, accolae. Glossen haben lantsidel und lantsazo für inquilinus, colonus.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/258>, abgerufen am 19.05.2024.