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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 28. Die Sippe.

Gesetzgebung und Verwaltung suchten die Teilnahme der Sippe
an Fehde und Wergeld im Interesse des allgemeinen Friedens zu be-
schränken. Ein Dekret König Childeberts II. von 596 setzte die
Todesstrafe auf vermessentliche Tötung. Um den Abschluss einer
aussergerichtlichen Sühne zu erschweren, wurde den Magen des Tot-
schlägers verboten, zur Zahlung des Wergeldes beizusteuern 21. Dass
diese Vorschrift auch nur in dem Reiche Childeberts II. sich in
dauernder Geltung behauptet habe, ist nicht wahrscheinlich. Dagegen
muss in einzelnen Gegenden salischen Rechtes die Haftung der Magen
für das Wergeld schlechtweg ausser Gebrauch gekommen sein 22.
Nach einer Bestimmung des sächsischen Volksrechtes sollen im Falle
des Mordes nur der Mörder und seine Söhne der Fehde ausgesetzt
sein, dagegen nicht die Magen, soferne sie die Magsühne des einfachen
Totschlags bezahlen 23. Das burgundische und das westgotische Recht
schliessen grundsätzlich jede Fehde aus und ebenso jede Haftung der
Sippe für die Missethat eines Sippegenossen 24. Karl der Grosse und
Ludwig I. unternahmen es, die Fehde im Wege der Verwaltung zu
unterdrücken, soweit sie das Volksrecht noch gestattete, indem der
Graf das Recht erhielt, die feindlichen Parteien zum Sühnevertrag
und zur Urfehde zu zwingen.

Bei der Leistung der Eideshilfe wird nicht mehr wie einst an
dem Erfordernis blutsverwandter Eideshelfer festgehalten. Einige Rechte
gestatten der Partei schlechtweg oder doch in Ermangelung von
Blutsverwandten mit beliebig ausgewählten Helfern zu schwören, ein

Unzuverlässigkeit hier nicht in Betracht kommt. Migne, Patrologia lat. XCVI
1409: Cum Sadregiselus dux Aquitanorum ... interfectus esset ... et cum
haberet ... filios in palatio educatos, qui cum facillime possent mortem patris
evindicare noluerunt, propterea postea secundum legem Romanam a regni pro-
ceribus redarguti omnes paternas possessiones perdiderunt. Cumque omnia ad re-
galem fiscum fuissent recepta ... Noch ein sächsischer Jurist des 19. Jahrh.,
Treitschke, De weregildo, 1813, erklärt es mit Rücksicht auf l. 17 Dig. 34, 9 für
einen Indignitätsgrund, der die Entziehung der Erbschaft nach sich ziehe, wenn der
Erbe das Wergeld nicht einklagte, soweit die Wergeldklage nach damaligem kur-
sächsischen Rechte noch platzgriff.
21 Cap. I 16 c. 5.
22 Das ergiebt sich aus einem Zusatz der Heroldina zu Titel 58 der Lex Sal.,
aus der Titelrubrik zu Titel 58 in den Codices 7. 8. 9 und aus der Bemerkung der
Codices B--H: de chrenchruda lege, quae paganorum tempore observabant, deinceps
numquam valeat, quia per ipsam cecidit multorum potestas. Vgl. oben S 206.
23 Lex Sax. c. 19. v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 248. Die verletzte Sippe
konnte diesfalls den Magen des Totschlägers die Annahme des Wergelddrittels nicht
verweigern.
24 Lex Burg. 2, 6. Lex Wisig. VI 1, 8. Dahn, Westgot. Studien S 259.
§ 28. Die Sippe.

Gesetzgebung und Verwaltung suchten die Teilnahme der Sippe
an Fehde und Wergeld im Interesse des allgemeinen Friedens zu be-
schränken. Ein Dekret König Childeberts II. von 596 setzte die
Todesstrafe auf vermessentliche Tötung. Um den Abschluſs einer
auſsergerichtlichen Sühne zu erschweren, wurde den Magen des Tot-
schlägers verboten, zur Zahlung des Wergeldes beizusteuern 21. Daſs
diese Vorschrift auch nur in dem Reiche Childeberts II. sich in
dauernder Geltung behauptet habe, ist nicht wahrscheinlich. Dagegen
muſs in einzelnen Gegenden salischen Rechtes die Haftung der Magen
für das Wergeld schlechtweg auſser Gebrauch gekommen sein 22.
Nach einer Bestimmung des sächsischen Volksrechtes sollen im Falle
des Mordes nur der Mörder und seine Söhne der Fehde ausgesetzt
sein, dagegen nicht die Magen, soferne sie die Magsühne des einfachen
Totschlags bezahlen 23. Das burgundische und das westgotische Recht
schlieſsen grundsätzlich jede Fehde aus und ebenso jede Haftung der
Sippe für die Missethat eines Sippegenossen 24. Karl der Groſse und
Ludwig I. unternahmen es, die Fehde im Wege der Verwaltung zu
unterdrücken, soweit sie das Volksrecht noch gestattete, indem der
Graf das Recht erhielt, die feindlichen Parteien zum Sühnevertrag
und zur Urfehde zu zwingen.

Bei der Leistung der Eideshilfe wird nicht mehr wie einst an
dem Erfordernis blutsverwandter Eideshelfer festgehalten. Einige Rechte
gestatten der Partei schlechtweg oder doch in Ermangelung von
Blutsverwandten mit beliebig ausgewählten Helfern zu schwören, ein

Unzuverlässigkeit hier nicht in Betracht kommt. Migne, Patrologia lat. XCVI
1409: Cum Sadregiselus dux Aquitanorum … interfectus esset … et cum
haberet … filios in palatio educatos, qui cum facillime possent mortem patris
evindicare noluerunt, propterea postea secundum legem Romanam a regni pro-
ceribus redarguti omnes paternas possessiones perdiderunt. Cumque omnia ad re-
galem fiscum fuissent recepta … Noch ein sächsischer Jurist des 19. Jahrh.,
Treitschke, De weregildo, 1813, erklärt es mit Rücksicht auf l. 17 Dig. 34, 9 für
einen Indignitätsgrund, der die Entziehung der Erbschaft nach sich ziehe, wenn der
Erbe das Wergeld nicht einklagte, soweit die Wergeldklage nach damaligem kur-
sächsischen Rechte noch platzgriff.
21 Cap. I 16 c. 5.
22 Das ergiebt sich aus einem Zusatz der Heroldina zu Titel 58 der Lex Sal.,
aus der Titelrubrik zu Titel 58 in den Codices 7. 8. 9 und aus der Bemerkung der
Codices B—H: de chrenchruda lege, quae paganorum tempore observabant, deinceps
numquam valeat, quia per ipsam cecidit multorum potestas. Vgl. oben S 206.
23 Lex Sax. c. 19. v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 248. Die verletzte Sippe
konnte diesfalls den Magen des Totschlägers die Annahme des Wergelddrittels nicht
verweigern.
24 Lex Burg. 2, 6. Lex Wisig. VI 1, 8. Dahn, Westgot. Studien S 259.
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[221/0239] § 28. Die Sippe. Gesetzgebung und Verwaltung suchten die Teilnahme der Sippe an Fehde und Wergeld im Interesse des allgemeinen Friedens zu be- schränken. Ein Dekret König Childeberts II. von 596 setzte die Todesstrafe auf vermessentliche Tötung. Um den Abschluſs einer auſsergerichtlichen Sühne zu erschweren, wurde den Magen des Tot- schlägers verboten, zur Zahlung des Wergeldes beizusteuern 21. Daſs diese Vorschrift auch nur in dem Reiche Childeberts II. sich in dauernder Geltung behauptet habe, ist nicht wahrscheinlich. Dagegen muſs in einzelnen Gegenden salischen Rechtes die Haftung der Magen für das Wergeld schlechtweg auſser Gebrauch gekommen sein 22. Nach einer Bestimmung des sächsischen Volksrechtes sollen im Falle des Mordes nur der Mörder und seine Söhne der Fehde ausgesetzt sein, dagegen nicht die Magen, soferne sie die Magsühne des einfachen Totschlags bezahlen 23. Das burgundische und das westgotische Recht schlieſsen grundsätzlich jede Fehde aus und ebenso jede Haftung der Sippe für die Missethat eines Sippegenossen 24. Karl der Groſse und Ludwig I. unternahmen es, die Fehde im Wege der Verwaltung zu unterdrücken, soweit sie das Volksrecht noch gestattete, indem der Graf das Recht erhielt, die feindlichen Parteien zum Sühnevertrag und zur Urfehde zu zwingen. Bei der Leistung der Eideshilfe wird nicht mehr wie einst an dem Erfordernis blutsverwandter Eideshelfer festgehalten. Einige Rechte gestatten der Partei schlechtweg oder doch in Ermangelung von Blutsverwandten mit beliebig ausgewählten Helfern zu schwören, ein 20 21 Cap. I 16 c. 5. 22 Das ergiebt sich aus einem Zusatz der Heroldina zu Titel 58 der Lex Sal., aus der Titelrubrik zu Titel 58 in den Codices 7. 8. 9 und aus der Bemerkung der Codices B—H: de chrenchruda lege, quae paganorum tempore observabant, deinceps numquam valeat, quia per ipsam cecidit multorum potestas. Vgl. oben S 206. 23 Lex Sax. c. 19. v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 248. Die verletzte Sippe konnte diesfalls den Magen des Totschlägers die Annahme des Wergelddrittels nicht verweigern. 24 Lex Burg. 2, 6. Lex Wisig. VI 1, 8. Dahn, Westgot. Studien S 259. 20 Unzuverlässigkeit hier nicht in Betracht kommt. Migne, Patrologia lat. XCVI 1409: Cum Sadregiselus dux Aquitanorum … interfectus esset … et cum haberet … filios in palatio educatos, qui cum facillime possent mortem patris evindicare noluerunt, propterea postea secundum legem Romanam a regni pro- ceribus redarguti omnes paternas possessiones perdiderunt. Cumque omnia ad re- galem fiscum fuissent recepta … Noch ein sächsischer Jurist des 19. Jahrh., Treitschke, De weregildo, 1813, erklärt es mit Rücksicht auf l. 17 Dig. 34, 9 für einen Indignitätsgrund, der die Entziehung der Erbschaft nach sich ziehe, wenn der Erbe das Wergeld nicht einklagte, soweit die Wergeldklage nach damaligem kur- sächsischen Rechte noch platzgriff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/239>, abgerufen am 08.05.2024.