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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 28. Die Sippe.
Vater- resp. die Muttermagen teilen die ihnen zukommende Quote in
der Weise, dass das erste Knie zwei Drittel, das zweite von dem
verbleibenden Reste wieder zwei Drittel, das dritte endlich den Rest
nimmt, so dass sich die Anteile der Vettern der verschiedenen
Parentelen wie 6 : 2 : 1 verhalten. Bei den Sachsen 10 und Friesen 11
betrug die Erbsühne zwei Drittel, die Magsühne ein Drittel des Wer-
geldes 12. Die Angelsachsen gaben den Vatermagen den doppelten
Anteil der Muttermagen. Nach manchen Rechten empfing der nächste
Verwandte aus dem Wergelde ein Voraus, welches aus Anlass des
Friedenskusses oder der die Sühne abschliessenden Umarmung gezahlt
wurde 13. Im ältesten Sachsenrechte und ebenso bei den Franken
findet sich eine Vorsühne, im sächsischen Volksrechte praemium ge-
nannt, welche demjenigen Magen gebührte, der sich am meisten
darum bemüht hatte, dass dem Toten sein Recht werde 14.

Den Ribuariern und den Thüringern ist die Sonderung des Wer-
geldes in Erb- und Magsühne bereits unbekannt. Hier wird das
ganze Wergeld als Erbschaft behandelt und fällt an die nächsten
Erben 15. Auf demselben Standpunkte steht das langobardische Recht 16.
Ebenso tritt uns bei den Baiern und Schwaben keine Spur einer
Sonderung von Mag- und Erbsühne entgegen.

Sachsen, Angelsachsen, Friesen und Nordgermanen lassen die
Magen unbedingt für eine Quote des Wergeldes haften. Das älteste
Volksrecht der salischen Franken statuiert in einer berühmten Stelle
eine subsidiäre Haftung der Magschaft, falls nämlich der Totschläger
nach abgeschlossenem Sühnevertrag die gelobte Wergeldquote trotz

10 Arg. Lex Sax. c. 19.
11 Lex Fris. 1, 1.
12 Bei den Holsten ist das Verhältnis später umgekehrt. Die Magsühne be-
läuft sich auf zwei Drittel des Wergeldes, ebenso wie nach dänischem und scho-
nischem Rechte, wo Erben, Vatermagen und Muttermagen je ein Drittel des Wer-
geldes nehmen.
13 S. oben S 161. Diesen Charakter hat der angelsächsische Halsfang, ge-
wöhnlich ein Zehntel der ganzen Were. In den flandrischen Rechten des Mittel-
alters begegnet uns ein solches Voraus als Mundsühne.
14 Lex Sax. c. 14. Auch die in Herolds Lex Salica 79 (Hessels, Extravag.
A 6) bei Totschlag genannte delatura scheint diesen Charakter zu haben. In
Holland begegnet uns das praemium später als Moetsühne.
15 Arg. Lex Rib. 12, 2. 67, 1 (das Wergeld haftet für Erbschaftsschulden).
Lex Angl. c. 31.
16 Arg. Roth. 162: Von dem Wergelde des filius naturalis nehmen die fratres
legitimi zwei Drittel, die naturales ein Drittel. Von weiteren Verwandten ist nicht
die Rede. Das langobardische Recht gestattet die Zuwendung des Wergeldanspruchs
durch Verfügung auf den Tötungsfall.

§ 28. Die Sippe.
Vater- resp. die Muttermagen teilen die ihnen zukommende Quote in
der Weise, daſs das erste Knie zwei Drittel, das zweite von dem
verbleibenden Reste wieder zwei Drittel, das dritte endlich den Rest
nimmt, so daſs sich die Anteile der Vettern der verschiedenen
Parentelen wie 6 : 2 : 1 verhalten. Bei den Sachsen 10 und Friesen 11
betrug die Erbsühne zwei Drittel, die Magsühne ein Drittel des Wer-
geldes 12. Die Angelsachsen gaben den Vatermagen den doppelten
Anteil der Muttermagen. Nach manchen Rechten empfing der nächste
Verwandte aus dem Wergelde ein Voraus, welches aus Anlaſs des
Friedenskusses oder der die Sühne abschlieſsenden Umarmung gezahlt
wurde 13. Im ältesten Sachsenrechte und ebenso bei den Franken
findet sich eine Vorsühne, im sächsischen Volksrechte praemium ge-
nannt, welche demjenigen Magen gebührte, der sich am meisten
darum bemüht hatte, daſs dem Toten sein Recht werde 14.

Den Ribuariern und den Thüringern ist die Sonderung des Wer-
geldes in Erb- und Magsühne bereits unbekannt. Hier wird das
ganze Wergeld als Erbschaft behandelt und fällt an die nächsten
Erben 15. Auf demselben Standpunkte steht das langobardische Recht 16.
Ebenso tritt uns bei den Baiern und Schwaben keine Spur einer
Sonderung von Mag- und Erbsühne entgegen.

Sachsen, Angelsachsen, Friesen und Nordgermanen lassen die
Magen unbedingt für eine Quote des Wergeldes haften. Das älteste
Volksrecht der salischen Franken statuiert in einer berühmten Stelle
eine subsidiäre Haftung der Magschaft, falls nämlich der Totschläger
nach abgeschlossenem Sühnevertrag die gelobte Wergeldquote trotz

10 Arg. Lex Sax. c. 19.
11 Lex Fris. 1, 1.
12 Bei den Holsten ist das Verhältnis später umgekehrt. Die Magsühne be-
läuft sich auf zwei Drittel des Wergeldes, ebenso wie nach dänischem und scho-
nischem Rechte, wo Erben, Vatermagen und Muttermagen je ein Drittel des Wer-
geldes nehmen.
13 S. oben S 161. Diesen Charakter hat der angelsächsische Halsfang, ge-
wöhnlich ein Zehntel der ganzen Were. In den flandrischen Rechten des Mittel-
alters begegnet uns ein solches Voraus als Mundsühne.
14 Lex Sax. c. 14. Auch die in Herolds Lex Salica 79 (Hessels, Extravag.
A 6) bei Totschlag genannte delatura scheint diesen Charakter zu haben. In
Holland begegnet uns das praemium später als Moetsühne.
15 Arg. Lex Rib. 12, 2. 67, 1 (das Wergeld haftet für Erbschaftsschulden).
Lex Angl. c. 31.
16 Arg. Roth. 162: Von dem Wergelde des filius naturalis nehmen die fratres
legitimi zwei Drittel, die naturales ein Drittel. Von weiteren Verwandten ist nicht
die Rede. Das langobardische Recht gestattet die Zuwendung des Wergeldanspruchs
durch Verfügung auf den Tötungsfall.
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[219/0237] § 28. Die Sippe. Vater- resp. die Muttermagen teilen die ihnen zukommende Quote in der Weise, daſs das erste Knie zwei Drittel, das zweite von dem verbleibenden Reste wieder zwei Drittel, das dritte endlich den Rest nimmt, so daſs sich die Anteile der Vettern der verschiedenen Parentelen wie 6 : 2 : 1 verhalten. Bei den Sachsen 10 und Friesen 11 betrug die Erbsühne zwei Drittel, die Magsühne ein Drittel des Wer- geldes 12. Die Angelsachsen gaben den Vatermagen den doppelten Anteil der Muttermagen. Nach manchen Rechten empfing der nächste Verwandte aus dem Wergelde ein Voraus, welches aus Anlaſs des Friedenskusses oder der die Sühne abschlieſsenden Umarmung gezahlt wurde 13. Im ältesten Sachsenrechte und ebenso bei den Franken findet sich eine Vorsühne, im sächsischen Volksrechte praemium ge- nannt, welche demjenigen Magen gebührte, der sich am meisten darum bemüht hatte, daſs dem Toten sein Recht werde 14. Den Ribuariern und den Thüringern ist die Sonderung des Wer- geldes in Erb- und Magsühne bereits unbekannt. Hier wird das ganze Wergeld als Erbschaft behandelt und fällt an die nächsten Erben 15. Auf demselben Standpunkte steht das langobardische Recht 16. Ebenso tritt uns bei den Baiern und Schwaben keine Spur einer Sonderung von Mag- und Erbsühne entgegen. Sachsen, Angelsachsen, Friesen und Nordgermanen lassen die Magen unbedingt für eine Quote des Wergeldes haften. Das älteste Volksrecht der salischen Franken statuiert in einer berühmten Stelle eine subsidiäre Haftung der Magschaft, falls nämlich der Totschläger nach abgeschlossenem Sühnevertrag die gelobte Wergeldquote trotz 10 Arg. Lex Sax. c. 19. 11 Lex Fris. 1, 1. 12 Bei den Holsten ist das Verhältnis später umgekehrt. Die Magsühne be- läuft sich auf zwei Drittel des Wergeldes, ebenso wie nach dänischem und scho- nischem Rechte, wo Erben, Vatermagen und Muttermagen je ein Drittel des Wer- geldes nehmen. 13 S. oben S 161. Diesen Charakter hat der angelsächsische Halsfang, ge- wöhnlich ein Zehntel der ganzen Were. In den flandrischen Rechten des Mittel- alters begegnet uns ein solches Voraus als Mundsühne. 14 Lex Sax. c. 14. Auch die in Herolds Lex Salica 79 (Hessels, Extravag. A 6) bei Totschlag genannte delatura scheint diesen Charakter zu haben. In Holland begegnet uns das praemium später als Moetsühne. 15 Arg. Lex Rib. 12, 2. 67, 1 (das Wergeld haftet für Erbschaftsschulden). Lex Angl. c. 31. 16 Arg. Roth. 162: Von dem Wergelde des filius naturalis nehmen die fratres legitimi zwei Drittel, die naturales ein Drittel. Von weiteren Verwandten ist nicht die Rede. Das langobardische Recht gestattet die Zuwendung des Wergeldanspruchs durch Verfügung auf den Tötungsfall.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/237>, abgerufen am 08.05.2024.