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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
schaften, während die freien Dorf- und Bauerschaften noch längere
Zeit an den herkömmlichen Betriebsarten festhielten. An sich war
damals der grosse Grundbesitz wirtschaftlich leistungsfähiger wie der
kleine, da die grundherrliche, von einem einheitlichen Willen geleitete
Organisation der Arbeit eine kräftigere Ausnutzung des Bodens ge-
stattete15.

Verhältnismässig schwerer als den Grossgrundbesitz belasteten die
öffentlichen Pflichten der Unterthanen den Kleinbesitz, dem die Heer-
fahrt und die Dingpflicht die Arbeitskraft des Eigentümers entzogen.
So hatte der Stand der freien Bauern Wind und Sonne gegen sich
in dem Existenzkampfe gegen die Grundherrschaft, welche ihre natür-
liche Tendenz, den Kleinbesitz aufzusaugen, zum Teil mit rücksichts-
losen Mitteln geltend machte. Durch Vergewaltigung, durch unaus-
gesetzte Belästigung, durch Missbrauch der Amtsgewalt wurden freie
Grundbesitzer von den Grossen gezwungen, sich ihres Eigentums16
oder auch ihrer Freiheit zu entäussern17. Zwar suchte Karl der
Grosse diesen Übelständen nach Kräften zu steuern. Aber auch sein
starker Arm war zu schwach gegen die Habsucht der Grundherren.
Bald nach seinem Tode konstatierten die von Ludwig I. ausgesendeten
missi, dass eine unzählige Menge von freien Grundbesitzern ihrer
Hufen oder ihrer Freiheit beraubt worden seien18. Die Auflösung,
der das fränkische Reich unter Ludwig I. verfiel, beschleunigte den
Gang der organischen Entwicklung, durch welche die Zahl der freien
Bauern abnahm.

Trotz der Entstehung der grossen Grundherrschaften traten im

15 v. Inama-Sternegg, Grundherrschaften S 80 f.
16 Cap. v. J. 805 c. 16, I 125: de oppressione pauperum liberorum hominum,
ut non fiant a potentioribus per aliquod malum ingenium contra iustitiam oppressi,
ita ut coacti res eorum vendant aut tradant. Cap. v. J. 806 c. 8, I 131: sunt et
alii qui iustitiam legibus recipere debent et in tantum fiunt in quibusdam locis
fatigati, usque dum illorum iustitiam (ihr Recht) per fideiussorum manus tradant,
ita ut aliquid vel parvum possint habere et fortiores suscipiant maiorem porcionem.
Cap. v. J. 811 c. 2, I 165: quod pauperes se reclamant expoliatos esse de eorum
proprietate; et hoc aequaliter clamant super episcopos et abbates et eorum advo-
catos et super comites et eorum centenarios.
17 Lex Rom. Curiensis Paul. V 1, 4: si ... ingenuus homo propter forciam
de malos homines ... se ipsum ad alterum hominem commendaverit et ipse
dixerit: pro servo tibi volo esse et tu me libera de malorum ominum potestate
aut de illorum forcia ...
18 Theganus c. 13, MG SS II 593: qui egressi invenerunt innumeram multitudinem
oppressorum aut ablatione patrimonii aut expoliatione libertatis, quod iniqui mi-
nistri comites et loco positi per malum ingenium exercebant.

§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
schaften, während die freien Dorf- und Bauerschaften noch längere
Zeit an den herkömmlichen Betriebsarten festhielten. An sich war
damals der groſse Grundbesitz wirtschaftlich leistungsfähiger wie der
kleine, da die grundherrliche, von einem einheitlichen Willen geleitete
Organisation der Arbeit eine kräftigere Ausnutzung des Bodens ge-
stattete15.

Verhältnismäſsig schwerer als den Groſsgrundbesitz belasteten die
öffentlichen Pflichten der Unterthanen den Kleinbesitz, dem die Heer-
fahrt und die Dingpflicht die Arbeitskraft des Eigentümers entzogen.
So hatte der Stand der freien Bauern Wind und Sonne gegen sich
in dem Existenzkampfe gegen die Grundherrschaft, welche ihre natür-
liche Tendenz, den Kleinbesitz aufzusaugen, zum Teil mit rücksichts-
losen Mitteln geltend machte. Durch Vergewaltigung, durch unaus-
gesetzte Belästigung, durch Miſsbrauch der Amtsgewalt wurden freie
Grundbesitzer von den Groſsen gezwungen, sich ihres Eigentums16
oder auch ihrer Freiheit zu entäuſsern17. Zwar suchte Karl der
Groſse diesen Übelständen nach Kräften zu steuern. Aber auch sein
starker Arm war zu schwach gegen die Habsucht der Grundherren.
Bald nach seinem Tode konstatierten die von Ludwig I. ausgesendeten
missi, daſs eine unzählige Menge von freien Grundbesitzern ihrer
Hufen oder ihrer Freiheit beraubt worden seien18. Die Auflösung,
der das fränkische Reich unter Ludwig I. verfiel, beschleunigte den
Gang der organischen Entwicklung, durch welche die Zahl der freien
Bauern abnahm.

Trotz der Entstehung der groſsen Grundherrschaften traten im

15 v. Inama-Sternegg, Grundherrschaften S 80 f.
16 Cap. v. J. 805 c. 16, I 125: de oppressione pauperum liberorum hominum,
ut non fiant a potentioribus per aliquod malum ingenium contra iustitiam oppressi,
ita ut coacti res eorum vendant aut tradant. Cap. v. J. 806 c. 8, I 131: sunt et
alii qui iustitiam legibus recipere debent et in tantum fiunt in quibusdam locis
fatigati, usque dum illorum iustitiam (ihr Recht) per fideiussorum manus tradant,
ita ut aliquid vel parvum possint habere et fortiores suscipiant maiorem porcionem.
Cap. v. J. 811 c. 2, I 165: quod pauperes se reclamant expoliatos esse de eorum
proprietate; et hoc aequaliter clamant super episcopos et abbates et eorum advo-
catos et super comites et eorum centenarios.
17 Lex Rom. Curiensis Paul. V 1, 4: si … ingenuus homo propter forciam
de malos homines … se ipsum ad alterum hominem commendaverit et ipse
dixerit: pro servo tibi volo esse et tu me libera de malorum ominum potestate
aut de illorum forcia …
18 Theganus c. 13, MG SS II 593: qui egressi invenerunt innumeram multitudinem
oppressorum aut ablatione patrimonii aut expoliatione libertatis, quod iniqui mi-
nistri comites et loco positi per malum ingenium exercebant.
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[207/0225] § 26. Grundherrschaften und Landleihe. schaften, während die freien Dorf- und Bauerschaften noch längere Zeit an den herkömmlichen Betriebsarten festhielten. An sich war damals der groſse Grundbesitz wirtschaftlich leistungsfähiger wie der kleine, da die grundherrliche, von einem einheitlichen Willen geleitete Organisation der Arbeit eine kräftigere Ausnutzung des Bodens ge- stattete 15. Verhältnismäſsig schwerer als den Groſsgrundbesitz belasteten die öffentlichen Pflichten der Unterthanen den Kleinbesitz, dem die Heer- fahrt und die Dingpflicht die Arbeitskraft des Eigentümers entzogen. So hatte der Stand der freien Bauern Wind und Sonne gegen sich in dem Existenzkampfe gegen die Grundherrschaft, welche ihre natür- liche Tendenz, den Kleinbesitz aufzusaugen, zum Teil mit rücksichts- losen Mitteln geltend machte. Durch Vergewaltigung, durch unaus- gesetzte Belästigung, durch Miſsbrauch der Amtsgewalt wurden freie Grundbesitzer von den Groſsen gezwungen, sich ihres Eigentums 16 oder auch ihrer Freiheit zu entäuſsern 17. Zwar suchte Karl der Groſse diesen Übelständen nach Kräften zu steuern. Aber auch sein starker Arm war zu schwach gegen die Habsucht der Grundherren. Bald nach seinem Tode konstatierten die von Ludwig I. ausgesendeten missi, daſs eine unzählige Menge von freien Grundbesitzern ihrer Hufen oder ihrer Freiheit beraubt worden seien 18. Die Auflösung, der das fränkische Reich unter Ludwig I. verfiel, beschleunigte den Gang der organischen Entwicklung, durch welche die Zahl der freien Bauern abnahm. Trotz der Entstehung der groſsen Grundherrschaften traten im 15 v. Inama-Sternegg, Grundherrschaften S 80 f. 16 Cap. v. J. 805 c. 16, I 125: de oppressione pauperum liberorum hominum, ut non fiant a potentioribus per aliquod malum ingenium contra iustitiam oppressi, ita ut coacti res eorum vendant aut tradant. Cap. v. J. 806 c. 8, I 131: sunt et alii qui iustitiam legibus recipere debent et in tantum fiunt in quibusdam locis fatigati, usque dum illorum iustitiam (ihr Recht) per fideiussorum manus tradant, ita ut aliquid vel parvum possint habere et fortiores suscipiant maiorem porcionem. Cap. v. J. 811 c. 2, I 165: quod pauperes se reclamant expoliatos esse de eorum proprietate; et hoc aequaliter clamant super episcopos et abbates et eorum advo- catos et super comites et eorum centenarios. 17 Lex Rom. Curiensis Paul. V 1, 4: si … ingenuus homo propter forciam de malos homines … se ipsum ad alterum hominem commendaverit et ipse dixerit: pro servo tibi volo esse et tu me libera de malorum ominum potestate aut de illorum forcia … 18 Theganus c. 13, MG SS II 593: qui egressi invenerunt innumeram multitudinem oppressorum aut ablatione patrimonii aut expoliatione libertatis, quod iniqui mi- nistri comites et loco positi per malum ingenium exercebant.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/225>, abgerufen am 22.11.2024.