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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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um die Zeit der Reichsgründung.
gelegt wird 22. Ebenso lassen die Bestimmungen der Volksrechte,
welche eine bestimmte Stückzahl der einzelnen Viehgattungen als
Herde bezeichnen, auf einen gleichmässigen Bestand der Bauergüter
schliessen 23.

Ein durchaus anderes Bild bieten uns die wirtschaftlichen Zu-
stände Galliens zur Zeit der Eroberung dar 24. Ein freier und wohl-
habender Mittelstand fehlt. Reichtum und Armut stehen sich un-
vermittelt gegenüber. Der Grundbesitz ist hauptsächlich in den Händen
des Staates, der Kirche und einer nicht sehr zahlreichen aber mächtigen
Grundaristokratie. Die Zahl der kleinen freien Grundbesitzer war im
vierten und fünften Jahrhundert stark gelichtet worden; aus Not und
um dem wachsenden Steuerdrucke zu entgehen, hatten damals viele
kleine Leute ihr Besitztum den Reichen und Mächtigen aufgetragen, um
ihren Schutz zu erlangen 25. Die grossen Güter wurden hauptsächlich
von Kolonen und Sklaven bebaut. Doch gab es auch Pacht- und
Leiheverhältnisse, und zwar solche, welche von freien Leuten ein-
gegangen wurden. Einen Teil ihrer Ländereien hatten die gallischen
Kirchen namentlich in der Umgebung der Städte zu Erbpacht aus-
gethan. Es waren dies vermutlich alte städtische Gemeindegüter und
Tempelgüter, welche die Kirche in spätrömischer Zeit an sich gezogen

si redemere voluero ... liceat mihi hoc facere cum 160 sol. (das alam. Freienwer-
geld); Nr 375 v. J. 838: Egino (der Bruder des Schenkers) cum dimidio weregeldo
redimendi licentiam habeat .. Thiotpert ... cum uno weregeldo redimat. Nr 135
v. J. 793: der Schenker kann das Gut zurückkaufen um 80 sol. (das halbe alam.
Wergeld), der Sohn des Schenkers cum uno weregeldo. Rückkauf "cum eius were-
geldo" in Nr 228 v. J. 817, cum duobus weregeldis Nr 385 v. J. 842, cum were-
geldos tres Nr 108 v. J. 786. In Zeuss, Traditiones Wiz. Nr 17 v. J. 739 kann
die Verkaufsurkunde und damit das Grundstück mit 200 sol. (Wergeld des Franken
oder des alamannischen medianus) zurückgekauft werden. In der bairischen Urk.
Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 303 wird eine Wergeldschuld durch Tradition eines
Grundstücks bezahlt. Einen ähnlichen Fall bietet Hundt, Abh. der bair. Akad.
XIII 1 S 14, Nr 25 v. J. 846. Siehe Waitz, VG II 1 S 278 Anm und über die
angelsächsischen Verhältnisse Kemble, Saxons I 156.
22 In dem Kapitular v. J. 807, I 134 ist die Vermögenseinheit, die den per-
sönlichen Heerdienst bestimmt, einerseits der Wert von drei Hufen, andererseits
der Betrag von 600 solidi (sechsmal fünf Pfund). Das giebt pro Hufe 200 solidi,
das fränkische Wergeld. In dem italienischen Kapitular von 866, MG LL I 504
erscheint das Wergeldsimplum als Mass der Heerpflicht.
23 Lamprecht, Wirtschaftsleben I 11. 12: "Massengüter sind daneben aus-
geschlossen, kleinere Besitzungen möglich."
24 F. Roth, Bürgerlicher Zustand. Kaufmann, Deutsche Gesch. II 28 ff.
Dahn, Könige der Germanen VI 91 ff.
25 Salvian, De gubernatione Dei V 8, MG SS antiquissimi I 1 S 62.

um die Zeit der Reichsgründung.
gelegt wird 22. Ebenso lassen die Bestimmungen der Volksrechte,
welche eine bestimmte Stückzahl der einzelnen Viehgattungen als
Herde bezeichnen, auf einen gleichmäſsigen Bestand der Bauergüter
schlieſsen 23.

Ein durchaus anderes Bild bieten uns die wirtschaftlichen Zu-
stände Galliens zur Zeit der Eroberung dar 24. Ein freier und wohl-
habender Mittelstand fehlt. Reichtum und Armut stehen sich un-
vermittelt gegenüber. Der Grundbesitz ist hauptsächlich in den Händen
des Staates, der Kirche und einer nicht sehr zahlreichen aber mächtigen
Grundaristokratie. Die Zahl der kleinen freien Grundbesitzer war im
vierten und fünften Jahrhundert stark gelichtet worden; aus Not und
um dem wachsenden Steuerdrucke zu entgehen, hatten damals viele
kleine Leute ihr Besitztum den Reichen und Mächtigen aufgetragen, um
ihren Schutz zu erlangen 25. Die groſsen Güter wurden hauptsächlich
von Kolonen und Sklaven bebaut. Doch gab es auch Pacht- und
Leiheverhältnisse, und zwar solche, welche von freien Leuten ein-
gegangen wurden. Einen Teil ihrer Ländereien hatten die gallischen
Kirchen namentlich in der Umgebung der Städte zu Erbpacht aus-
gethan. Es waren dies vermutlich alte städtische Gemeindegüter und
Tempelgüter, welche die Kirche in spätrömischer Zeit an sich gezogen

si redemere voluero … liceat mihi hoc facere cum 160 sol. (das alam. Freienwer-
geld); Nr 375 v. J. 838: Egino (der Bruder des Schenkers) cum dimidio weregeldo
redimendi licentiam habeat .. Thiotpert … cum uno weregeldo redimat. Nr 135
v. J. 793: der Schenker kann das Gut zurückkaufen um 80 sol. (das halbe alam.
Wergeld), der Sohn des Schenkers cum uno weregeldo. Rückkauf „cum eius were-
geldo“ in Nr 228 v. J. 817, cum duobus weregeldis Nr 385 v. J. 842, cum were-
geldos tres Nr 108 v. J. 786. In Zeuſs, Traditiones Wiz. Nr 17 v. J. 739 kann
die Verkaufsurkunde und damit das Grundstück mit 200 sol. (Wergeld des Franken
oder des alamannischen medianus) zurückgekauft werden. In der bairischen Urk.
Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 303 wird eine Wergeldschuld durch Tradition eines
Grundstücks bezahlt. Einen ähnlichen Fall bietet Hundt, Abh. der bair. Akad.
XIII 1 S 14, Nr 25 v. J. 846. Siehe Waitz, VG II 1 S 278 Anm und über die
angelsächsischen Verhältnisse Kemble, Saxons I 156.
22 In dem Kapitular v. J. 807, I 134 ist die Vermögenseinheit, die den per-
sönlichen Heerdienst bestimmt, einerseits der Wert von drei Hufen, andererseits
der Betrag von 600 solidi (sechsmal fünf Pfund). Das giebt pro Hufe 200 solidi,
das fränkische Wergeld. In dem italienischen Kapitular von 866, MG LL I 504
erscheint das Wergeldsimplum als Maſs der Heerpflicht.
23 Lamprecht, Wirtschaftsleben I 11. 12: „Massengüter sind daneben aus-
geschlossen, kleinere Besitzungen möglich.“
24 F. Roth, Bürgerlicher Zustand. Kaufmann, Deutsche Gesch. II 28 ff.
Dahn, Könige der Germanen VI 91 ff.
25 Salvian, De gubernatione Dei V 8, MG SS antiquissimi I 1 S 62.
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[199/0217] um die Zeit der Reichsgründung. gelegt wird 22. Ebenso lassen die Bestimmungen der Volksrechte, welche eine bestimmte Stückzahl der einzelnen Viehgattungen als Herde bezeichnen, auf einen gleichmäſsigen Bestand der Bauergüter schlieſsen 23. Ein durchaus anderes Bild bieten uns die wirtschaftlichen Zu- stände Galliens zur Zeit der Eroberung dar 24. Ein freier und wohl- habender Mittelstand fehlt. Reichtum und Armut stehen sich un- vermittelt gegenüber. Der Grundbesitz ist hauptsächlich in den Händen des Staates, der Kirche und einer nicht sehr zahlreichen aber mächtigen Grundaristokratie. Die Zahl der kleinen freien Grundbesitzer war im vierten und fünften Jahrhundert stark gelichtet worden; aus Not und um dem wachsenden Steuerdrucke zu entgehen, hatten damals viele kleine Leute ihr Besitztum den Reichen und Mächtigen aufgetragen, um ihren Schutz zu erlangen 25. Die groſsen Güter wurden hauptsächlich von Kolonen und Sklaven bebaut. Doch gab es auch Pacht- und Leiheverhältnisse, und zwar solche, welche von freien Leuten ein- gegangen wurden. Einen Teil ihrer Ländereien hatten die gallischen Kirchen namentlich in der Umgebung der Städte zu Erbpacht aus- gethan. Es waren dies vermutlich alte städtische Gemeindegüter und Tempelgüter, welche die Kirche in spätrömischer Zeit an sich gezogen 21 22 In dem Kapitular v. J. 807, I 134 ist die Vermögenseinheit, die den per- sönlichen Heerdienst bestimmt, einerseits der Wert von drei Hufen, andererseits der Betrag von 600 solidi (sechsmal fünf Pfund). Das giebt pro Hufe 200 solidi, das fränkische Wergeld. In dem italienischen Kapitular von 866, MG LL I 504 erscheint das Wergeldsimplum als Maſs der Heerpflicht. 23 Lamprecht, Wirtschaftsleben I 11. 12: „Massengüter sind daneben aus- geschlossen, kleinere Besitzungen möglich.“ 24 F. Roth, Bürgerlicher Zustand. Kaufmann, Deutsche Gesch. II 28 ff. Dahn, Könige der Germanen VI 91 ff. 25 Salvian, De gubernatione Dei V 8, MG SS antiquissimi I 1 S 62. 21 si redemere voluero … liceat mihi hoc facere cum 160 sol. (das alam. Freienwer- geld); Nr 375 v. J. 838: Egino (der Bruder des Schenkers) cum dimidio weregeldo redimendi licentiam habeat .. Thiotpert … cum uno weregeldo redimat. Nr 135 v. J. 793: der Schenker kann das Gut zurückkaufen um 80 sol. (das halbe alam. Wergeld), der Sohn des Schenkers cum uno weregeldo. Rückkauf „cum eius were- geldo“ in Nr 228 v. J. 817, cum duobus weregeldis Nr 385 v. J. 842, cum were- geldos tres Nr 108 v. J. 786. In Zeuſs, Traditiones Wiz. Nr 17 v. J. 739 kann die Verkaufsurkunde und damit das Grundstück mit 200 sol. (Wergeld des Franken oder des alamannischen medianus) zurückgekauft werden. In der bairischen Urk. Meichelbeck, Hist. Fris. Nr 303 wird eine Wergeldschuld durch Tradition eines Grundstücks bezahlt. Einen ähnlichen Fall bietet Hundt, Abh. der bair. Akad. XIII 1 S 14, Nr 25 v. J. 846. Siehe Waitz, VG II 1 S 278 Anm und über die angelsächsischen Verhältnisse Kemble, Saxons I 156.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/217>, abgerufen am 08.05.2024.