Monatsber. der Berliner Akad. 1853 S 747. Dahn, Studien zur Geschichte der germ. Gottesurtheile, Bausteine II, 1880. W. Unger, Der gerichtliche Zweikampf, 1847. Ebbe Hertzberg, Grundtraekkene i den aeldste Norske Proces, 1874. Karl Lehmann, Der Königsfriede der Nordgermanen, 1886, S 13. 111.
Der Begriff des Rechtsganges ist weiter als der des Gerichts- verfahrens. Er schliesst jede in rechtmässiger Form sich bethätigende Geltendmachung verletzter Rechte in sich, auch diejenige, welche den Weg erlaubter Selbsthilfe beschreitet. Soweit letztere sich als rechtmässige Fehde äussert, ist sie schon oben § 21 zur Sprache gekommen.
Für den Rechtsgang der germanischen Zeit fehlt es uns an allen gleichzeitigen Nachrichten; doch gestattet die kritische Vergleichung der Prozessinstitute, welche uns jüngere Quellen vor Augen führen, auf gewisse Grundlagen zurückzuschliessen, die den verschiedenen deutschen Stämmen im Rechtsgange von altersher gemeinsam waren.
Zu diesen Grundlagen zählen die Öffentlichkeit und die Mündlich- keit des Verfahrens, das Walten der Verhandlungsmaxime und die strenge Herrschaft der Form. Vermöge der Verhandlungsmaxime war das Ermessen des Gerichts in die denkbar engsten Grenzen gebannt und bildete die selbständige Parteihandlung den eigentlichen Schwer- punkt des Rechtsganges. Dieser bewegt sich zum grossen Teile ausserhalb des Gerichts, so dass das Verfahren vor Gericht nur ein einzelnes Stadium des Rechtsganges ausmacht; ja es giebt Formen des Rechtsganges, welche sich unter Umständen durchaus aussergerichtlich abwickeln, der gerichtlichen Ingerenz völlig entbehren können. Enge verschwistert mit der unbeschränkten Durchführung des Verhandlungs- prinzips war die rechtsförmliche Gestaltung des Verfahrens. Jeder Rechtsgang bedarf einer Zwangsgewalt, welche eine bestimmte Ord- nung des Verfahrens verbürgt. Wo wie im germanischen Prozess- rechte das Gericht der dazu erforderlichen Machtfülle entbehrte, musste der Zwang der Form das Verfahren in festem Geleise halten. Die selbständigen Parteihandlungen waren als Formalakte ausgestaltet, sie mussten, um prozessualisch wirksam zu werden, gewissen Form- vorschriften genügen. Für das gesprochene Wort galt, da es an einem Organe zur freien Auslegung der Parteierklärungen fehlte, der Grundsatz der strikten Buchstabeninterpretation. Der altdeutsche Rechtsgang zeichnete sich durch einen einfachen aber grossartigen Formalismus aus. Er stellte sich zugleich als ein Verfahren strengen Rechtes dar, da Formverstösse und fehlerhafte Erklärungen unheilbar waren, in ihren nachteiligen Wirkungen nicht wieder gut gemacht werden konnten. Nichts ist daher unrichtiger als die Ansicht, dass in
§ 23. Der Rechtsgang.
Monatsber. der Berliner Akad. 1853 S 747. Dahn, Studien zur Geschichte der germ. Gottesurtheile, Bausteine II, 1880. W. Unger, Der gerichtliche Zweikampf, 1847. Ebbe Hertzberg, Grundtrækkene i den ældste Norske Proces, 1874. Karl Lehmann, Der Königsfriede der Nordgermanen, 1886, S 13. 111.
Der Begriff des Rechtsganges ist weiter als der des Gerichts- verfahrens. Er schlieſst jede in rechtmäſsiger Form sich bethätigende Geltendmachung verletzter Rechte in sich, auch diejenige, welche den Weg erlaubter Selbsthilfe beschreitet. Soweit letztere sich als rechtmäſsige Fehde äuſsert, ist sie schon oben § 21 zur Sprache gekommen.
Für den Rechtsgang der germanischen Zeit fehlt es uns an allen gleichzeitigen Nachrichten; doch gestattet die kritische Vergleichung der Prozeſsinstitute, welche uns jüngere Quellen vor Augen führen, auf gewisse Grundlagen zurückzuschlieſsen, die den verschiedenen deutschen Stämmen im Rechtsgange von altersher gemeinsam waren.
Zu diesen Grundlagen zählen die Öffentlichkeit und die Mündlich- keit des Verfahrens, das Walten der Verhandlungsmaxime und die strenge Herrschaft der Form. Vermöge der Verhandlungsmaxime war das Ermessen des Gerichts in die denkbar engsten Grenzen gebannt und bildete die selbständige Parteihandlung den eigentlichen Schwer- punkt des Rechtsganges. Dieser bewegt sich zum groſsen Teile auſserhalb des Gerichts, so daſs das Verfahren vor Gericht nur ein einzelnes Stadium des Rechtsganges ausmacht; ja es giebt Formen des Rechtsganges, welche sich unter Umständen durchaus auſsergerichtlich abwickeln, der gerichtlichen Ingerenz völlig entbehren können. Enge verschwistert mit der unbeschränkten Durchführung des Verhandlungs- prinzips war die rechtsförmliche Gestaltung des Verfahrens. Jeder Rechtsgang bedarf einer Zwangsgewalt, welche eine bestimmte Ord- nung des Verfahrens verbürgt. Wo wie im germanischen Prozeſs- rechte das Gericht der dazu erforderlichen Machtfülle entbehrte, muſste der Zwang der Form das Verfahren in festem Geleise halten. Die selbständigen Parteihandlungen waren als Formalakte ausgestaltet, sie muſsten, um prozessualisch wirksam zu werden, gewissen Form- vorschriften genügen. Für das gesprochene Wort galt, da es an einem Organe zur freien Auslegung der Parteierklärungen fehlte, der Grundsatz der strikten Buchstabeninterpretation. Der altdeutsche Rechtsgang zeichnete sich durch einen einfachen aber groſsartigen Formalismus aus. Er stellte sich zugleich als ein Verfahren strengen Rechtes dar, da Formverstöſse und fehlerhafte Erklärungen unheilbar waren, in ihren nachteiligen Wirkungen nicht wieder gut gemacht werden konnten. Nichts ist daher unrichtiger als die Ansicht, daſs in
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§ 23. Der Rechtsgang.
Monatsber. der Berliner Akad. 1853 S 747. Dahn, Studien zur Geschichte der
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1847. Ebbe Hertzberg, Grundtrækkene i den ældste Norske Proces, 1874. Karl
Lehmann, Der Königsfriede der Nordgermanen, 1886, S 13. 111.
Der Begriff des Rechtsganges ist weiter als der des Gerichts-
verfahrens. Er schlieſst jede in rechtmäſsiger Form sich bethätigende
Geltendmachung verletzter Rechte in sich, auch diejenige, welche
den Weg erlaubter Selbsthilfe beschreitet. Soweit letztere sich als
rechtmäſsige Fehde äuſsert, ist sie schon oben § 21 zur Sprache
gekommen.
Für den Rechtsgang der germanischen Zeit fehlt es uns an allen
gleichzeitigen Nachrichten; doch gestattet die kritische Vergleichung
der Prozeſsinstitute, welche uns jüngere Quellen vor Augen führen,
auf gewisse Grundlagen zurückzuschlieſsen, die den verschiedenen
deutschen Stämmen im Rechtsgange von altersher gemeinsam waren.
Zu diesen Grundlagen zählen die Öffentlichkeit und die Mündlich-
keit des Verfahrens, das Walten der Verhandlungsmaxime und die
strenge Herrschaft der Form. Vermöge der Verhandlungsmaxime war
das Ermessen des Gerichts in die denkbar engsten Grenzen gebannt
und bildete die selbständige Parteihandlung den eigentlichen Schwer-
punkt des Rechtsganges. Dieser bewegt sich zum groſsen Teile
auſserhalb des Gerichts, so daſs das Verfahren vor Gericht nur ein
einzelnes Stadium des Rechtsganges ausmacht; ja es giebt Formen des
Rechtsganges, welche sich unter Umständen durchaus auſsergerichtlich
abwickeln, der gerichtlichen Ingerenz völlig entbehren können. Enge
verschwistert mit der unbeschränkten Durchführung des Verhandlungs-
prinzips war die rechtsförmliche Gestaltung des Verfahrens. Jeder
Rechtsgang bedarf einer Zwangsgewalt, welche eine bestimmte Ord-
nung des Verfahrens verbürgt. Wo wie im germanischen Prozeſs-
rechte das Gericht der dazu erforderlichen Machtfülle entbehrte, muſste
der Zwang der Form das Verfahren in festem Geleise halten. Die
selbständigen Parteihandlungen waren als Formalakte ausgestaltet, sie
muſsten, um prozessualisch wirksam zu werden, gewissen Form-
vorschriften genügen. Für das gesprochene Wort galt, da es an
einem Organe zur freien Auslegung der Parteierklärungen fehlte, der
Grundsatz der strikten Buchstabeninterpretation. Der altdeutsche
Rechtsgang zeichnete sich durch einen einfachen aber groſsartigen
Formalismus aus. Er stellte sich zugleich als ein Verfahren strengen
Rechtes dar, da Formverstöſse und fehlerhafte Erklärungen unheilbar
waren, in ihren nachteiligen Wirkungen nicht wieder gut gemacht
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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