Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 20. Die Gerichtsverfassung. nicht mehr ad hoc bestimmte, sondern der Urteilsvorschlag Sacheeines ständigen Urteilfinders wurde, so bei den Oberdeutschen und Friesen, während der nordische Rechtsprecher zunächst nur über zweifelhafte Rechtsfragen Rechtsbelehrung zu geben hatte51. Der urteilfindende Richter, wie er uns bei den Langobarden und spuren- haft bei den Angelsachsen begegnet, mag in einer Befugnis des ger- manischen Richters, von der Urteilsfrage abzusehen, seinen Ausgangs- punkt haben. Der bunten Mannigfaltigkeit gegenüber, in welcher das Gerichts- 51 Ein Überrest des germanischen Gerichtswesens hat sich, wie schon Grimm, RA S 750 bemerkt, in unseren Pfänderspielen erhalten. Der Richter, d. h. der Spielgenosse, der die verwirkten Pfänder zur Auslösung ausruft, stellt an einen be- liebigen Gespielen die Urteilsfrage: Was soll dies Pfand in meiner Hand? Der zu- sagende Urteilsvorschlag findet die Billigung der Gesamtheit. Wer sich durch be- sonders artige Einfälle auszeichnet, gewinnt wohl die Rolle eines ständigen Urteil- finders. Die Hingabe des Pfandes (wadium, Wette) erscheint rechtlich als das Ver- sprechen, das Pfand durch Erfüllung des Urteils auszulösen. 52 K. Maurer, Germania XVI 320 f. Grimm, RA S 770. 864. K. Leh- mann, Z2 f. RG V 93 ff. Schröder, Z2 f. RG VII 59. 53 Die Leges Edwardi Confess. geben c. 30 eine andere Erklärung, die uns ebensowenig irre führen darf, wie die daselbst versuchte Herleitung des Wortes aus dem Angelsächsischen. 54 Die schwedischen Rechte kennen einen Vertragsschluss mit fastar, confir-
mantes, confirmatores genannt. Der Formel maeth fastum ist die Formel maeth skapt (mit Speerschaft) gleichbedeutend. Die fastar sind Vertreter der Dingversammlung, § 20. Die Gerichtsverfassung. nicht mehr ad hoc bestimmte, sondern der Urteilsvorschlag Sacheeines ständigen Urteilfinders wurde, so bei den Oberdeutschen und Friesen, während der nordische Rechtsprecher zunächst nur über zweifelhafte Rechtsfragen Rechtsbelehrung zu geben hatte51. Der urteilfindende Richter, wie er uns bei den Langobarden und spuren- haft bei den Angelsachsen begegnet, mag in einer Befugnis des ger- manischen Richters, von der Urteilsfrage abzusehen, seinen Ausgangs- punkt haben. Der bunten Mannigfaltigkeit gegenüber, in welcher das Gerichts- 51 Ein Überrest des germanischen Gerichtswesens hat sich, wie schon Grimm, RA S 750 bemerkt, in unseren Pfänderspielen erhalten. Der Richter, d. h. der Spielgenosse, der die verwirkten Pfänder zur Auslösung ausruft, stellt an einen be- liebigen Gespielen die Urteilsfrage: Was soll dies Pfand in meiner Hand? Der zu- sagende Urteilsvorschlag findet die Billigung der Gesamtheit. Wer sich durch be- sonders artige Einfälle auszeichnet, gewinnt wohl die Rolle eines ständigen Urteil- finders. Die Hingabe des Pfandes (wadium, Wette) erscheint rechtlich als das Ver- sprechen, das Pfand durch Erfüllung des Urteils auszulösen. 52 K. Maurer, Germania XVI 320 f. Grimm, RA S 770. 864. K. Leh- mann, Z2 f. RG V 93 ff. Schröder, Z2 f. RG VII 59. 53 Die Leges Edwardi Confess. geben c. 30 eine andere Erklärung, die uns ebensowenig irre führen darf, wie die daselbst versuchte Herleitung des Wortes aus dem Angelsächsischen. 54 Die schwedischen Rechte kennen einen Vertragsschluſs mit fastar, confir-
mantes, confirmatores genannt. Der Formel mæþ fastum ist die Formel mæþ skapt (mit Speerschaft) gleichbedeutend. Die fastar sind Vertreter der Dingversammlung, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0173" n="155"/><fw place="top" type="header">§ 20. Die Gerichtsverfassung.</fw><lb/> nicht mehr ad hoc bestimmte, sondern der Urteilsvorschlag Sache<lb/> eines ständigen Urteilfinders wurde, so bei den Oberdeutschen und<lb/> Friesen, während der nordische Rechtsprecher zunächst nur über<lb/> zweifelhafte Rechtsfragen Rechtsbelehrung zu geben hatte<note place="foot" n="51">Ein Überrest des germanischen Gerichtswesens hat sich, wie schon <hi rendition="#g">Grimm,</hi><lb/> RA S 750 bemerkt, in unseren Pfänderspielen erhalten. Der Richter, d. h. der<lb/> Spielgenosse, der die verwirkten Pfänder zur Auslösung ausruft, stellt an einen be-<lb/> liebigen Gespielen die Urteilsfrage: Was soll dies Pfand in meiner Hand? Der zu-<lb/> sagende Urteilsvorschlag findet die Billigung der Gesamtheit. Wer sich durch be-<lb/> sonders artige Einfälle auszeichnet, gewinnt wohl die Rolle eines ständigen Urteil-<lb/> finders. Die Hingabe des Pfandes (wadium, Wette) erscheint rechtlich als das Ver-<lb/> sprechen, das Pfand durch Erfüllung des Urteils auszulösen.</note>. Der<lb/> urteilfindende Richter, wie er uns bei den Langobarden und spuren-<lb/> haft bei den Angelsachsen begegnet, mag in einer Befugnis des ger-<lb/> manischen Richters, von der Urteilsfrage abzusehen, seinen Ausgangs-<lb/> punkt haben.</p><lb/> <p>Der bunten Mannigfaltigkeit gegenüber, in welcher das Gerichts-<lb/> wesen sich bei den verschiedenen Stämmen ausgestaltete, ist als<lb/> unverrückter Drehpunkt der Bewegung die Thatsache festzuhalten,<lb/> daſs das germanische Urteil ein Urteil der Gerichtsgemeinde und alles<lb/> was dem Vollwort der Gerichtsgemeinde vorausging, im Rechtssinne<lb/> nur Urteilsvorschlag war. Als altertümlichste Form des Gesamturteils<lb/> tritt uns später die Sitte des Waffenschlags und der Waffengreifung<lb/> entgegen, die wir schon bei den Beschlüssen der von Tacitus geschil-<lb/> derten Landesgemeinde haben kennen gelernt. Im Rechte von Schonen<lb/> kommt das vápnatak bei der Friedloslegung vor. In Norwegen wurde<lb/> es auch bei zivilrechtlichen Urteilen angewendet und als Formal-<lb/> akt, durch den die Gerichtsgemeinde gewisse Rechtsgeschäfte, u. a.<lb/> Übereignungen von Grundstücken, bekräftigte<note place="foot" n="52">K. <hi rendition="#g">Maurer,</hi> Germania XVI 320 f. <hi rendition="#g">Grimm,</hi> RA S 770. 864. K. <hi rendition="#g">Leh-<lb/> mann,</hi> Z<hi rendition="#sup">2</hi> f. RG V 93 ff. <hi rendition="#g">Schröder</hi>, Z<hi rendition="#sup">2</hi> f. RG VII 59.</note>. Die nordenglischen<lb/> Hundertschaften, welche stark mit skandinavischer Bevölkerung durch-<lb/> setzt waren, führen den Namen wæ̂pentâk, vermutlich von der Form,<lb/> in welcher die Gerichtsgemeinde ursprünglich ihr Vollwort abgab<note place="foot" n="53">Die Leges Edwardi Confess. geben c. 30 eine andere Erklärung, die uns<lb/> ebensowenig irre führen darf, wie die daselbst versuchte Herleitung des Wortes aus<lb/> dem Angelsächsischen.</note>.<lb/> Auch den Schweden war einstens ein mit Speerschaft abgegebenes<lb/> Urteil bekannt<note xml:id="note-0173" next="#note-0174" place="foot" n="54">Die schwedischen Rechte kennen einen Vertragsschluſs mit fastar, confir-<lb/> mantes, confirmatores genannt. Der Formel mæþ fastum ist die Formel mæþ skapt<lb/> (mit Speerschaft) gleichbedeutend. Die fastar sind Vertreter der Dingversammlung,</note>. In Holstein muſsten bis Ausgang des 17. Jahr-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [155/0173]
§ 20. Die Gerichtsverfassung.
nicht mehr ad hoc bestimmte, sondern der Urteilsvorschlag Sache
eines ständigen Urteilfinders wurde, so bei den Oberdeutschen und
Friesen, während der nordische Rechtsprecher zunächst nur über
zweifelhafte Rechtsfragen Rechtsbelehrung zu geben hatte 51. Der
urteilfindende Richter, wie er uns bei den Langobarden und spuren-
haft bei den Angelsachsen begegnet, mag in einer Befugnis des ger-
manischen Richters, von der Urteilsfrage abzusehen, seinen Ausgangs-
punkt haben.
Der bunten Mannigfaltigkeit gegenüber, in welcher das Gerichts-
wesen sich bei den verschiedenen Stämmen ausgestaltete, ist als
unverrückter Drehpunkt der Bewegung die Thatsache festzuhalten,
daſs das germanische Urteil ein Urteil der Gerichtsgemeinde und alles
was dem Vollwort der Gerichtsgemeinde vorausging, im Rechtssinne
nur Urteilsvorschlag war. Als altertümlichste Form des Gesamturteils
tritt uns später die Sitte des Waffenschlags und der Waffengreifung
entgegen, die wir schon bei den Beschlüssen der von Tacitus geschil-
derten Landesgemeinde haben kennen gelernt. Im Rechte von Schonen
kommt das vápnatak bei der Friedloslegung vor. In Norwegen wurde
es auch bei zivilrechtlichen Urteilen angewendet und als Formal-
akt, durch den die Gerichtsgemeinde gewisse Rechtsgeschäfte, u. a.
Übereignungen von Grundstücken, bekräftigte 52. Die nordenglischen
Hundertschaften, welche stark mit skandinavischer Bevölkerung durch-
setzt waren, führen den Namen wæ̂pentâk, vermutlich von der Form,
in welcher die Gerichtsgemeinde ursprünglich ihr Vollwort abgab 53.
Auch den Schweden war einstens ein mit Speerschaft abgegebenes
Urteil bekannt 54. In Holstein muſsten bis Ausgang des 17. Jahr-
51 Ein Überrest des germanischen Gerichtswesens hat sich, wie schon Grimm,
RA S 750 bemerkt, in unseren Pfänderspielen erhalten. Der Richter, d. h. der
Spielgenosse, der die verwirkten Pfänder zur Auslösung ausruft, stellt an einen be-
liebigen Gespielen die Urteilsfrage: Was soll dies Pfand in meiner Hand? Der zu-
sagende Urteilsvorschlag findet die Billigung der Gesamtheit. Wer sich durch be-
sonders artige Einfälle auszeichnet, gewinnt wohl die Rolle eines ständigen Urteil-
finders. Die Hingabe des Pfandes (wadium, Wette) erscheint rechtlich als das Ver-
sprechen, das Pfand durch Erfüllung des Urteils auszulösen.
52 K. Maurer, Germania XVI 320 f. Grimm, RA S 770. 864. K. Leh-
mann, Z2 f. RG V 93 ff. Schröder, Z2 f. RG VII 59.
53 Die Leges Edwardi Confess. geben c. 30 eine andere Erklärung, die uns
ebensowenig irre führen darf, wie die daselbst versuchte Herleitung des Wortes aus
dem Angelsächsischen.
54 Die schwedischen Rechte kennen einen Vertragsschluſs mit fastar, confir-
mantes, confirmatores genannt. Der Formel mæþ fastum ist die Formel mæþ skapt
(mit Speerschaft) gleichbedeutend. Die fastar sind Vertreter der Dingversammlung,
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