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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 14. Die Stände.
gegangene Geschlechtsverbindung des Knechtes kann von jenem be-
liebig aufgelöst werden. Von vorneherein ausserhalb der Rechtsgemein-
schaft stehend kann der Knecht nicht friedlos werden; sonst möchte
er, sagt eine schwedische Rechtsquelle7, gern den Frieden brechen,
auf dass er möchte friedlos sein. Er kann überhaupt keine nach Volks-
recht strafbare Handlung begehen; für den Schaden, den er Dritten
gegenüber anrichtet, haftet der Herr. Im Gegensatz zu den schroffen
Grundsätzen des Rechts war die thatsächliche Stellung der Knechte
eine verhältnismässig günstige. Nicht selten im Hause des Herrn auf-
erzogen, als Hausgesinde oder zur Bewirtschaftung abhängiger Höfe
verwendet, wurden sie, wie Tacitus im Hinblick auf die römische
Sklaverei betont, im allgemeinen milde behandelt8.

Die ältesten Entstehungsgründe der Knechtschaft waren die
Kriegsgefangenschaft und die gewaltsame kriegerische Unterjochung.
Die Knechtschaft der Eltern vererbte auf die Kinder. Der freie Mann
konnte sich selbst und, wie bereits oben bemerkt worden ist, seine
Frau und seine Kinder in die Knechtschaft verkaufen. Auch die Über-
schuldung, namentlich das Unvermögen die etwa verwirkte Busse zu
zahlen, führte zur Verknechtung.

Der Zustand der Knechtschaft kann durch Freilassung9 auf-
gehoben werden. Der Knecht steigt aber durch die Freilassung nicht
in die gemeine Freiheit empor, sondern er wird nur in eine be-
schränkte Rechtsfähigkeit, in das Verhältnis einer rechtlich geschützten
Hörigkeit eingeführt. Liberti non multum super servos sunt, sagt
schon Tacitus10. Nur bei den Völkerschaften mit strafferer Königs-
gewalt vermögen die Freigelassenen erheblichere Bedeutung zu ge-
winnen. Bei den übrigen erscheine es als ein Zeichen der Volks-
freiheit, dass der Freigelassene Ungenosse des Freien ist10. Die

7 v. Amira, Obligationenrecht S 392.
8 Tacitus schildert zwar in Germ. c. 25 die Knechte schlechtweg als unfreie
Kolonen. Allein in c. 20 setzt er ein unfreies Hausgesinde voraus, indem er die
Kinder der Herrn und der Knechte inter eadem pecora, in eadem humo aufwachsen
lässt. Und wenn vom Freigelassenen c. 25 gesagt wird: raro aliquod momentum
in domo, wird er wohl nicht erst durch die Freilassung in das Hauswesen des
Herrn aufgenommen worden sein.
9 Der Freigelassene heisst ahd. hantlaz, hantfrei, freilaz, got. fralets, ags. lysing,
altn. leysingr (ags. lysan, altn. leysa lösen, freimachen) und frjalsgafi. Leysingr ist
im älteren norwegischen Rechte der Freigelassene höherer Ordnung, frjalsgafi der
Freigelassene geringeren Grades. K. Maurer, Freigel. S 31.
10 Germania c. 25: raro aliquod momentum in domo numquam in civitate,
exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. ibi enim et super ingenuos et super
nobiles ascendunt; apud ceteros impares libertini libertatis argumentum sunt.
10 Germania c. 25: raro aliquod momentum in domo numquam in civitate,
exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. ibi enim et super ingenuos et super
nobiles ascendunt; apud ceteros impares libertini libertatis argumentum sunt.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 7

§ 14. Die Stände.
gegangene Geschlechtsverbindung des Knechtes kann von jenem be-
liebig aufgelöst werden. Von vorneherein auſserhalb der Rechtsgemein-
schaft stehend kann der Knecht nicht friedlos werden; sonst möchte
er, sagt eine schwedische Rechtsquelle7, gern den Frieden brechen,
auf daſs er möchte friedlos sein. Er kann überhaupt keine nach Volks-
recht strafbare Handlung begehen; für den Schaden, den er Dritten
gegenüber anrichtet, haftet der Herr. Im Gegensatz zu den schroffen
Grundsätzen des Rechts war die thatsächliche Stellung der Knechte
eine verhältnismäſsig günstige. Nicht selten im Hause des Herrn auf-
erzogen, als Hausgesinde oder zur Bewirtschaftung abhängiger Höfe
verwendet, wurden sie, wie Tacitus im Hinblick auf die römische
Sklaverei betont, im allgemeinen milde behandelt8.

Die ältesten Entstehungsgründe der Knechtschaft waren die
Kriegsgefangenschaft und die gewaltsame kriegerische Unterjochung.
Die Knechtschaft der Eltern vererbte auf die Kinder. Der freie Mann
konnte sich selbst und, wie bereits oben bemerkt worden ist, seine
Frau und seine Kinder in die Knechtschaft verkaufen. Auch die Über-
schuldung, namentlich das Unvermögen die etwa verwirkte Buſse zu
zahlen, führte zur Verknechtung.

Der Zustand der Knechtschaft kann durch Freilassung9 auf-
gehoben werden. Der Knecht steigt aber durch die Freilassung nicht
in die gemeine Freiheit empor, sondern er wird nur in eine be-
schränkte Rechtsfähigkeit, in das Verhältnis einer rechtlich geschützten
Hörigkeit eingeführt. Liberti non multum super servos sunt, sagt
schon Tacitus10. Nur bei den Völkerschaften mit strafferer Königs-
gewalt vermögen die Freigelassenen erheblichere Bedeutung zu ge-
winnen. Bei den übrigen erscheine es als ein Zeichen der Volks-
freiheit, daſs der Freigelassene Ungenosse des Freien ist10. Die

7 v. Amira, Obligationenrecht S 392.
8 Tacitus schildert zwar in Germ. c. 25 die Knechte schlechtweg als unfreie
Kolonen. Allein in c. 20 setzt er ein unfreies Hausgesinde voraus, indem er die
Kinder der Herrn und der Knechte inter eadem pecora, in eadem humo aufwachsen
läſst. Und wenn vom Freigelassenen c. 25 gesagt wird: raro aliquod momentum
in domo, wird er wohl nicht erst durch die Freilassung in das Hauswesen des
Herrn aufgenommen worden sein.
9 Der Freigelassene heiſst ahd. hantlaz, hantfrî, frîlaz, got. fralets, ags. lŷsing,
altn. leysíngr (ags. lŷsan, altn. leysa lösen, freimachen) und frjálsgafi. Leysíngr ist
im älteren norwegischen Rechte der Freigelassene höherer Ordnung, frjálsgafi der
Freigelassene geringeren Grades. K. Maurer, Freigel. S 31.
10 Germania c. 25: raro aliquod momentum in domo numquam in civitate,
exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. ibi enim et super ingenuos et super
nobiles ascendunt; apud ceteros impares libertini libertatis argumentum sunt.
10 Germania c. 25: raro aliquod momentum in domo numquam in civitate,
exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. ibi enim et super ingenuos et super
nobiles ascendunt; apud ceteros impares libertini libertatis argumentum sunt.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 7
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[97/0115] § 14. Die Stände. gegangene Geschlechtsverbindung des Knechtes kann von jenem be- liebig aufgelöst werden. Von vorneherein auſserhalb der Rechtsgemein- schaft stehend kann der Knecht nicht friedlos werden; sonst möchte er, sagt eine schwedische Rechtsquelle 7, gern den Frieden brechen, auf daſs er möchte friedlos sein. Er kann überhaupt keine nach Volks- recht strafbare Handlung begehen; für den Schaden, den er Dritten gegenüber anrichtet, haftet der Herr. Im Gegensatz zu den schroffen Grundsätzen des Rechts war die thatsächliche Stellung der Knechte eine verhältnismäſsig günstige. Nicht selten im Hause des Herrn auf- erzogen, als Hausgesinde oder zur Bewirtschaftung abhängiger Höfe verwendet, wurden sie, wie Tacitus im Hinblick auf die römische Sklaverei betont, im allgemeinen milde behandelt 8. Die ältesten Entstehungsgründe der Knechtschaft waren die Kriegsgefangenschaft und die gewaltsame kriegerische Unterjochung. Die Knechtschaft der Eltern vererbte auf die Kinder. Der freie Mann konnte sich selbst und, wie bereits oben bemerkt worden ist, seine Frau und seine Kinder in die Knechtschaft verkaufen. Auch die Über- schuldung, namentlich das Unvermögen die etwa verwirkte Buſse zu zahlen, führte zur Verknechtung. Der Zustand der Knechtschaft kann durch Freilassung 9 auf- gehoben werden. Der Knecht steigt aber durch die Freilassung nicht in die gemeine Freiheit empor, sondern er wird nur in eine be- schränkte Rechtsfähigkeit, in das Verhältnis einer rechtlich geschützten Hörigkeit eingeführt. Liberti non multum super servos sunt, sagt schon Tacitus 10. Nur bei den Völkerschaften mit strafferer Königs- gewalt vermögen die Freigelassenen erheblichere Bedeutung zu ge- winnen. Bei den übrigen erscheine es als ein Zeichen der Volks- freiheit, daſs der Freigelassene Ungenosse des Freien ist 10. Die 7 v. Amira, Obligationenrecht S 392. 8 Tacitus schildert zwar in Germ. c. 25 die Knechte schlechtweg als unfreie Kolonen. Allein in c. 20 setzt er ein unfreies Hausgesinde voraus, indem er die Kinder der Herrn und der Knechte inter eadem pecora, in eadem humo aufwachsen läſst. Und wenn vom Freigelassenen c. 25 gesagt wird: raro aliquod momentum in domo, wird er wohl nicht erst durch die Freilassung in das Hauswesen des Herrn aufgenommen worden sein. 9 Der Freigelassene heiſst ahd. hantlaz, hantfrî, frîlaz, got. fralets, ags. lŷsing, altn. leysíngr (ags. lŷsan, altn. leysa lösen, freimachen) und frjálsgafi. Leysíngr ist im älteren norwegischen Rechte der Freigelassene höherer Ordnung, frjálsgafi der Freigelassene geringeren Grades. K. Maurer, Freigel. S 31. 10 Germania c. 25: raro aliquod momentum in domo numquam in civitate, exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. ibi enim et super ingenuos et super nobiles ascendunt; apud ceteros impares libertini libertatis argumentum sunt. 10 Germania c. 25: raro aliquod momentum in domo numquam in civitate, exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. ibi enim et super ingenuos et super nobiles ascendunt; apud ceteros impares libertini libertatis argumentum sunt. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 7

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/115>, abgerufen am 24.11.2024.