Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 13. Die Sippe. an der Vormundschaft noch kräftig hervor39. Dass der Einzelvormundin Norwegen und Island Gutsverwaltungsmann, Verwalter, fjarhalls- madr, fjarhald, veizlumadr heisst, deutet klar genug auf seine Unter- ordnung unter das Mundium der Sippe hin. In den meisten Rechten des fränkischen Reiches hat sich aus der Sitte, den nächsten Magen des Mündels als Verwalter der Mundschaft zu bestellen, der Rechts- satz entwickelt, dass der nächste männliche Verwandte kraft Geburts- rechtes zum Vormund, foramundo, muntporo, berufen sei. So ist an die Stelle des von der Sippe gekorenen Mundschaftsverwalters der geborene Vormund getreten, während die ehemalige Gesamtmundschaft der Sippe zur Obervormundschaft einschrumpfte. Tritt damit die Stellung der Sippe mehr und mehr zurück, so weisen doch noch zahlreiche vereinzelte Rechtssätze auf ihre ursprüngliche Gesamtmund- schaft zurück. Wir finden in einer jüngeren Rechtsquelle, dass die Magschaft eine Mehrzahl von Mombern (Momber zusammengezogen aus muntporo) und einen darunter zum Vormomber bestellt40. Aus der Gesamtmundschaft der Sippe erklärt sich auch die bei der Struktur der germanischen Rechte höchst auffallende Erscheinung, dass manche Rechte die vormundschaftliche Verwaltung der Mutter oder einer sonstigen weiblichen Verwandten des Mündels zuweisen41. Gemeinschaftliche Angelegenheit der Sippe ist die Verheiratung 39 Siehe Rive, Vormundschaft I 31 ff. 51. 62 Anm 23. 24, wo freilich nur die disjecta membra der Obervormundschaft der Sippe sichtbar werden, weil dem Verfasser das Mundium des Geschlechtsverbandes als geschichtlicher Ausgangspunkt der familienrechtlichen Vormundschaft im e. S. unbekannt geblieben ist und ihm deshalb das ganze Rechtsinstitut in eine Reihe zusammenhangloser und daher un- verständlicher Einrichtungen auseinanderfiel. 40 Magnin, Overzigt van de Besturen ... in Drenthe III 1 S 213. Nach dem Drenter Rechte setzen die Gemeinde, die Magen oder das Gericht zwei Mom- ber von der Vaterseite, zwei von der Mutterseite und einen Vormomber. Der Vor- momber hat die unmittelbare Verwaltung der Vormundschaft und muss den vier Mombern Rechnung legen. Die ursprüngliche Stellung des Vormunds zur Mund- schaft der Sippe dürfte der des Vormombers zu den Mombern analog zu denken sein. 41 Lex Wisigothorum IV 3, 3. Lex Burg. 59. Spuren im bair. Recht s. bei Rive I 195 Anm 7. Ferner im isländischen, schwedischen und dänischen Rechte, Rive I 30. 31. 61 f. 65. In zahlreichen Quellen des späteren Mittelalters Stobbe, Deutsches PrR IV 435 Anm 10. 11. 42 Bei der Raubehe sind natürlich nur die Sippegenossen des Mannes beteiligt. 43 Tacitus c. 18: intersunt parentes et propinqui. Lex Salica Extravag. A. 1,
Hessels col. 420: si quis filiam alienam ad coniugium quaesierit praesentibus suis § 13. Die Sippe. an der Vormundschaft noch kräftig hervor39. Daſs der Einzelvormundin Norwegen und Island Gutsverwaltungsmann, Verwalter, fjárhalls- mađr, fjárhald, veizlumađr heiſst, deutet klar genug auf seine Unter- ordnung unter das Mundium der Sippe hin. In den meisten Rechten des fränkischen Reiches hat sich aus der Sitte, den nächsten Magen des Mündels als Verwalter der Mundschaft zu bestellen, der Rechts- satz entwickelt, daſs der nächste männliche Verwandte kraft Geburts- rechtes zum Vormund, foramundo, muntporo, berufen sei. So ist an die Stelle des von der Sippe gekorenen Mundschaftsverwalters der geborene Vormund getreten, während die ehemalige Gesamtmundschaft der Sippe zur Obervormundschaft einschrumpfte. Tritt damit die Stellung der Sippe mehr und mehr zurück, so weisen doch noch zahlreiche vereinzelte Rechtssätze auf ihre ursprüngliche Gesamtmund- schaft zurück. Wir finden in einer jüngeren Rechtsquelle, daſs die Magschaft eine Mehrzahl von Mombern (Momber zusammengezogen aus muntporo) und einen darunter zum Vormomber bestellt40. Aus der Gesamtmundschaft der Sippe erklärt sich auch die bei der Struktur der germanischen Rechte höchst auffallende Erscheinung, daſs manche Rechte die vormundschaftliche Verwaltung der Mutter oder einer sonstigen weiblichen Verwandten des Mündels zuweisen41. Gemeinschaftliche Angelegenheit der Sippe ist die Verheiratung 39 Siehe Rive, Vormundschaft I 31 ff. 51. 62 Anm 23. 24, wo freilich nur die disjecta membra der Obervormundschaft der Sippe sichtbar werden, weil dem Verfasser das Mundium des Geschlechtsverbandes als geschichtlicher Ausgangspunkt der familienrechtlichen Vormundschaft im e. S. unbekannt geblieben ist und ihm deshalb das ganze Rechtsinstitut in eine Reihe zusammenhangloser und daher un- verständlicher Einrichtungen auseinanderfiel. 40 Magnin, Overzigt van de Besturen … in Drenthe III 1 S 213. Nach dem Drenter Rechte setzen die Gemeinde, die Magen oder das Gericht zwei Mom- ber von der Vaterseite, zwei von der Mutterseite und einen Vormomber. Der Vor- momber hat die unmittelbare Verwaltung der Vormundschaft und muſs den vier Mombern Rechnung legen. Die ursprüngliche Stellung des Vormunds zur Mund- schaft der Sippe dürfte der des Vormombers zu den Mombern analog zu denken sein. 41 Lex Wisigothorum IV 3, 3. Lex Burg. 59. Spuren im bair. Recht s. bei Rive I 195 Anm 7. Ferner im isländischen, schwedischen und dänischen Rechte, Rive I 30. 31. 61 f. 65. In zahlreichen Quellen des späteren Mittelalters Stobbe, Deutsches PrR IV 435 Anm 10. 11. 42 Bei der Raubehe sind natürlich nur die Sippegenossen des Mannes beteiligt. 43 Tacitus c. 18: intersunt parentes et propinqui. Lex Salica Extravag. A. 1,
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§ 13. Die Sippe.
an der Vormundschaft noch kräftig hervor 39. Daſs der Einzelvormund
in Norwegen und Island Gutsverwaltungsmann, Verwalter, fjárhalls-
mađr, fjárhald, veizlumađr heiſst, deutet klar genug auf seine Unter-
ordnung unter das Mundium der Sippe hin. In den meisten Rechten
des fränkischen Reiches hat sich aus der Sitte, den nächsten Magen
des Mündels als Verwalter der Mundschaft zu bestellen, der Rechts-
satz entwickelt, daſs der nächste männliche Verwandte kraft Geburts-
rechtes zum Vormund, foramundo, muntporo, berufen sei. So ist an
die Stelle des von der Sippe gekorenen Mundschaftsverwalters der
geborene Vormund getreten, während die ehemalige Gesamtmundschaft
der Sippe zur Obervormundschaft einschrumpfte. Tritt damit die
Stellung der Sippe mehr und mehr zurück, so weisen doch noch
zahlreiche vereinzelte Rechtssätze auf ihre ursprüngliche Gesamtmund-
schaft zurück. Wir finden in einer jüngeren Rechtsquelle, daſs die
Magschaft eine Mehrzahl von Mombern (Momber zusammengezogen
aus muntporo) und einen darunter zum Vormomber bestellt 40. Aus
der Gesamtmundschaft der Sippe erklärt sich auch die bei der
Struktur der germanischen Rechte höchst auffallende Erscheinung,
daſs manche Rechte die vormundschaftliche Verwaltung der Mutter
oder einer sonstigen weiblichen Verwandten des Mündels zuweisen 41.
Gemeinschaftliche Angelegenheit der Sippe ist die Verheiratung
von Mitgliedern der Sippe. Die Eheschlieſsung findet, soweit sie
durch Frauenkauf erfolgt 42, in Gegenwart und mit Zustimmung der
beiderseitigen Verwandten statt 43. Nach dem angelsächsischen Ver-
39 Siehe Rive, Vormundschaft I 31 ff. 51. 62 Anm 23. 24, wo freilich nur
die disjecta membra der Obervormundschaft der Sippe sichtbar werden, weil dem
Verfasser das Mundium des Geschlechtsverbandes als geschichtlicher Ausgangspunkt
der familienrechtlichen Vormundschaft im e. S. unbekannt geblieben ist und ihm
deshalb das ganze Rechtsinstitut in eine Reihe zusammenhangloser und daher un-
verständlicher Einrichtungen auseinanderfiel.
40 Magnin, Overzigt van de Besturen … in Drenthe III 1 S 213. Nach
dem Drenter Rechte setzen die Gemeinde, die Magen oder das Gericht zwei Mom-
ber von der Vaterseite, zwei von der Mutterseite und einen Vormomber. Der Vor-
momber hat die unmittelbare Verwaltung der Vormundschaft und muſs den vier
Mombern Rechnung legen. Die ursprüngliche Stellung des Vormunds zur Mund-
schaft der Sippe dürfte der des Vormombers zu den Mombern analog zu denken sein.
41 Lex Wisigothorum IV 3, 3. Lex Burg. 59. Spuren im bair. Recht s. bei
Rive I 195 Anm 7. Ferner im isländischen, schwedischen und dänischen Rechte,
Rive I 30. 31. 61 f. 65. In zahlreichen Quellen des späteren Mittelalters Stobbe,
Deutsches PrR IV 435 Anm 10. 11.
42 Bei der Raubehe sind natürlich nur die Sippegenossen des Mannes beteiligt.
43 Tacitus c. 18: intersunt parentes et propinqui. Lex Salica Extravag. A. 1,
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