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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 13. Die Sippe.
glaubte, dass die Verwünschungsformel des Eides dem Meineidigen
sofortiges Verderben bringe, musste die Glaubwürdigkeit des Geschlechts-
eides, der die nächsten Angehörigen in den Fluch der Götter ver-
strickt32, in der Volksmeinung höher stehen wie die des Eides mit
ungesippten Helfern. Die Eideshilfe ist eine Rechtspflicht der Sippe-
genossen. Wie sie für die That des Genossen einstehen, indem sie
die Fehde tragen und für Wergeld und Bussen haften, so setzen sie
sich auch der göttlichen Strafe aus, falls der Genosse einen Meineid
schwört33.

Der Schutz, den die Sippe gewährt, äussert sich in dem Mundium,
welches sie über schutzbedürftige Mitglieder ausübt34. Die Vormund-
schaft über Unmündige und Weiber stand im ältesten Rechte noch
nicht dem nächsten Magen der Schwertseite, sondern der Sippe als
solcher zu. Die älteste Vormundschaft ist die Gesamtmundschaft der
Sippe. Als Gesamtvormund bestellt sie, wenn es erforderlich scheint,
eines ihrer Mitglieder zur Verwaltung des Mündesgutes, welche unter
ihrer Aufsicht geführt wird. Veräusserung von Mündelgut setzt einen
Beschluss der Magschaft voraus. Am deutlichsten hat das angel-
sächsische Recht dieses ursprüngliche Verhältnis bewahrt35. Nach
einem westsächsischen Gesetze König Ines (688--727) soll das vater-
lose Kind von der Mutter ernährt werden. Die Magen sollen den
Hauptsitz halten, bis das Kind gejährt ist, und der Mutter bis dahin
zur Ernährung des Kindes Alimente verabreichen, sechs Schillinge,
eine Kuh im Sommer, einen Ochsen im Winter36. Die Vormund-
schaft der Sippe setzt ein kentisches Gesetz des siebenten Jahrhunderts
voraus, wenn es bestimmt, dass das verwaiste Kind der Mutter folgen
und die Vatermagen einen Vormund stellen sollen37, der sein Gut
wahre, bis es zehn Winter alt ist38. Auch im nordischen, namentlich
im norwegischen und im dänischen Rechte tritt der Anteil der Sippe

Götter auf sich herabruft. Bücheler und Zitelmann, Das Recht von Gortyn,
1885, S 20.
32 Dieses Moment erklärt die auffallende Erscheinung, dass das burgundische
Recht, Lex Gundobada 8, 1, die Eideshilfe der Frau und eventuell der Mutter ver-
langt, während sonst in germanischen Rechten schon mit Rücksicht auf die Mög-
lichkeit der Eidesschelte nur Männer als Eideshelfer fungieren.
33 Auf die Streitfragen über Natur und Charakter der Eideshilfe kann erst
unten bei Darstellung des Rechtsganges näher eingegangen werden.
34 Der Schutz, welchen die Magschaft allen, auch den selbmündigen Ge-
nossen, schuldet, wird in Edmund II 1 § 1 mund genannt.
35 K. Maurer, KrÜ I 54 Anm 2. v. Amira, Erbenfolge S 83 f.
36 Ine c. 38.
37 Berigea wörtlich Bürge.
38 Hlothar und Eadric c. 6.

§ 13. Die Sippe.
glaubte, daſs die Verwünschungsformel des Eides dem Meineidigen
sofortiges Verderben bringe, muſste die Glaubwürdigkeit des Geschlechts-
eides, der die nächsten Angehörigen in den Fluch der Götter ver-
strickt32, in der Volksmeinung höher stehen wie die des Eides mit
ungesippten Helfern. Die Eideshilfe ist eine Rechtspflicht der Sippe-
genossen. Wie sie für die That des Genossen einstehen, indem sie
die Fehde tragen und für Wergeld und Buſsen haften, so setzen sie
sich auch der göttlichen Strafe aus, falls der Genosse einen Meineid
schwört33.

Der Schutz, den die Sippe gewährt, äuſsert sich in dem Mundium,
welches sie über schutzbedürftige Mitglieder ausübt34. Die Vormund-
schaft über Unmündige und Weiber stand im ältesten Rechte noch
nicht dem nächsten Magen der Schwertseite, sondern der Sippe als
solcher zu. Die älteste Vormundschaft ist die Gesamtmundschaft der
Sippe. Als Gesamtvormund bestellt sie, wenn es erforderlich scheint,
eines ihrer Mitglieder zur Verwaltung des Mündesgutes, welche unter
ihrer Aufsicht geführt wird. Veräuſserung von Mündelgut setzt einen
Beschluſs der Magschaft voraus. Am deutlichsten hat das angel-
sächsische Recht dieses ursprüngliche Verhältnis bewahrt35. Nach
einem westsächsischen Gesetze König Ines (688—727) soll das vater-
lose Kind von der Mutter ernährt werden. Die Magen sollen den
Hauptsitz halten, bis das Kind gejährt ist, und der Mutter bis dahin
zur Ernährung des Kindes Alimente verabreichen, sechs Schillinge,
eine Kuh im Sommer, einen Ochsen im Winter36. Die Vormund-
schaft der Sippe setzt ein kentisches Gesetz des siebenten Jahrhunderts
voraus, wenn es bestimmt, daſs das verwaiste Kind der Mutter folgen
und die Vatermagen einen Vormund stellen sollen37, der sein Gut
wahre, bis es zehn Winter alt ist38. Auch im nordischen, namentlich
im norwegischen und im dänischen Rechte tritt der Anteil der Sippe

Götter auf sich herabruft. Bücheler und Zitelmann, Das Recht von Gortyn,
1885, S 20.
32 Dieses Moment erklärt die auffallende Erscheinung, daſs das burgundische
Recht, Lex Gundobada 8, 1, die Eideshilfe der Frau und eventuell der Mutter ver-
langt, während sonst in germanischen Rechten schon mit Rücksicht auf die Mög-
lichkeit der Eidesschelte nur Männer als Eideshelfer fungieren.
33 Auf die Streitfragen über Natur und Charakter der Eideshilfe kann erst
unten bei Darstellung des Rechtsganges näher eingegangen werden.
34 Der Schutz, welchen die Magschaft allen, auch den selbmündigen Ge-
nossen, schuldet, wird in Edmund II 1 § 1 mund genannt.
35 K. Maurer, KrÜ I 54 Anm 2. v. Amira, Erbenfolge S 83 f.
36 Ine c. 38.
37 Berigea wörtlich Bürge.
38 Hlothar und Eadric c. 6.
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[89/0107] § 13. Die Sippe. glaubte, daſs die Verwünschungsformel des Eides dem Meineidigen sofortiges Verderben bringe, muſste die Glaubwürdigkeit des Geschlechts- eides, der die nächsten Angehörigen in den Fluch der Götter ver- strickt 32, in der Volksmeinung höher stehen wie die des Eides mit ungesippten Helfern. Die Eideshilfe ist eine Rechtspflicht der Sippe- genossen. Wie sie für die That des Genossen einstehen, indem sie die Fehde tragen und für Wergeld und Buſsen haften, so setzen sie sich auch der göttlichen Strafe aus, falls der Genosse einen Meineid schwört 33. Der Schutz, den die Sippe gewährt, äuſsert sich in dem Mundium, welches sie über schutzbedürftige Mitglieder ausübt 34. Die Vormund- schaft über Unmündige und Weiber stand im ältesten Rechte noch nicht dem nächsten Magen der Schwertseite, sondern der Sippe als solcher zu. Die älteste Vormundschaft ist die Gesamtmundschaft der Sippe. Als Gesamtvormund bestellt sie, wenn es erforderlich scheint, eines ihrer Mitglieder zur Verwaltung des Mündesgutes, welche unter ihrer Aufsicht geführt wird. Veräuſserung von Mündelgut setzt einen Beschluſs der Magschaft voraus. Am deutlichsten hat das angel- sächsische Recht dieses ursprüngliche Verhältnis bewahrt 35. Nach einem westsächsischen Gesetze König Ines (688—727) soll das vater- lose Kind von der Mutter ernährt werden. Die Magen sollen den Hauptsitz halten, bis das Kind gejährt ist, und der Mutter bis dahin zur Ernährung des Kindes Alimente verabreichen, sechs Schillinge, eine Kuh im Sommer, einen Ochsen im Winter 36. Die Vormund- schaft der Sippe setzt ein kentisches Gesetz des siebenten Jahrhunderts voraus, wenn es bestimmt, daſs das verwaiste Kind der Mutter folgen und die Vatermagen einen Vormund stellen sollen 37, der sein Gut wahre, bis es zehn Winter alt ist 38. Auch im nordischen, namentlich im norwegischen und im dänischen Rechte tritt der Anteil der Sippe 31 32 Dieses Moment erklärt die auffallende Erscheinung, daſs das burgundische Recht, Lex Gundobada 8, 1, die Eideshilfe der Frau und eventuell der Mutter ver- langt, während sonst in germanischen Rechten schon mit Rücksicht auf die Mög- lichkeit der Eidesschelte nur Männer als Eideshelfer fungieren. 33 Auf die Streitfragen über Natur und Charakter der Eideshilfe kann erst unten bei Darstellung des Rechtsganges näher eingegangen werden. 34 Der Schutz, welchen die Magschaft allen, auch den selbmündigen Ge- nossen, schuldet, wird in Edmund II 1 § 1 mund genannt. 35 K. Maurer, KrÜ I 54 Anm 2. v. Amira, Erbenfolge S 83 f. 36 Ine c. 38. 37 Berigea wörtlich Bürge. 38 Hlothar und Eadric c. 6. 31 Götter auf sich herabruft. Bücheler und Zitelmann, Das Recht von Gortyn, 1885, S 20.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/107>, abgerufen am 23.11.2024.