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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 13. Die Sippe.

Die Art der Verteilung des Wergeldes war ursprünglich interne
Angelegenheit des Geschlechtes, so dass sie sich im Einzelfalle ver-
schieden gestaltete. Doch muss sich schon früh ein bestimmter her-
kömmlicher Verteilungsmassstab ausgebildet haben. Denn bei den
Salfranken, bei den Friesen, Sachsen, Angelsachsen und Nordgermanen
finden wir Jahrhunderte hindurch feste Grundsätze über die Verteilung
des Manngeldes, welche soweit übereinstimmen, dass sie auf eine ur-
sprünglich gemeinsame Grundlage zurückweisen. Allenthalben zerfällt
hier das Wergeld in mindestens zwei Teile, deren einer als Magsühne,
Magbusse, Maggeld oder Magzahl unter die "gemeinen Magen" verteilt
wird, während der andere ausschliesslich an gewisse nächste Verwandte
der toten Hand fällt. So stehen sich bei den Nordgermanen Vettern-
busse (ättarbot oder nipgiald) und Erbenbusse (arfvabot), bei den
Friesen westlich der Weser die Mentele oder Meitele (Gemeinzahl,
Magzahl) und das "rechte Geld", bei den Nordfriesen und Dietmarschen
die Tale und die Mörderbusse (boynebote, bane) gegenüber.

Wie einerseits die Sippe der toten Hand das Wergeld bezieht,
so haftet andrerseits die Sippe der lebenden Hand für die Aufbringung
des Wergeldes. Die Art der Aufbringung ist in ältester Zeit interne
Angelegenheit des Geschlechtes, welches als solches für die Zahlung
des Wergeldes haftet. In den Quellen der Folgezeit treten uns be-
stimmte Grundsätze über den Umfang entgegen, in welchem die ein-
zelnen Magen zur Zahlung des Wergeldes beitragen müssen. Sie
entsprechen im allgemeinen den Grundsätzen über die Verteilung des
Wergeldes. Die Magen der lebenden Hand zahlen nämlich ungefähr
die Quote, die sie von der Magsühne empfangen würden, wenn ihre
Sippe nicht Wergeld zu geben, sondern Wergeld zu nehmen hätte.
Den Betrag der Erbsühne hat der Totschläger selbst, etwa unter Bei-
hilfe seiner nächsten Verwandten, der Hausgenossen, aufzubringen.

versagen entweder den Weibern jene wie diese oder geben ihnen doch nur einen
(häufig bedingten) Anteil an der Erbenbusse. In Blok, Leidsche Rechtsbronnen,
1884, Nr 243 S 218 prozessieren die Tochter und der Schwestersohn des Er-
schlagenen um die Erbsühne. Dass sie keinen Anspruch auf die Magsühne habe,
giebt jene zu, sie wird aber auch mit dem Anspruch auf die Erbsühne abgewiesen,
weil nach dem Rechte von Rijnlant und Leiden "geen vrouwenpersonen in zoenen
van dootslagen mit recht en gelden, en geven noch en nemen". Nach den Bordes-
holmer Amtsgebräuchen (Seestern-Pauly, 1824, S 116) gehen Witwe und Tochter
des Entleibten neben dem Sohne desselben leer aus, "uhrsachlich den dies werk
desz geschlecht oder den stamme angehet und die so gebohren werden, folgen nach
des vatters und nicht der mutter geschlecht . . und erstrecket sich nicht zu rechnen
die vätterschaft uf die frauensbilde, die den daher nicht können oder mögen dazu-
gezogen werden".
§ 13. Die Sippe.

Die Art der Verteilung des Wergeldes war ursprünglich interne
Angelegenheit des Geschlechtes, so daſs sie sich im Einzelfalle ver-
schieden gestaltete. Doch muſs sich schon früh ein bestimmter her-
kömmlicher Verteilungsmaſsstab ausgebildet haben. Denn bei den
Salfranken, bei den Friesen, Sachsen, Angelsachsen und Nordgermanen
finden wir Jahrhunderte hindurch feste Grundsätze über die Verteilung
des Manngeldes, welche soweit übereinstimmen, daſs sie auf eine ur-
sprünglich gemeinsame Grundlage zurückweisen. Allenthalben zerfällt
hier das Wergeld in mindestens zwei Teile, deren einer als Magsühne,
Magbuſse, Maggeld oder Magzahl unter die „gemeinen Magen“ verteilt
wird, während der andere ausschlieſslich an gewisse nächste Verwandte
der toten Hand fällt. So stehen sich bei den Nordgermanen Vettern-
buſse (ättarbot oder nipgiald) und Erbenbuſse (arfvabot), bei den
Friesen westlich der Weser die Mentele oder Meitele (Gemeinzahl,
Magzahl) und das „rechte Geld“, bei den Nordfriesen und Dietmarschen
die Tale und die Mörderbuſse (boynebote, bane) gegenüber.

Wie einerseits die Sippe der toten Hand das Wergeld bezieht,
so haftet andrerseits die Sippe der lebenden Hand für die Aufbringung
des Wergeldes. Die Art der Aufbringung ist in ältester Zeit interne
Angelegenheit des Geschlechtes, welches als solches für die Zahlung
des Wergeldes haftet. In den Quellen der Folgezeit treten uns be-
stimmte Grundsätze über den Umfang entgegen, in welchem die ein-
zelnen Magen zur Zahlung des Wergeldes beitragen müssen. Sie
entsprechen im allgemeinen den Grundsätzen über die Verteilung des
Wergeldes. Die Magen der lebenden Hand zahlen nämlich ungefähr
die Quote, die sie von der Magsühne empfangen würden, wenn ihre
Sippe nicht Wergeld zu geben, sondern Wergeld zu nehmen hätte.
Den Betrag der Erbsühne hat der Totschläger selbst, etwa unter Bei-
hilfe seiner nächsten Verwandten, der Hausgenossen, aufzubringen.

versagen entweder den Weibern jene wie diese oder geben ihnen doch nur einen
(häufig bedingten) Anteil an der Erbenbuſse. In Blok, Leidsche Rechtsbronnen,
1884, Nr 243 S 218 prozessieren die Tochter und der Schwestersohn des Er-
schlagenen um die Erbsühne. Daſs sie keinen Anspruch auf die Magsühne habe,
giebt jene zu, sie wird aber auch mit dem Anspruch auf die Erbsühne abgewiesen,
weil nach dem Rechte von Rijnlant und Leiden „geen vrouwenpersonen in zoenen
van dootslagen mit recht en gelden, en geven noch en nemen“. Nach den Bordes-
holmer Amtsgebräuchen (Seestern-Pauly, 1824, S 116) gehen Witwe und Tochter
des Entleibten neben dem Sohne desselben leer aus, „uhrsachlich den dies werk
desz geschlecht oder den stamme angehet und die so gebohren werden, folgen nach
des vatters und nicht der mutter geschlecht . . und erstrecket sich nicht zu rechnen
die vätterschaft uf die frauensbilde, die den daher nicht können oder mögen dazu-
gezogen werden“.
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[87/0105] § 13. Die Sippe. Die Art der Verteilung des Wergeldes war ursprünglich interne Angelegenheit des Geschlechtes, so daſs sie sich im Einzelfalle ver- schieden gestaltete. Doch muſs sich schon früh ein bestimmter her- kömmlicher Verteilungsmaſsstab ausgebildet haben. Denn bei den Salfranken, bei den Friesen, Sachsen, Angelsachsen und Nordgermanen finden wir Jahrhunderte hindurch feste Grundsätze über die Verteilung des Manngeldes, welche soweit übereinstimmen, daſs sie auf eine ur- sprünglich gemeinsame Grundlage zurückweisen. Allenthalben zerfällt hier das Wergeld in mindestens zwei Teile, deren einer als Magsühne, Magbuſse, Maggeld oder Magzahl unter die „gemeinen Magen“ verteilt wird, während der andere ausschlieſslich an gewisse nächste Verwandte der toten Hand fällt. So stehen sich bei den Nordgermanen Vettern- buſse (ättarbot oder nipgiald) und Erbenbuſse (arfvabot), bei den Friesen westlich der Weser die Mentele oder Meitele (Gemeinzahl, Magzahl) und das „rechte Geld“, bei den Nordfriesen und Dietmarschen die Tale und die Mörderbuſse (boynebote, bane) gegenüber. Wie einerseits die Sippe der toten Hand das Wergeld bezieht, so haftet andrerseits die Sippe der lebenden Hand für die Aufbringung des Wergeldes. Die Art der Aufbringung ist in ältester Zeit interne Angelegenheit des Geschlechtes, welches als solches für die Zahlung des Wergeldes haftet. In den Quellen der Folgezeit treten uns be- stimmte Grundsätze über den Umfang entgegen, in welchem die ein- zelnen Magen zur Zahlung des Wergeldes beitragen müssen. Sie entsprechen im allgemeinen den Grundsätzen über die Verteilung des Wergeldes. Die Magen der lebenden Hand zahlen nämlich ungefähr die Quote, die sie von der Magsühne empfangen würden, wenn ihre Sippe nicht Wergeld zu geben, sondern Wergeld zu nehmen hätte. Den Betrag der Erbsühne hat der Totschläger selbst, etwa unter Bei- hilfe seiner nächsten Verwandten, der Hausgenossen, aufzubringen. 26 26 versagen entweder den Weibern jene wie diese oder geben ihnen doch nur einen (häufig bedingten) Anteil an der Erbenbuſse. In Blok, Leidsche Rechtsbronnen, 1884, Nr 243 S 218 prozessieren die Tochter und der Schwestersohn des Er- schlagenen um die Erbsühne. Daſs sie keinen Anspruch auf die Magsühne habe, giebt jene zu, sie wird aber auch mit dem Anspruch auf die Erbsühne abgewiesen, weil nach dem Rechte von Rijnlant und Leiden „geen vrouwenpersonen in zoenen van dootslagen mit recht en gelden, en geven noch en nemen“. Nach den Bordes- holmer Amtsgebräuchen (Seestern-Pauly, 1824, S 116) gehen Witwe und Tochter des Entleibten neben dem Sohne desselben leer aus, „uhrsachlich den dies werk desz geschlecht oder den stamme angehet und die so gebohren werden, folgen nach des vatters und nicht der mutter geschlecht . . und erstrecket sich nicht zu rechnen die vätterschaft uf die frauensbilde, die den daher nicht können oder mögen dazu- gezogen werden“.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/105>, abgerufen am 03.05.2024.