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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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sein könne. Köhler, der (S. 201) diesen Verdacht zuerst
äussert und den Stein unter die setzt, "deren Alterthum so-
wohl wegen der Kunst, als wegen der Aufschrift ungewiss
ist", spricht sich zwar vorsichtiger als gewöhnlich aus, weil
ihm nur mangelhafte Abdrücke zu Gebote standen. Dagegen
verdammt Stephani wenigstens die Inschrift ganz entschieden
(bei Köhler S. 358; angebl. Steinschneider S. 188; 191; 197
und 247). Der Schnitt zeige zwar einen von den Fälschun-
gen des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich verschiedenen
Charakter: der Name sei in der gewöhnlichen Weise seiner
(des Ligorio) Zeit in ebenso grossen als derben Buchstaben
abgefasst, deren Schnitt wesentlich denselben Charakter zeige,
den der Name des Lorenzo de' Medici auf den ihm einst an-
gehörenden Gemmen zu zeigen pflege. Wenn ich nun auf
einige andere Gründe Stephani's: die vertieften Buchstaben,
die Stellung der Inschrift über dem Dargestellten, statt im
Abschnitt, keinen Werth legen kann, so muss ich doch zu-
geben, dass, "was aus den Händen des Ligorio kommt, heut
zu Tage Niemand ohne die gewichtigsten Gründe für echt
gelten lässt", zumal in dem Epigramme der Anthologie die
mögliche Quelle der Fälschung klar vorliegt. Sind aber da-
durch gewichtige Zweifel einmal angeregt, so möchte ich
dieselben eben so sehr gegen die ganze Arbeit, als gegen
die blosse Inschrift richten. Denn die so höchst liebliche
und anmuthige Darstellung zeigt doch des sachlich Auffälligen
mancherlei. Die Braut erscheint allerdings in antiken Hoch-
zeitsvorstellungen mit dem Schleier, aber wo mit bedecktem
Gesicht? Und nun gar der Bräutigam? Die Taube ferner,
welche Eros an seine Brust drückt, ist in ähnlicher Verbin-
dung noch nicht nachgewiesen. Wo finden wir ferner das
Brautpaar durch die heilige Binde zusammengekettet und
an dieser Binde geführt; wo ferner die mystische Schwinge
in Hochzeitsbildern? Diese Schwinge aber ganz ohne An-
deutung des Phallus? Auch in künstlerischer Beziehung kann
die zwischen zwei parallelen Linien sich bewegende Compo-
sition auf einem ovalen Raume Bedenken erwecken. Auf fast
alle diese Schwierigkeiten ist bereits von Jahn (arch. Beiträge
S. 173) hingedeutet worden; und es ist deshalb vielleicht we-
niger kühn und gewagt, als es zuerst scheinen mag, wenn
ich zugleich im Hinblick auf die oben angeregten Zweifel über

sein könne. Köhler, der (S. 201) diesen Verdacht zuerst
äussert und den Stein unter die setzt, „deren Alterthum so-
wohl wegen der Kunst, als wegen der Aufschrift ungewiss
ist‟, spricht sich zwar vorsichtiger als gewöhnlich aus, weil
ihm nur mangelhafte Abdrücke zu Gebote standen. Dagegen
verdammt Stephani wenigstens die Inschrift ganz entschieden
(bei Köhler S. 358; angebl. Steinschneider S. 188; 191; 197
und 247). Der Schnitt zeige zwar einen von den Fälschun-
gen des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich verschiedenen
Charakter: der Name sei in der gewöhnlichen Weise seiner
(des Ligorio) Zeit in ebenso grossen als derben Buchstaben
abgefasst, deren Schnitt wesentlich denselben Charakter zeige,
den der Name des Lorenzo de’ Medici auf den ihm einst an-
gehörenden Gemmen zu zeigen pflege. Wenn ich nun auf
einige andere Gründe Stephani’s: die vertieften Buchstaben,
die Stellung der Inschrift über dem Dargestellten, statt im
Abschnitt, keinen Werth legen kann, so muss ich doch zu-
geben, dass, „was aus den Händen des Ligorio kommt, heut
zu Tage Niemand ohne die gewichtigsten Gründe für echt
gelten lässt‟, zumal in dem Epigramme der Anthologie die
mögliche Quelle der Fälschung klar vorliegt. Sind aber da-
durch gewichtige Zweifel einmal angeregt, so möchte ich
dieselben eben so sehr gegen die ganze Arbeit, als gegen
die blosse Inschrift richten. Denn die so höchst liebliche
und anmuthige Darstellung zeigt doch des sachlich Auffälligen
mancherlei. Die Braut erscheint allerdings in antiken Hoch-
zeitsvorstellungen mit dem Schleier, aber wo mit bedecktem
Gesicht? Und nun gar der Bräutigam? Die Taube ferner,
welche Eros an seine Brust drückt, ist in ähnlicher Verbin-
dung noch nicht nachgewiesen. Wo finden wir ferner das
Brautpaar durch die heilige Binde zusammengekettet und
an dieser Binde geführt; wo ferner die mystische Schwinge
in Hochzeitsbildern? Diese Schwinge aber ganz ohne An-
deutung des Phallus? Auch in künstlerischer Beziehung kann
die zwischen zwei parallelen Linien sich bewegende Compo-
sition auf einem ovalen Raume Bedenken erwecken. Auf fast
alle diese Schwierigkeiten ist bereits von Jahn (arch. Beiträge
S. 173) hingedeutet worden; und es ist deshalb vielleicht we-
niger kühn und gewagt, als es zuerst scheinen mag, wenn
ich zugleich im Hinblick auf die oben angeregten Zweifel über

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[636/0653] sein könne. Köhler, der (S. 201) diesen Verdacht zuerst äussert und den Stein unter die setzt, „deren Alterthum so- wohl wegen der Kunst, als wegen der Aufschrift ungewiss ist‟, spricht sich zwar vorsichtiger als gewöhnlich aus, weil ihm nur mangelhafte Abdrücke zu Gebote standen. Dagegen verdammt Stephani wenigstens die Inschrift ganz entschieden (bei Köhler S. 358; angebl. Steinschneider S. 188; 191; 197 und 247). Der Schnitt zeige zwar einen von den Fälschun- gen des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich verschiedenen Charakter: der Name sei in der gewöhnlichen Weise seiner (des Ligorio) Zeit in ebenso grossen als derben Buchstaben abgefasst, deren Schnitt wesentlich denselben Charakter zeige, den der Name des Lorenzo de’ Medici auf den ihm einst an- gehörenden Gemmen zu zeigen pflege. Wenn ich nun auf einige andere Gründe Stephani’s: die vertieften Buchstaben, die Stellung der Inschrift über dem Dargestellten, statt im Abschnitt, keinen Werth legen kann, so muss ich doch zu- geben, dass, „was aus den Händen des Ligorio kommt, heut zu Tage Niemand ohne die gewichtigsten Gründe für echt gelten lässt‟, zumal in dem Epigramme der Anthologie die mögliche Quelle der Fälschung klar vorliegt. Sind aber da- durch gewichtige Zweifel einmal angeregt, so möchte ich dieselben eben so sehr gegen die ganze Arbeit, als gegen die blosse Inschrift richten. Denn die so höchst liebliche und anmuthige Darstellung zeigt doch des sachlich Auffälligen mancherlei. Die Braut erscheint allerdings in antiken Hoch- zeitsvorstellungen mit dem Schleier, aber wo mit bedecktem Gesicht? Und nun gar der Bräutigam? Die Taube ferner, welche Eros an seine Brust drückt, ist in ähnlicher Verbin- dung noch nicht nachgewiesen. Wo finden wir ferner das Brautpaar durch die heilige Binde zusammengekettet und an dieser Binde geführt; wo ferner die mystische Schwinge in Hochzeitsbildern? Diese Schwinge aber ganz ohne An- deutung des Phallus? Auch in künstlerischer Beziehung kann die zwischen zwei parallelen Linien sich bewegende Compo- sition auf einem ovalen Raume Bedenken erwecken. Auf fast alle diese Schwierigkeiten ist bereits von Jahn (arch. Beiträge S. 173) hingedeutet worden; und es ist deshalb vielleicht we- niger kühn und gewagt, als es zuerst scheinen mag, wenn ich zugleich im Hinblick auf die oben angeregten Zweifel über

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/653>, abgerufen am 26.06.2024.