sein könne. Köhler, der (S. 201) diesen Verdacht zuerst äussert und den Stein unter die setzt, "deren Alterthum so- wohl wegen der Kunst, als wegen der Aufschrift ungewiss ist", spricht sich zwar vorsichtiger als gewöhnlich aus, weil ihm nur mangelhafte Abdrücke zu Gebote standen. Dagegen verdammt Stephani wenigstens die Inschrift ganz entschieden (bei Köhler S. 358; angebl. Steinschneider S. 188; 191; 197 und 247). Der Schnitt zeige zwar einen von den Fälschun- gen des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich verschiedenen Charakter: der Name sei in der gewöhnlichen Weise seiner (des Ligorio) Zeit in ebenso grossen als derben Buchstaben abgefasst, deren Schnitt wesentlich denselben Charakter zeige, den der Name des Lorenzo de' Medici auf den ihm einst an- gehörenden Gemmen zu zeigen pflege. Wenn ich nun auf einige andere Gründe Stephani's: die vertieften Buchstaben, die Stellung der Inschrift über dem Dargestellten, statt im Abschnitt, keinen Werth legen kann, so muss ich doch zu- geben, dass, "was aus den Händen des Ligorio kommt, heut zu Tage Niemand ohne die gewichtigsten Gründe für echt gelten lässt", zumal in dem Epigramme der Anthologie die mögliche Quelle der Fälschung klar vorliegt. Sind aber da- durch gewichtige Zweifel einmal angeregt, so möchte ich dieselben eben so sehr gegen die ganze Arbeit, als gegen die blosse Inschrift richten. Denn die so höchst liebliche und anmuthige Darstellung zeigt doch des sachlich Auffälligen mancherlei. Die Braut erscheint allerdings in antiken Hoch- zeitsvorstellungen mit dem Schleier, aber wo mit bedecktem Gesicht? Und nun gar der Bräutigam? Die Taube ferner, welche Eros an seine Brust drückt, ist in ähnlicher Verbin- dung noch nicht nachgewiesen. Wo finden wir ferner das Brautpaar durch die heilige Binde zusammengekettet und an dieser Binde geführt; wo ferner die mystische Schwinge in Hochzeitsbildern? Diese Schwinge aber ganz ohne An- deutung des Phallus? Auch in künstlerischer Beziehung kann die zwischen zwei parallelen Linien sich bewegende Compo- sition auf einem ovalen Raume Bedenken erwecken. Auf fast alle diese Schwierigkeiten ist bereits von Jahn (arch. Beiträge S. 173) hingedeutet worden; und es ist deshalb vielleicht we- niger kühn und gewagt, als es zuerst scheinen mag, wenn ich zugleich im Hinblick auf die oben angeregten Zweifel über
sein könne. Köhler, der (S. 201) diesen Verdacht zuerst äussert und den Stein unter die setzt, „deren Alterthum so- wohl wegen der Kunst, als wegen der Aufschrift ungewiss ist‟, spricht sich zwar vorsichtiger als gewöhnlich aus, weil ihm nur mangelhafte Abdrücke zu Gebote standen. Dagegen verdammt Stephani wenigstens die Inschrift ganz entschieden (bei Köhler S. 358; angebl. Steinschneider S. 188; 191; 197 und 247). Der Schnitt zeige zwar einen von den Fälschun- gen des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich verschiedenen Charakter: der Name sei in der gewöhnlichen Weise seiner (des Ligorio) Zeit in ebenso grossen als derben Buchstaben abgefasst, deren Schnitt wesentlich denselben Charakter zeige, den der Name des Lorenzo de’ Medici auf den ihm einst an- gehörenden Gemmen zu zeigen pflege. Wenn ich nun auf einige andere Gründe Stephani’s: die vertieften Buchstaben, die Stellung der Inschrift über dem Dargestellten, statt im Abschnitt, keinen Werth legen kann, so muss ich doch zu- geben, dass, „was aus den Händen des Ligorio kommt, heut zu Tage Niemand ohne die gewichtigsten Gründe für echt gelten lässt‟, zumal in dem Epigramme der Anthologie die mögliche Quelle der Fälschung klar vorliegt. Sind aber da- durch gewichtige Zweifel einmal angeregt, so möchte ich dieselben eben so sehr gegen die ganze Arbeit, als gegen die blosse Inschrift richten. Denn die so höchst liebliche und anmuthige Darstellung zeigt doch des sachlich Auffälligen mancherlei. Die Braut erscheint allerdings in antiken Hoch- zeitsvorstellungen mit dem Schleier, aber wo mit bedecktem Gesicht? Und nun gar der Bräutigam? Die Taube ferner, welche Eros an seine Brust drückt, ist in ähnlicher Verbin- dung noch nicht nachgewiesen. Wo finden wir ferner das Brautpaar durch die heilige Binde zusammengekettet und an dieser Binde geführt; wo ferner die mystische Schwinge in Hochzeitsbildern? Diese Schwinge aber ganz ohne An- deutung des Phallus? Auch in künstlerischer Beziehung kann die zwischen zwei parallelen Linien sich bewegende Compo- sition auf einem ovalen Raume Bedenken erwecken. Auf fast alle diese Schwierigkeiten ist bereits von Jahn (arch. Beiträge S. 173) hingedeutet worden; und es ist deshalb vielleicht we- niger kühn und gewagt, als es zuerst scheinen mag, wenn ich zugleich im Hinblick auf die oben angeregten Zweifel über
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0653"n="636"/>
sein könne. Köhler, der (S. 201) diesen Verdacht zuerst<lb/>
äussert und den Stein unter die setzt, „deren Alterthum so-<lb/>
wohl wegen der Kunst, als wegen der Aufschrift ungewiss<lb/>
ist‟, spricht sich zwar vorsichtiger als gewöhnlich aus, weil<lb/>
ihm nur mangelhafte Abdrücke zu Gebote standen. Dagegen<lb/>
verdammt Stephani wenigstens die Inschrift ganz entschieden<lb/>
(bei Köhler S. 358; angebl. Steinschneider S. 188; 191; 197<lb/>
und 247). Der Schnitt zeige zwar einen von den Fälschun-<lb/>
gen des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich verschiedenen<lb/>
Charakter: der Name sei in der gewöhnlichen Weise seiner<lb/>
(des Ligorio) Zeit in ebenso grossen als derben Buchstaben<lb/>
abgefasst, deren Schnitt wesentlich denselben Charakter zeige,<lb/>
den der Name des Lorenzo de’ Medici auf den ihm einst an-<lb/>
gehörenden Gemmen zu zeigen pflege. Wenn ich nun auf<lb/>
einige andere Gründe Stephani’s: die vertieften Buchstaben,<lb/>
die Stellung der Inschrift über dem Dargestellten, statt im<lb/>
Abschnitt, keinen Werth legen kann, so muss ich doch zu-<lb/>
geben, dass, „was aus den Händen des Ligorio kommt, heut<lb/>
zu Tage Niemand ohne die gewichtigsten Gründe für echt<lb/>
gelten lässt‟, zumal in dem Epigramme der Anthologie die<lb/>
mögliche Quelle der Fälschung klar vorliegt. Sind aber da-<lb/>
durch gewichtige Zweifel einmal angeregt, so möchte ich<lb/>
dieselben eben so sehr gegen die ganze Arbeit, als gegen<lb/>
die blosse Inschrift richten. Denn die so höchst liebliche<lb/>
und anmuthige Darstellung zeigt doch des sachlich Auffälligen<lb/>
mancherlei. Die Braut erscheint allerdings in antiken Hoch-<lb/>
zeitsvorstellungen mit dem Schleier, aber wo mit bedecktem<lb/>
Gesicht? Und nun gar der Bräutigam? Die Taube ferner,<lb/>
welche Eros an seine Brust drückt, ist in ähnlicher Verbin-<lb/>
dung noch nicht nachgewiesen. Wo finden wir ferner das<lb/>
Brautpaar durch die heilige Binde zusammengekettet und<lb/>
an dieser Binde geführt; wo ferner die mystische Schwinge<lb/>
in Hochzeitsbildern? Diese Schwinge aber ganz ohne An-<lb/>
deutung des Phallus? Auch in künstlerischer Beziehung kann<lb/>
die zwischen zwei parallelen Linien sich bewegende Compo-<lb/>
sition auf einem ovalen Raume Bedenken erwecken. Auf fast<lb/>
alle diese Schwierigkeiten ist bereits von Jahn (arch. Beiträge<lb/>
S. 173) hingedeutet worden; und es ist deshalb vielleicht we-<lb/>
niger kühn und gewagt, als es zuerst scheinen mag, wenn<lb/>
ich zugleich im Hinblick auf die oben angeregten Zweifel über<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[636/0653]
sein könne. Köhler, der (S. 201) diesen Verdacht zuerst
äussert und den Stein unter die setzt, „deren Alterthum so-
wohl wegen der Kunst, als wegen der Aufschrift ungewiss
ist‟, spricht sich zwar vorsichtiger als gewöhnlich aus, weil
ihm nur mangelhafte Abdrücke zu Gebote standen. Dagegen
verdammt Stephani wenigstens die Inschrift ganz entschieden
(bei Köhler S. 358; angebl. Steinschneider S. 188; 191; 197
und 247). Der Schnitt zeige zwar einen von den Fälschun-
gen des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich verschiedenen
Charakter: der Name sei in der gewöhnlichen Weise seiner
(des Ligorio) Zeit in ebenso grossen als derben Buchstaben
abgefasst, deren Schnitt wesentlich denselben Charakter zeige,
den der Name des Lorenzo de’ Medici auf den ihm einst an-
gehörenden Gemmen zu zeigen pflege. Wenn ich nun auf
einige andere Gründe Stephani’s: die vertieften Buchstaben,
die Stellung der Inschrift über dem Dargestellten, statt im
Abschnitt, keinen Werth legen kann, so muss ich doch zu-
geben, dass, „was aus den Händen des Ligorio kommt, heut
zu Tage Niemand ohne die gewichtigsten Gründe für echt
gelten lässt‟, zumal in dem Epigramme der Anthologie die
mögliche Quelle der Fälschung klar vorliegt. Sind aber da-
durch gewichtige Zweifel einmal angeregt, so möchte ich
dieselben eben so sehr gegen die ganze Arbeit, als gegen
die blosse Inschrift richten. Denn die so höchst liebliche
und anmuthige Darstellung zeigt doch des sachlich Auffälligen
mancherlei. Die Braut erscheint allerdings in antiken Hoch-
zeitsvorstellungen mit dem Schleier, aber wo mit bedecktem
Gesicht? Und nun gar der Bräutigam? Die Taube ferner,
welche Eros an seine Brust drückt, ist in ähnlicher Verbin-
dung noch nicht nachgewiesen. Wo finden wir ferner das
Brautpaar durch die heilige Binde zusammengekettet und
an dieser Binde geführt; wo ferner die mystische Schwinge
in Hochzeitsbildern? Diese Schwinge aber ganz ohne An-
deutung des Phallus? Auch in künstlerischer Beziehung kann
die zwischen zwei parallelen Linien sich bewegende Compo-
sition auf einem ovalen Raume Bedenken erwecken. Auf fast
alle diese Schwierigkeiten ist bereits von Jahn (arch. Beiträge
S. 173) hingedeutet worden; und es ist deshalb vielleicht we-
niger kühn und gewagt, als es zuerst scheinen mag, wenn
ich zugleich im Hinblick auf die oben angeregten Zweifel über
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/653>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.