Die durch schriftliche Nachrichten des Alterthums bekannten Steinschneider.
Ueber den Erfinder der Kunst, Gemmen zu schneiden, schweigt selbst die in ähnlichen Beziehungen sonst so ge- schäftige Sage der Hellenen. Dass sie schon in alter Zeit an einem der Hauptsitze altgriechischer Kunstthätigkeit aus- geübt wurde, lehren einige vereinzelte Nachrichten. Mne- sarchos, der Vater des Philosophen Pythagoras, war ein Gemmenschneider, der seine Kunst noch mehr des Ruhmes als des Gewinnes wegen geübt haben soll; und da Pythago- ras seine Heimath Samos bald nach dem Tode seines Vaters und im Beginne der Tyrannis des Polykrates heimlich ver- liess, so fällt die Thätigkeit des Mnesarchos ziemlich mit der Blüthe der samischen Erzbildner-Schule (Ol. 50--60) zusammen: Diog. Laert. VIII, I; Appul. Flor. II, p. 421 ed. Vulc. Theo- doros, der Hauptvertreter derselben, scheint sogar neben manchen anderen Kunstfertigkeiten auch die des Steinschnei- dens besessen zu haben, sofern nämlich der Ring des Poly- krates sein Werk und der Stein, der ihn zierte, mit einem Bilde versehen war. Diese vielfach erörterte Frage ist zu- letzt von Urlichs in dem Aufsatze über die älteste samische Künstlerschule (Rhein. Mus. N. F. X, S. 24) behandelt worden, und es scheint mir am angemessensten, seine Worte hier voll- ständig mitzutheilen:
"Dass die echtere Tradition den Ring für ein geschnitte- nes Siegel hielt, scheint mir auch trotz der Einwendungen Lessings ausgemacht zu sein. Plinius freilich giebt an zwei Stellen an, der Stein des Polykrates sei ein Sardonyx, und zwar ein ungeschnittener, gewesen. XXXVII, 4: Sardonychem eam gemmam fuisse constat ostenduntque Romae, si credimus, in Concordiae delubro cornu aureo Augustae1) dono inclusam et novissimum prope locum tot praelatis obtinentem; ib. 8: Polycratis gemma quae demonstratur intacta illibataque est.
1) "So ist gewiss mit cod. Bamb. zu lesen, nicht Augusti, wie Sillig schreibt. Denn Augusta ohne Zusatz heisst Livia auch XII, 94 und XV z. E. Sie war es aber, welche den von Tiberius erbauten Tempel einweihte (Ovid. fast. VI, 637), folglich wird sie ihn auch durch jenes Geschenk ver- herrlicht haben."
Die durch schriftliche Nachrichten des Alterthums bekannten Steinschneider.
Ueber den Erfinder der Kunst, Gemmen zu schneiden, schweigt selbst die in ähnlichen Beziehungen sonst so ge- schäftige Sage der Hellenen. Dass sie schon in alter Zeit an einem der Hauptsitze altgriechischer Kunstthätigkeit aus- geübt wurde, lehren einige vereinzelte Nachrichten. Mne- sarchos, der Vater des Philosophen Pythagoras, war ein Gemmenschneider, der seine Kunst noch mehr des Ruhmes als des Gewinnes wegen geübt haben soll; und da Pythago- ras seine Heimath Samos bald nach dem Tode seines Vaters und im Beginne der Tyrannis des Polykrates heimlich ver- liess, so fällt die Thätigkeit des Mnesarchos ziemlich mit der Blüthe der samischen Erzbildner-Schule (Ol. 50—60) zusammen: Diog. Laërt. VIII, I; Appul. Flor. II, p. 421 ed. Vulc. Theo- doros, der Hauptvertreter derselben, scheint sogar neben manchen anderen Kunstfertigkeiten auch die des Steinschnei- dens besessen zu haben, sofern nämlich der Ring des Poly- krates sein Werk und der Stein, der ihn zierte, mit einem Bilde versehen war. Diese vielfach erörterte Frage ist zu- letzt von Urlichs in dem Aufsatze über die älteste samische Künstlerschule (Rhein. Mus. N. F. X, S. 24) behandelt worden, und es scheint mir am angemessensten, seine Worte hier voll- ständig mitzutheilen:
„Dass die echtere Tradition den Ring für ein geschnitte- nes Siegel hielt, scheint mir auch trotz der Einwendungen Lessings ausgemacht zu sein. Plinius freilich giebt an zwei Stellen an, der Stein des Polykrates sei ein Sardonyx, und zwar ein ungeschnittener, gewesen. XXXVII, 4: Sardonychem eam gemmam fuisse constat ostenduntque Romae, si credimus, in Concordiae delubro cornu aureo Augustae1) dono inclusam et novissimum prope locum tot praelatis obtinentem; ib. 8: Polycratis gemma quae demonstratur intacta illibataque est.
1) „So ist gewiss mit cod. Bamb. zu lesen, nicht Augusti, wie Sillig schreibt. Denn Augusta ohne Zusatz heisst Livia auch XII, 94 und XV z. E. Sie war es aber, welche den von Tiberius erbauten Tempel einweihte (Ovid. fast. VI, 637), folglich wird sie ihn auch durch jenes Geschenk ver- herrlicht haben.‟
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Die durch schriftliche Nachrichten des Alterthums bekannten
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Ueber den Erfinder der Kunst, Gemmen zu schneiden,
schweigt selbst die in ähnlichen Beziehungen sonst so ge-
schäftige Sage der Hellenen. Dass sie schon in alter Zeit
an einem der Hauptsitze altgriechischer Kunstthätigkeit aus-
geübt wurde, lehren einige vereinzelte Nachrichten. Mne-
sarchos, der Vater des Philosophen Pythagoras, war ein
Gemmenschneider, der seine Kunst noch mehr des Ruhmes
als des Gewinnes wegen geübt haben soll; und da Pythago-
ras seine Heimath Samos bald nach dem Tode seines Vaters
und im Beginne der Tyrannis des Polykrates heimlich ver-
liess, so fällt die Thätigkeit des Mnesarchos ziemlich mit der
Blüthe der samischen Erzbildner-Schule (Ol. 50—60) zusammen:
Diog. Laërt. VIII, I; Appul. Flor. II, p. 421 ed. Vulc. Theo-
doros, der Hauptvertreter derselben, scheint sogar neben
manchen anderen Kunstfertigkeiten auch die des Steinschnei-
dens besessen zu haben, sofern nämlich der Ring des Poly-
krates sein Werk und der Stein, der ihn zierte, mit einem
Bilde versehen war. Diese vielfach erörterte Frage ist zu-
letzt von Urlichs in dem Aufsatze über die älteste samische
Künstlerschule (Rhein. Mus. N. F. X, S. 24) behandelt worden,
und es scheint mir am angemessensten, seine Worte hier voll-
ständig mitzutheilen:
„Dass die echtere Tradition den Ring für ein geschnitte-
nes Siegel hielt, scheint mir auch trotz der Einwendungen
Lessings ausgemacht zu sein. Plinius freilich giebt an zwei
Stellen an, der Stein des Polykrates sei ein Sardonyx, und zwar
ein ungeschnittener, gewesen. XXXVII, 4: Sardonychem eam
gemmam fuisse constat ostenduntque Romae, si credimus, in
Concordiae delubro cornu aureo Augustae 1) dono inclusam
et novissimum prope locum tot praelatis obtinentem; ib. 8:
Polycratis gemma quae demonstratur intacta illibataque est.
1) „So ist gewiss mit cod. Bamb. zu lesen, nicht Augusti, wie Sillig
schreibt. Denn Augusta ohne Zusatz heisst Livia auch XII, 94 und XV
z. E. Sie war es aber, welche den von Tiberius erbauten Tempel einweihte
(Ovid. fast. VI, 637), folglich wird sie ihn auch durch jenes Geschenk ver-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/484>, abgerufen am 24.11.2024.
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