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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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den Tafelmalern, das andere Mal unter den Enkausten, so
dass, wenn er in beiden Arten tüchtig war, schon dadurch
die doppelte Erwähnung gerechtfertigt wird. Es fragt sich
daher nur, ob die beiden Urtheile über die künstlerische Be-
deutung so weit übereinstimmen, dass sie auf eine und die-
selbe Person bezogen werden dürfen. Fassen wir die Mi-
schung von Lob und Tadel in der ersten Stelle in das Auge,
so werden wir nicht umhin können, das Lob der nur den
Künstlern verständlichen Sorgfalt auf eine äusserst gefeilte
und, wie wir wohl sagen, geleckte Durchführung der Zeich-
nung im Gegensatze zur Farbe zu beziehen. Denn gerade
dadurch wird leicht die Einheit der Gesammttöne in den
Farben zerstört und Härte im Colorit erzeugt. Wie aber
dieses Urtheil bei Plinius gefasst erscheint, hat es offenbar
nicht einen Künstler, sondern einen Laien zum Urheber.
Dagegen spricht sich nun in der zweiten Stelle die Meinung
eines Künstlers aus. Ihm erscheint jene Sorgfalt der Zeich-
nung als Eleganz und Feinheit in so hohem Grade, dass er
in dem Lobe der venustas, der zierlichen Anmuth, dem Ni-
kophanes Wenige an die Seite stellen mag. Dieses Lob
dürfen wir jedoch keineswegs zu weit und zu allgemein
fassen. Ja wenn man daneben dem Nikophanes auch noch
erhabene Würde und einen hohen Ernst der Auffassung bei-
legen wollte, indem man bei Plinius von den Worten "cothur-
nus ei et gravitas artis" die Fortsetzung des Satzes "multum a
Zeuxide et Apelle abest" durch die Interpunktion ablöste und
mit dem folgenden "Apellis discipulus Perseus" verband, so
liess man dadurch Plinius geradezu Widersprechendes aus-
sagen. Denn diese Eigenschaften schliessen die unmittelbar
vorher gepriesenen förmlich aus, da z. B. Cicero1) von
sententiae non tarn graves et severae, quam venustae et con-
cinnae sprechen darf. Das Bekenntniss aber, dass sie ihm
fehlen, kann in dem Zusammenhange des ganzen Urtheils
weniger für einen Tadel gelten, als für eine schärfere Be-
grenzung jenes Lobes der Eleganz und Anmuth; und in der
That gewinnen wir auf diesem Wege ein lebendigeres Bild
von der Persönlichkeit des Künstlers, einer Persönlichkeit,
für welche es keineswegs an Analogien in der Kunstge-

1) Brut. 95.

den Tafelmalern, das andere Mal unter den Enkausten, so
dass, wenn er in beiden Arten tüchtig war, schon dadurch
die doppelte Erwähnung gerechtfertigt wird. Es fragt sich
daher nur, ob die beiden Urtheile über die künstlerische Be-
deutung so weit übereinstimmen, dass sie auf eine und die-
selbe Person bezogen werden dürfen. Fassen wir die Mi-
schung von Lob und Tadel in der ersten Stelle in das Auge,
so werden wir nicht umhin können, das Lob der nur den
Künstlern verständlichen Sorgfalt auf eine äusserst gefeilte
und, wie wir wohl sagen, geleckte Durchführung der Zeich-
nung im Gegensatze zur Farbe zu beziehen. Denn gerade
dadurch wird leicht die Einheit der Gesammttöne in den
Farben zerstört und Härte im Colorit erzeugt. Wie aber
dieses Urtheil bei Plinius gefasst erscheint, hat es offenbar
nicht einen Künstler, sondern einen Laien zum Urheber.
Dagegen spricht sich nun in der zweiten Stelle die Meinung
eines Künstlers aus. Ihm erscheint jene Sorgfalt der Zeich-
nung als Eleganz und Feinheit in so hohem Grade, dass er
in dem Lobe der venustas, der zierlichen Anmuth, dem Ni-
kophanes Wenige an die Seite stellen mag. Dieses Lob
dürfen wir jedoch keineswegs zu weit und zu allgemein
fassen. Ja wenn man daneben dem Nikophanes auch noch
erhabene Würde und einen hohen Ernst der Auffassung bei-
legen wollte, indem man bei Plinius von den Worten „cothur-
nus ei et gravitas artis‟ die Fortsetzung des Satzes „multum a
Zeuxide et Apelle abest‟ durch die Interpunktion ablöste und
mit dem folgenden „Apellis discipulus Perseus‟ verband, so
liess man dadurch Plinius geradezu Widersprechendes aus-
sagen. Denn diese Eigenschaften schliessen die unmittelbar
vorher gepriesenen förmlich aus, da z. B. Cicero1) von
sententiae non tarn graves et severae, quam venustae et con-
cinnae sprechen darf. Das Bekenntniss aber, dass sie ihm
fehlen, kann in dem Zusammenhange des ganzen Urtheils
weniger für einen Tadel gelten, als für eine schärfere Be-
grenzung jenes Lobes der Eleganz und Anmuth; und in der
That gewinnen wir auf diesem Wege ein lebendigeres Bild
von der Persönlichkeit des Künstlers, einer Persönlichkeit,
für welche es keineswegs an Analogien in der Kunstge-

1) Brut. 95.
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[156/0173] den Tafelmalern, das andere Mal unter den Enkausten, so dass, wenn er in beiden Arten tüchtig war, schon dadurch die doppelte Erwähnung gerechtfertigt wird. Es fragt sich daher nur, ob die beiden Urtheile über die künstlerische Be- deutung so weit übereinstimmen, dass sie auf eine und die- selbe Person bezogen werden dürfen. Fassen wir die Mi- schung von Lob und Tadel in der ersten Stelle in das Auge, so werden wir nicht umhin können, das Lob der nur den Künstlern verständlichen Sorgfalt auf eine äusserst gefeilte und, wie wir wohl sagen, geleckte Durchführung der Zeich- nung im Gegensatze zur Farbe zu beziehen. Denn gerade dadurch wird leicht die Einheit der Gesammttöne in den Farben zerstört und Härte im Colorit erzeugt. Wie aber dieses Urtheil bei Plinius gefasst erscheint, hat es offenbar nicht einen Künstler, sondern einen Laien zum Urheber. Dagegen spricht sich nun in der zweiten Stelle die Meinung eines Künstlers aus. Ihm erscheint jene Sorgfalt der Zeich- nung als Eleganz und Feinheit in so hohem Grade, dass er in dem Lobe der venustas, der zierlichen Anmuth, dem Ni- kophanes Wenige an die Seite stellen mag. Dieses Lob dürfen wir jedoch keineswegs zu weit und zu allgemein fassen. Ja wenn man daneben dem Nikophanes auch noch erhabene Würde und einen hohen Ernst der Auffassung bei- legen wollte, indem man bei Plinius von den Worten „cothur- nus ei et gravitas artis‟ die Fortsetzung des Satzes „multum a Zeuxide et Apelle abest‟ durch die Interpunktion ablöste und mit dem folgenden „Apellis discipulus Perseus‟ verband, so liess man dadurch Plinius geradezu Widersprechendes aus- sagen. Denn diese Eigenschaften schliessen die unmittelbar vorher gepriesenen förmlich aus, da z. B. Cicero 1) von sententiae non tarn graves et severae, quam venustae et con- cinnae sprechen darf. Das Bekenntniss aber, dass sie ihm fehlen, kann in dem Zusammenhange des ganzen Urtheils weniger für einen Tadel gelten, als für eine schärfere Be- grenzung jenes Lobes der Eleganz und Anmuth; und in der That gewinnen wir auf diesem Wege ein lebendigeres Bild von der Persönlichkeit des Künstlers, einer Persönlichkeit, für welche es keineswegs an Analogien in der Kunstge- 1) Brut. 95.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/173>, abgerufen am 04.12.2024.