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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu-
thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand-
schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be-
deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen
wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er-
warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu
dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger
auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat
zwar Letronne1) jede Beziehung der [fremdsprachliches Material - fehlt] auf die Dar-
stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein-
fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn
wohl hier, wie auch Welcker meint,2) der Eifer des Wider-
spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette's zu weit
getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto3) ver-
gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein
würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias
[p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange
voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene
Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann
also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden.
Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich-
tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr
zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so
könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte
jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer
Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs
ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich-
tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht
rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher
Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen
die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur-
theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden
Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine
sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten
dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er
von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh-
rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen

1) Appendice aux lettres d'un antiq. p. 9 sqq.
2) Ztschr. f. Altw. 1837.
N. 83.
3) epist. p. 170 ed. Rom.

dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu-
thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand-
schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be-
deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen
wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er-
warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu
dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger
auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat
zwar Letronne1) jede Beziehung der [fremdsprachliches Material – fehlt] auf die Dar-
stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein-
fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn
wohl hier, wie auch Welcker meint,2) der Eifer des Wider-
spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette’s zu weit
getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto3) ver-
gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein
würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias
[p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange
voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene
Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann
also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden.
Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich-
tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr
zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so
könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte
jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer
Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs
ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich-
tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht
rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher
Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen
die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur-
theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden
Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine
sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten
dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er
von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh-
rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen

1) Appendice aux lettres d’un antiq. p. 9 sqq.
2) Ztschr. f. Altw. 1837.
N. 83.
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[153/0170] dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu- thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand- schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be- deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er- warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat zwar Letronne 1) jede Beziehung der _ auf die Dar- stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein- fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn wohl hier, wie auch Welcker meint, 2) der Eifer des Wider- spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette’s zu weit getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto 3) ver- gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias [p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden. Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich- tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich- tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur- theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh- rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen 1) Appendice aux lettres d’un antiq. p. 9 sqq. 2) Ztschr. f. Altw. 1837. N. 83. 3) epist. p. 170 ed. Rom.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/170>, abgerufen am 04.12.2024.