zwar an der Grenze, aber noch innerhalb der alten Zeit. In keiner Beziehung lässt sich sagen, dass er ein Neuerer ge- wesen, der die Schranken durchbrochen, ein neues Gesetz aufgestellt habe. Sein Ruhm besteht vielmehr darin, dass er trotz einer freiwilligen Unterordnung unter alt hergebrachte Formen und Gesetze diesen selbst ein höheres geistiges Leben einzuhauchen, gerade aus ihnen eine höhere künst- lerische Schönheit zu entwickeln verstand. Man preist unter den Schöpfungen Raphaels namentlich die Schule von Athen nicht weniger wegen der Schönheit einzelner Figuren und Gruppen, als wegen der höheren Einheit, in welche der Künstler dieselben verbunden hat. Dieses Lob ist gerecht: aber in den Grundprincipien der Composition ist hier Ra- phael vielleicht niemand verwandter, als Polygnot.
Diese strenge Gliederung würde indessen zuletzt doch nur ein untergeordnetes Lob bedingen, wenn sie zu nichts Höherem, als einem blos äusserlichen Schematismus führte. Ihren wahren Werth gewinnt sie erst durch den Zusammen- hang mit dem Inhalte der Darstellung; und so müssen wir uns denn von den Mitteln der künstlerischen Darstellung zu der geistigen oder poetischen Auffassung der polygnotischen Schöpfungen wenden, einer Aufgabe, die freilich bei dem gänz- lichen Mangel wirklicher Anschauung zu den schwierigsten gehört. Sehen wir zunächst von den wenigen, obwohl ge- wichtigen Urtheilen des Alterthums über das geistige Wesen des Polygnot ab, so bleiben uns nur die ausführlichen Be- schreibungen der delphischen Gemälde, die uns allerdings manche sehr werthvolle Winke gewähren. Ja die Art der Beschreibung selbst kann uns als ein erstes Zeugniss gelten für die bedeutende Wirkung, welche Polygnot auf den Be- schauer auszuüben vermochte. Pausanias, über dessen Nüch- ternheit und Trockenheit im Angesicht selbst der erhabensten Kunstwerke wir uns so oft zu beklagen Anlass haben, ver- räth hier häufiger, als sonst eine gewisse erhöhte Stimmung, wenigstens insofern, als er sich nicht mit der blossen Inhalts- angabe der Darstellung begnügt, sondern auch die Art der- selben näher zu charakterisiren versucht, wenn er auch dabei über eine allgemeine Bezeichnung der Stellungen und des Ausdrucks selten hinausgeht.
zwar an der Grenze, aber noch innerhalb der alten Zeit. In keiner Beziehung lässt sich sagen, dass er ein Neuerer ge- wesen, der die Schranken durchbrochen, ein neues Gesetz aufgestellt habe. Sein Ruhm besteht vielmehr darin, dass er trotz einer freiwilligen Unterordnung unter alt hergebrachte Formen und Gesetze diesen selbst ein höheres geistiges Leben einzuhauchen, gerade aus ihnen eine höhere künst- lerische Schönheit zu entwickeln verstand. Man preist unter den Schöpfungen Raphaels namentlich die Schule von Athen nicht weniger wegen der Schönheit einzelner Figuren und Gruppen, als wegen der höheren Einheit, in welche der Künstler dieselben verbunden hat. Dieses Lob ist gerecht: aber in den Grundprincipien der Composition ist hier Ra- phael vielleicht niemand verwandter, als Polygnot.
Diese strenge Gliederung würde indessen zuletzt doch nur ein untergeordnetes Lob bedingen, wenn sie zu nichts Höherem, als einem blos äusserlichen Schematismus führte. Ihren wahren Werth gewinnt sie erst durch den Zusammen- hang mit dem Inhalte der Darstellung; und so müssen wir uns denn von den Mitteln der künstlerischen Darstellung zu der geistigen oder poetischen Auffassung der polygnotischen Schöpfungen wenden, einer Aufgabe, die freilich bei dem gänz- lichen Mangel wirklicher Anschauung zu den schwierigsten gehört. Sehen wir zunächst von den wenigen, obwohl ge- wichtigen Urtheilen des Alterthums über das geistige Wesen des Polygnot ab, so bleiben uns nur die ausführlichen Be- schreibungen der delphischen Gemälde, die uns allerdings manche sehr werthvolle Winke gewähren. Ja die Art der Beschreibung selbst kann uns als ein erstes Zeugniss gelten für die bedeutende Wirkung, welche Polygnot auf den Be- schauer auszuüben vermochte. Pausanias, über dessen Nüch- ternheit und Trockenheit im Angesicht selbst der erhabensten Kunstwerke wir uns so oft zu beklagen Anlass haben, ver- räth hier häufiger, als sonst eine gewisse erhöhte Stimmung, wenigstens insofern, als er sich nicht mit der blossen Inhalts- angabe der Darstellung begnügt, sondern auch die Art der- selben näher zu charakterisiren versucht, wenn er auch dabei über eine allgemeine Bezeichnung der Stellungen und des Ausdrucks selten hinausgeht.
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zwar an der Grenze, aber noch innerhalb der alten Zeit. In
keiner Beziehung lässt sich sagen, dass er ein Neuerer ge-
wesen, der die Schranken durchbrochen, ein neues Gesetz
aufgestellt habe. Sein Ruhm besteht vielmehr darin, dass er
trotz einer freiwilligen Unterordnung unter alt hergebrachte
Formen und Gesetze diesen selbst ein höheres geistiges
Leben einzuhauchen, gerade aus ihnen eine höhere künst-
lerische Schönheit zu entwickeln verstand. Man preist unter
den Schöpfungen Raphaels namentlich die Schule von Athen
nicht weniger wegen der Schönheit einzelner Figuren und
Gruppen, als wegen der höheren Einheit, in welche der
Künstler dieselben verbunden hat. Dieses Lob ist gerecht:
aber in den Grundprincipien der Composition ist hier Ra-
phael vielleicht niemand verwandter, als Polygnot.
Diese strenge Gliederung würde indessen zuletzt doch
nur ein untergeordnetes Lob bedingen, wenn sie zu nichts
Höherem, als einem blos äusserlichen Schematismus führte.
Ihren wahren Werth gewinnt sie erst durch den Zusammen-
hang mit dem Inhalte der Darstellung; und so müssen wir
uns denn von den Mitteln der künstlerischen Darstellung zu
der geistigen oder poetischen Auffassung der polygnotischen
Schöpfungen wenden, einer Aufgabe, die freilich bei dem gänz-
lichen Mangel wirklicher Anschauung zu den schwierigsten
gehört. Sehen wir zunächst von den wenigen, obwohl ge-
wichtigen Urtheilen des Alterthums über das geistige Wesen
des Polygnot ab, so bleiben uns nur die ausführlichen Be-
schreibungen der delphischen Gemälde, die uns allerdings
manche sehr werthvolle Winke gewähren. Ja die Art der
Beschreibung selbst kann uns als ein erstes Zeugniss gelten
für die bedeutende Wirkung, welche Polygnot auf den Be-
schauer auszuüben vermochte. Pausanias, über dessen Nüch-
ternheit und Trockenheit im Angesicht selbst der erhabensten
Kunstwerke wir uns so oft zu beklagen Anlass haben, ver-
räth hier häufiger, als sonst eine gewisse erhöhte Stimmung,
wenigstens insofern, als er sich nicht mit der blossen Inhalts-
angabe der Darstellung begnügt, sondern auch die Art der-
selben näher zu charakterisiren versucht, wenn er auch dabei
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/44>, abgerufen am 24.11.2024.
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