Ordnung; und von einem Umbau des alten von Rhoekos be- gründeten Tempels wird uns nicht nur nirgends etwas be- richtet, sondern die Bewunderung, mit welcher Pausanias (VII, 5, 5) von ihm trotz der durch Feuer in den Perser- kriegen erlittenen Beschädigungen spricht, legt sogar ein entscheidendes Zeugniss gegen einen solchen ab. -- Dass Theodoros über diesen Tempel geschrieben habe, wird von Urlichs durchaus in Abrede gestellt. Mir scheint indessen die Nachricht des Vitruv auch jetzt noch nicht durchaus ver- werflich, wenn wir nur die durch die Natur der Dinge ge- botenen Verhältnisse nicht aus den Augen verlieren wollen. Der Bau des Tempels selbst verlangte bestimmte Aufzeich- nungen in Grundriss, Aufriss und Detail nebst Zahlenan- angaben. Warum sollten also dieselben nicht auch in dieser alten Zeit auf schriftlichem Wege überliefert worden sein, indem damals die Architektur, wenn sie sich so consequent entwickeln sollte, wie sie es gethan, ähnliche Aufzeichnun- gen für praktische Zwecke eigentlich gar nicht entbehren konnte, weit weniger als etwa die Sculptur eine Proportions- lehre? Dass Vitruv zuerst von den perspectivischen Studien des Agatharch, Demokrit und Anaxagoras spricht und an sie die architektonischen Schriftsteller im engeren Sinne durch postea anknüpft, scheint mir nicht in der Absicht geschehen, eine chronologische Bestimmung zu geben. Dazu nennt neben Theodoros Vitruv auch den ziemlich gleichzeitigen Chersiphron und seinen Sohn Metagenes als Schriftsteller über den ephesischen Tempel, und folgerechter Weise müss- ten wir also auch ihre Schriften für untergeschoben er- klären. Ob und wie viel erläuternder Text den praktischen Angaben beigegeben war, ist zunächst gleichgültig; ja man kann sogar zugeben, dass eigentliche Commentare, sofern sie dem Vitruv vorlagen, erst einer späteren Zeit, der litte- rarisch gebildeten alexandrinischen Epoche angehören moch- ten: dass trotzdem die Grundlage derselben der wirklich alten Zeit angehörte, darf darum noch keineswegs geleugnet werden. -- Uebrigens erwähnt Pollux (X, 188) eine Schrift e tou poiesis, en e Philon e Theidoros sunetheke. Sollte also etwa Philo einen solchen Commentar zu den Regeln des Theodoros geschrieben haben?
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Ordnung; und von einem Umbau des alten von Rhoekos be- gründeten Tempels wird uns nicht nur nirgends etwas be- richtet, sondern die Bewunderung, mit welcher Pausanias (VII, 5, 5) von ihm trotz der durch Feuer in den Perser- kriegen erlittenen Beschädigungen spricht, legt sogar ein entscheidendes Zeugniss gegen einen solchen ab. — Dass Theodoros über diesen Tempel geschrieben habe, wird von Urlichs durchaus in Abrede gestellt. Mir scheint indessen die Nachricht des Vitruv auch jetzt noch nicht durchaus ver- werflich, wenn wir nur die durch die Natur der Dinge ge- botenen Verhältnisse nicht aus den Augen verlieren wollen. Der Bau des Tempels selbst verlangte bestimmte Aufzeich- nungen in Grundriss, Aufriss und Detail nebst Zahlenan- angaben. Warum sollten also dieselben nicht auch in dieser alten Zeit auf schriftlichem Wege überliefert worden sein, indem damals die Architektur, wenn sie sich so consequent entwickeln sollte, wie sie es gethan, ähnliche Aufzeichnun- gen für praktische Zwecke eigentlich gar nicht entbehren konnte, weit weniger als etwa die Sculptur eine Proportions- lehre? Dass Vitruv zuerst von den perspectivischen Studien des Agatharch, Demokrit und Anaxagoras spricht und an sie die architektonischen Schriftsteller im engeren Sinne durch postea anknüpft, scheint mir nicht in der Absicht geschehen, eine chronologische Bestimmung zu geben. Dazu nennt neben Theodoros Vitruv auch den ziemlich gleichzeitigen Chersiphron und seinen Sohn Metagenes als Schriftsteller über den ephesischen Tempel, und folgerechter Weise müss- ten wir also auch ihre Schriften für untergeschoben er- klären. Ob und wie viel erläuternder Text den praktischen Angaben beigegeben war, ist zunächst gleichgültig; ja man kann sogar zugeben, dass eigentliche Commentare, sofern sie dem Vitruv vorlagen, erst einer späteren Zeit, der litte- rarisch gebildeten alexandrinischen Epoche angehören moch- ten: dass trotzdem die Grundlage derselben der wirklich alten Zeit angehörte, darf darum noch keineswegs geleugnet werden. — Uebrigens erwähnt Pollux (X, 188) eine Schrift ἡ τοῦ ποίησις, ἣν ἢ Φίλων ἢ Θείδωϱος συνέϑηκε. Sollte also etwa Philo einen solchen Commentar zu den Regeln des Theodoros geschrieben haben?
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Ordnung; und von einem Umbau des alten von Rhoekos be-
gründeten Tempels wird uns nicht nur nirgends etwas be-
richtet, sondern die Bewunderung, mit welcher Pausanias
(VII, 5, 5) von ihm trotz der durch Feuer in den Perser-
kriegen erlittenen Beschädigungen spricht, legt sogar ein
entscheidendes Zeugniss gegen einen solchen ab. — Dass
Theodoros über diesen Tempel geschrieben habe, wird von
Urlichs durchaus in Abrede gestellt. Mir scheint indessen
die Nachricht des Vitruv auch jetzt noch nicht durchaus ver-
werflich, wenn wir nur die durch die Natur der Dinge ge-
botenen Verhältnisse nicht aus den Augen verlieren wollen.
Der Bau des Tempels selbst verlangte bestimmte Aufzeich-
nungen in Grundriss, Aufriss und Detail nebst Zahlenan-
angaben. Warum sollten also dieselben nicht auch in dieser
alten Zeit auf schriftlichem Wege überliefert worden sein,
indem damals die Architektur, wenn sie sich so consequent
entwickeln sollte, wie sie es gethan, ähnliche Aufzeichnun-
gen für praktische Zwecke eigentlich gar nicht entbehren
konnte, weit weniger als etwa die Sculptur eine Proportions-
lehre? Dass Vitruv zuerst von den perspectivischen Studien
des Agatharch, Demokrit und Anaxagoras spricht und an
sie die architektonischen Schriftsteller im engeren Sinne durch
postea anknüpft, scheint mir nicht in der Absicht geschehen,
eine chronologische Bestimmung zu geben. Dazu nennt
neben Theodoros Vitruv auch den ziemlich gleichzeitigen
Chersiphron und seinen Sohn Metagenes als Schriftsteller
über den ephesischen Tempel, und folgerechter Weise müss-
ten wir also auch ihre Schriften für untergeschoben er-
klären. Ob und wie viel erläuternder Text den praktischen
Angaben beigegeben war, ist zunächst gleichgültig; ja man
kann sogar zugeben, dass eigentliche Commentare, sofern
sie dem Vitruv vorlagen, erst einer späteren Zeit, der litte-
rarisch gebildeten alexandrinischen Epoche angehören moch-
ten: dass trotzdem die Grundlage derselben der wirklich
alten Zeit angehörte, darf darum noch keineswegs geleugnet
werden. — Uebrigens erwähnt Pollux (X, 188) eine Schrift
ἡ τοῦ ποίησις, ἣν ἢ Φίλων ἢ Θείδωϱος συνέϑηκε. Sollte
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/395>, abgerufen am 22.12.2024.
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