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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Utque sedet vultu fassus Telamonius iram,
Inque oculis facinus barbara mater habet:

denn dass sie in die Paläste des Augustus versetzt werden,
ist wohl nur ein Gedächtnissfehler des Dichters. Des Aias
gedenkt Philostratus, 1) der Medea Plutarch. 2) Besonders
aber haben sich die Epigrammendichter dieser Bilder als
eines passenden Stoffes bemächtigt: wir besitzen noch jetzt
auf den Aias eines, auf die Medea eine ganze Reihe dieser
kurzen Gedichte. 3) Eines endlich 4) schildert, freilich ohne
den Namen des Künstlers zu nennen, das Gemälde der
Iphigenie.

Ueber das Einzelne der Darstellungen geben uns alle
die angeführten Quellen leider nur sehr ungenügende Aus-
kunft. Ja hinsichtlich des Aias haben sie sogar zu einer
verschiedenen Auffassung des Grundgedankens bei den Neue-
ren Veranlassung gegeben. Während man nemlich im Hin-
blick auf Philostratus und das Epigramm an Aias dachte,
wie er nach seiner Raserei und der Ermordung der Heerden
auf den Anschlag sinnt, sich selbst umzubringen, will Wel-
cker 5) unter Betonung des "vultu fassus iram" bei Ovid
nicht den rasenden, sondern den gekränkten und darum
seinen Tod beschliessenden Helden erkennen. Doch scheint
es mir fraglich, ob wir auf diese Worte einen so grossen
Werth legen dürfen. Ovid scheint sich überhaupt wenig um
Kunstwerke gekümmert zu haben. 6) Hier schreibt er noch
dazu in der Verbannung aus blosser Erinnerung; und wie
er in der Bezeichnung des Ortes irrte, so mochte auch das
Bild selbst nicht mehr in allen Einzelnheiten ihm vor Augen
stehen. Endlich aber scheint mir auch der Ausdruck vultu
fassus iram der Situation des Aias nach der Ermordung der
Heerden nicht gerade zu widerstreiten. Denn ist auch da
der Zorn bereits der Reue und Schaam gewichen, so ist
doch jener Zorn der Grundzug im Wesen des Aias, aus dem
sich sein ganzes trauriges Geschick entwickelt, und als sol-

1) Vit. Apollon. II, 22.
2) de aud. poet. p. 18 A, vgl. Lucian de
domo c. 31 und Lucilius Aetna v. 594.
3) Auf den Aias: Anall. III, 213,
n. 295; auf die Medea: Anall. II, 174, n. 20 von Antiphilus (nachgeahmt
von Ansonius 129); II, 499, n. 29 von Julian dem Aegypter, II, 223, n. 42
von Philippus (bei Ausonius 130); III, 214, n. 299, 300 und 301 von unbe-
kannten Dichtern.
4) III, 216, n. 306.
5) Kl. Schr. III, 450 fg.
6) vgl.
Friedländer, über d. Kunstsinn d. Römer. S. 9.

Utque sedet vultu fassus Telamonius iram,
Inque oculis facinus barbara mater habet:

denn dass sie in die Paläste des Augustus versetzt werden,
ist wohl nur ein Gedächtnissfehler des Dichters. Des Aias
gedenkt Philostratus, 1) der Medea Plutarch. 2) Besonders
aber haben sich die Epigrammendichter dieser Bilder als
eines passenden Stoffes bemächtigt: wir besitzen noch jetzt
auf den Aias eines, auf die Medea eine ganze Reihe dieser
kurzen Gedichte. 3) Eines endlich 4) schildert, freilich ohne
den Namen des Künstlers zu nennen, das Gemälde der
Iphigenie.

Ueber das Einzelne der Darstellungen geben uns alle
die angeführten Quellen leider nur sehr ungenügende Aus-
kunft. Ja hinsichtlich des Aias haben sie sogar zu einer
verschiedenen Auffassung des Grundgedankens bei den Neue-
ren Veranlassung gegeben. Während man nemlich im Hin-
blick auf Philostratus und das Epigramm an Aias dachte,
wie er nach seiner Raserei und der Ermordung der Heerden
auf den Anschlag sinnt, sich selbst umzubringen, will Wel-
cker 5) unter Betonung des „vultu fassus iram“ bei Ovid
nicht den rasenden, sondern den gekränkten und darum
seinen Tod beschliessenden Helden erkennen. Doch scheint
es mir fraglich, ob wir auf diese Worte einen so grossen
Werth legen dürfen. Ovid scheint sich überhaupt wenig um
Kunstwerke gekümmert zu haben. 6) Hier schreibt er noch
dazu in der Verbannung aus blosser Erinnerung; und wie
er in der Bezeichnung des Ortes irrte, so mochte auch das
Bild selbst nicht mehr in allen Einzelnheiten ihm vor Augen
stehen. Endlich aber scheint mir auch der Ausdruck vultu
fassus iram der Situation des Aias nach der Ermordung der
Heerden nicht gerade zu widerstreiten. Denn ist auch da
der Zorn bereits der Reue und Schaam gewichen, so ist
doch jener Zorn der Grundzug im Wesen des Aias, aus dem
sich sein ganzes trauriges Geschick entwickelt, und als sol-

1) Vit. Apollon. II, 22.
2) de aud. poet. p. 18 A, vgl. Lucian de
domo c. 31 und Lucilius Aetna v. 594.
3) Auf den Aias: Anall. III, 213,
n. 295; auf die Medea: Anall. II, 174, n. 20 von Antiphilus (nachgeahmt
von Ansonius 129); II, 499, n. 29 von Julian dem Aegypter, II, 223, n. 42
von Philippus (bei Ausonius 130); III, 214, n. 299, 300 und 301 von unbe-
kannten Dichtern.
4) III, 216, n. 306.
5) Kl. Schr. III, 450 fg.
6) vgl.
Friedländer, über d. Kunstsinn d. Römer. S. 9.
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[277/0285] Utque sedet vultu fassus Telamonius iram, Inque oculis facinus barbara mater habet: denn dass sie in die Paläste des Augustus versetzt werden, ist wohl nur ein Gedächtnissfehler des Dichters. Des Aias gedenkt Philostratus, 1) der Medea Plutarch. 2) Besonders aber haben sich die Epigrammendichter dieser Bilder als eines passenden Stoffes bemächtigt: wir besitzen noch jetzt auf den Aias eines, auf die Medea eine ganze Reihe dieser kurzen Gedichte. 3) Eines endlich 4) schildert, freilich ohne den Namen des Künstlers zu nennen, das Gemälde der Iphigenie. Ueber das Einzelne der Darstellungen geben uns alle die angeführten Quellen leider nur sehr ungenügende Aus- kunft. Ja hinsichtlich des Aias haben sie sogar zu einer verschiedenen Auffassung des Grundgedankens bei den Neue- ren Veranlassung gegeben. Während man nemlich im Hin- blick auf Philostratus und das Epigramm an Aias dachte, wie er nach seiner Raserei und der Ermordung der Heerden auf den Anschlag sinnt, sich selbst umzubringen, will Wel- cker 5) unter Betonung des „vultu fassus iram“ bei Ovid nicht den rasenden, sondern den gekränkten und darum seinen Tod beschliessenden Helden erkennen. Doch scheint es mir fraglich, ob wir auf diese Worte einen so grossen Werth legen dürfen. Ovid scheint sich überhaupt wenig um Kunstwerke gekümmert zu haben. 6) Hier schreibt er noch dazu in der Verbannung aus blosser Erinnerung; und wie er in der Bezeichnung des Ortes irrte, so mochte auch das Bild selbst nicht mehr in allen Einzelnheiten ihm vor Augen stehen. Endlich aber scheint mir auch der Ausdruck vultu fassus iram der Situation des Aias nach der Ermordung der Heerden nicht gerade zu widerstreiten. Denn ist auch da der Zorn bereits der Reue und Schaam gewichen, so ist doch jener Zorn der Grundzug im Wesen des Aias, aus dem sich sein ganzes trauriges Geschick entwickelt, und als sol- 1) Vit. Apollon. II, 22. 2) de aud. poet. p. 18 A, vgl. Lucian de domo c. 31 und Lucilius Aetna v. 594. 3) Auf den Aias: Anall. III, 213, n. 295; auf die Medea: Anall. II, 174, n. 20 von Antiphilus (nachgeahmt von Ansonius 129); II, 499, n. 29 von Julian dem Aegypter, II, 223, n. 42 von Philippus (bei Ausonius 130); III, 214, n. 299, 300 und 301 von unbe- kannten Dichtern. 4) III, 216, n. 306. 5) Kl. Schr. III, 450 fg. 6) vgl. Friedländer, über d. Kunstsinn d. Römer. S. 9.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/285>, abgerufen am 12.05.2024.