von Heroen, wird immer jene edle Einfalt und stille Grösse eigen sein müssen, welche Winckelmann als den charakte- ristischen Grundzug der griechischen Kunst bezeichnet. Ihr Streben muss dahin gerichtet sein, den Helden, der doch immer nur mit menschlichen Formen bekleidet erscheinen kann, dadurch zum Helden zu machen, dass sie ihm diese Formen in ihrer höchsten Veredelung, gereinigt von den Schwächen und Zufälligkeiten des Menschlichen, zuertheilt und dadurch um so unmittelbarer den Geist, die grosse ge- setzte Seele hervortreten lässt, jenes Ethos, welches die gesammte Thätigkeit auch noch bei der höchsten Erregung beherrscht. Ganz anders verfährt der Naturalist oder, wie ich ihn hier lieber nennen möchte, der Realist: er geht nicht vom Ethos aus, sondern von den ethe, nicht von dem Geiste als dem einheitlichen, Alles bewegenden Mittelpunkte, son- dern von den Erscheinungen, welche das innere Leben, aber nicht blos der Geist, sondern jeder Trieb, jede Leidenschaft an dem äusseren Menschen hervorbringt, also nicht von der Ursache, sondern von der Wirkung. Gewaltige Helden wird er deshalb nicht anders darstellen zu können meinen, als dass er sie auch in ihrer äusseren Erscheinung gewaltig auf- treten lässt; gewaltige Thaten wird er nicht zeigen ohne die Anstrengung, mit welcher sie vollbracht werden. Ihm muss also mit der Grösse der That der körperliche Ausdruck der- selben wachsen, dem Idealisten der Geist, welcher die That beherrscht und die Kräfte zu ihrer Vollbringung regelt. Michelangelo lässt die Atlanten an der Decke der sixtinischen Kapelle, "die personificirten Kräfte des Gewölbes," wie man sie wohl genannt hat, unter dem Gewicht, welches auf ihnen lastet, fast erdrückt werden, um zu zeigen, welcher Gewalt sie Widerstand zu leisten haben. Eine griechische Karyatide trägt mit Leichtigkeit ihre Last, weil diese in derjenigen Lage auf dem Körper ruht, in welcher sie den mindesten Aufwand von Kräften erfordert. Ein Zeus, ein Herakles, wie wir sie aus den idealen Bildungen der grie- chischen Kunst kennen, erscheinen gewiss jeder noch so ausserordentlichen Anstrengung gewachsen; und doch hat der Künstler nie nöthig gehabt, in ihrer Darstellung über die Grenzen der energischen, aber leidenschaftslosen mensch- lichen Natur hinauszugehen. Im Moses des Michelangelo
von Heroen, wird immer jene edle Einfalt und stille Grösse eigen sein müssen, welche Winckelmann als den charakte- ristischen Grundzug der griechischen Kunst bezeichnet. Ihr Streben muss dahin gerichtet sein, den Helden, der doch immer nur mit menschlichen Formen bekleidet erscheinen kann, dadurch zum Helden zu machen, dass sie ihm diese Formen in ihrer höchsten Veredelung, gereinigt von den Schwächen und Zufälligkeiten des Menschlichen, zuertheilt und dadurch um so unmittelbarer den Geist, die grosse ge- setzte Seele hervortreten lässt, jenes Ethos, welches die gesammte Thätigkeit auch noch bei der höchsten Erregung beherrscht. Ganz anders verfährt der Naturalist oder, wie ich ihn hier lieber nennen möchte, der Realist: er geht nicht vom Ethos aus, sondern von den ἤϑη, nicht von dem Geiste als dem einheitlichen, Alles bewegenden Mittelpunkte, son- dern von den Erscheinungen, welche das innere Leben, aber nicht blos der Geist, sondern jeder Trieb, jede Leidenschaft an dem äusseren Menschen hervorbringt, also nicht von der Ursache, sondern von der Wirkung. Gewaltige Helden wird er deshalb nicht anders darstellen zu können meinen, als dass er sie auch in ihrer äusseren Erscheinung gewaltig auf- treten lässt; gewaltige Thaten wird er nicht zeigen ohne die Anstrengung, mit welcher sie vollbracht werden. Ihm muss also mit der Grösse der That der körperliche Ausdruck der- selben wachsen, dem Idealisten der Geist, welcher die That beherrscht und die Kräfte zu ihrer Vollbringung regelt. Michelangelo lässt die Atlanten an der Decke der sixtinischen Kapelle, „die personificirten Kräfte des Gewölbes,“ wie man sie wohl genannt hat, unter dem Gewicht, welches auf ihnen lastet, fast erdrückt werden, um zu zeigen, welcher Gewalt sie Widerstand zu leisten haben. Eine griechische Karyatide trägt mit Leichtigkeit ihre Last, weil diese in derjenigen Lage auf dem Körper ruht, in welcher sie den mindesten Aufwand von Kräften erfordert. Ein Zeus, ein Herakles, wie wir sie aus den idealen Bildungen der grie- chischen Kunst kennen, erscheinen gewiss jeder noch so ausserordentlichen Anstrengung gewachsen; und doch hat der Künstler nie nöthig gehabt, in ihrer Darstellung über die Grenzen der energischen, aber leidenschaftslosen mensch- lichen Natur hinauszugehen. Im Moses des Michelangelo
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von Heroen, wird immer jene edle Einfalt und stille Grösse
eigen sein müssen, welche Winckelmann als den charakte-
ristischen Grundzug der griechischen Kunst bezeichnet. Ihr
Streben muss dahin gerichtet sein, den Helden, der doch
immer nur mit menschlichen Formen bekleidet erscheinen
kann, dadurch zum Helden zu machen, dass sie ihm diese
Formen in ihrer höchsten Veredelung, gereinigt von den
Schwächen und Zufälligkeiten des Menschlichen, zuertheilt
und dadurch um so unmittelbarer den Geist, die grosse ge-
setzte Seele hervortreten lässt, jenes Ethos, welches die
gesammte Thätigkeit auch noch bei der höchsten Erregung
beherrscht. Ganz anders verfährt der Naturalist oder, wie
ich ihn hier lieber nennen möchte, der Realist: er geht nicht
vom Ethos aus, sondern von den ἤϑη, nicht von dem Geiste
als dem einheitlichen, Alles bewegenden Mittelpunkte, son-
dern von den Erscheinungen, welche das innere Leben, aber
nicht blos der Geist, sondern jeder Trieb, jede Leidenschaft
an dem äusseren Menschen hervorbringt, also nicht von der
Ursache, sondern von der Wirkung. Gewaltige Helden wird
er deshalb nicht anders darstellen zu können meinen, als
dass er sie auch in ihrer äusseren Erscheinung gewaltig auf-
treten lässt; gewaltige Thaten wird er nicht zeigen ohne die
Anstrengung, mit welcher sie vollbracht werden. Ihm muss
also mit der Grösse der That der körperliche Ausdruck der-
selben wachsen, dem Idealisten der Geist, welcher die That
beherrscht und die Kräfte zu ihrer Vollbringung regelt.
Michelangelo lässt die Atlanten an der Decke der sixtinischen
Kapelle, „die personificirten Kräfte des Gewölbes,“ wie
man sie wohl genannt hat, unter dem Gewicht, welches auf
ihnen lastet, fast erdrückt werden, um zu zeigen, welcher
Gewalt sie Widerstand zu leisten haben. Eine griechische
Karyatide trägt mit Leichtigkeit ihre Last, weil diese in
derjenigen Lage auf dem Körper ruht, in welcher sie den
mindesten Aufwand von Kräften erfordert. Ein Zeus, ein
Herakles, wie wir sie aus den idealen Bildungen der grie-
chischen Kunst kennen, erscheinen gewiss jeder noch so
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Künstler nie nöthig gehabt, in ihrer Darstellung über die
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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