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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Aias beim Urtheile über die Waffen des Achill, mit
welchem Gemälde er in Samos Parrhasios besiegte: Plin. l. l.

Ein schlafender Kyklop in einem kleinen Gemälde;
um jedoch trotzdem die Grösse des Riesen erkennen zu
lassen, malte er neben ihm Satyrn, welche mit dem Thyrsus
seinen Daumen messen: Plin. 35, 74.

Ein Heros, ein Werk von der höchsten Vollendung,
so dass darin überhaupt die Kunst, Männer zu malen, ent-
halten schien; zu Plinius Zeit im Friedenstempel zu Rom:
Plin. l. l.

Trotz dieser geringen Zahl von Werken müssen wir
Timanthes den bedeutendsten Künstlern beizählen, nicht so-
wohl, weil er gelegentlich Parrhasios wie Kolotes besiegte,
sondern wegen des Urtheils, welches Plinius über ihn fällt:
"Dem Timanthes war eine angeborene Gabe der Erfindung
(ingenium) sogar im höchsten Maasse eigen. ... Seine
Werke zeichnet es vor allen andern aus, dass man in ihnen
stets mehr erkennt, als eigentlich gemalt ist; und obwohl
die Kunstfertigkeit (ars) auf der höchsten Stufe steht, so
geht doch der Erfindungsgeist noch über die Kunstfertigkeit
hinaus." Der Ausdruck ars bezeichnet hier offenbar die
Technik im weitesten Sinne, die Mittel der Darstellung, so
weit sie auf Kenntniss der Form, wie der Farbe beruhen.
Bei dieser Allgemeinheit der Bedeutung gewinnen wir frei-
lich von dem besonderen Verdienste des Timanthes keinen
bestimmten Begriff; ja eine Aeusserung Cicero's 1) scheint
sogar das Lob des Plinius einigermassen zu beschränken.
Allein wenn Cicero den Timanthes und Zeuxis mit Polygnot
und denen, welche nur vier Farben angewendet, zusammen-
stellt, so liegt darin, wie wir schon früher bemerkten, ein
zu grosser Widerspruch mit allen sonstigen Ueberlieferungen,
als dass wir uns nicht zu der Annahme berechtigt erachten
sollten: Cicero habe einfach diese Gruppe von Künstlern
als Repräsentanten der älteren Kunstübung im Gegensatz zu
der jüngern gefasst, deren Mittelpunkt Apelles ist, und mit
welchen sie sich allerdings in Hinsicht auf allseitige tech-
nische Vollendung nicht zu vergleichen vermochte. Diese
Einschränkung ist also durchaus relativ; und wir mögen

1) Brut. 18.

Aias beim Urtheile über die Waffen des Achill, mit
welchem Gemälde er in Samos Parrhasios besiegte: Plin. l. l.

Ein schlafender Kyklop in einem kleinen Gemälde;
um jedoch trotzdem die Grösse des Riesen erkennen zu
lassen, malte er neben ihm Satyrn, welche mit dem Thyrsus
seinen Daumen messen: Plin. 35, 74.

Ein Heros, ein Werk von der höchsten Vollendung,
so dass darin überhaupt die Kunst, Männer zu malen, ent-
halten schien; zu Plinius Zeit im Friedenstempel zu Rom:
Plin. l. l.

Trotz dieser geringen Zahl von Werken müssen wir
Timanthes den bedeutendsten Künstlern beizählen, nicht so-
wohl, weil er gelegentlich Parrhasios wie Kolotes besiegte,
sondern wegen des Urtheils, welches Plinius über ihn fällt:
„Dem Timanthes war eine angeborene Gabe der Erfindung
(ingenium) sogar im höchsten Maasse eigen. … Seine
Werke zeichnet es vor allen andern aus, dass man in ihnen
stets mehr erkennt, als eigentlich gemalt ist; und obwohl
die Kunstfertigkeit (ars) auf der höchsten Stufe steht, so
geht doch der Erfindungsgeist noch über die Kunstfertigkeit
hinaus.“ Der Ausdruck ars bezeichnet hier offenbar die
Technik im weitesten Sinne, die Mittel der Darstellung, so
weit sie auf Kenntniss der Form, wie der Farbe beruhen.
Bei dieser Allgemeinheit der Bedeutung gewinnen wir frei-
lich von dem besonderen Verdienste des Timanthes keinen
bestimmten Begriff; ja eine Aeusserung Cicero’s 1) scheint
sogar das Lob des Plinius einigermassen zu beschränken.
Allein wenn Cicero den Timanthes und Zeuxis mit Polygnot
und denen, welche nur vier Farben angewendet, zusammen-
stellt, so liegt darin, wie wir schon früher bemerkten, ein
zu grosser Widerspruch mit allen sonstigen Ueberlieferungen,
als dass wir uns nicht zu der Annahme berechtigt erachten
sollten: Cicero habe einfach diese Gruppe von Künstlern
als Repräsentanten der älteren Kunstübung im Gegensatz zu
der jüngern gefasst, deren Mittelpunkt Apelles ist, und mit
welchen sie sich allerdings in Hinsicht auf allseitige tech-
nische Vollendung nicht zu vergleichen vermochte. Diese
Einschränkung ist also durchaus relativ; und wir mögen

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[122/0130] Aias beim Urtheile über die Waffen des Achill, mit welchem Gemälde er in Samos Parrhasios besiegte: Plin. l. l. Ein schlafender Kyklop in einem kleinen Gemälde; um jedoch trotzdem die Grösse des Riesen erkennen zu lassen, malte er neben ihm Satyrn, welche mit dem Thyrsus seinen Daumen messen: Plin. 35, 74. Ein Heros, ein Werk von der höchsten Vollendung, so dass darin überhaupt die Kunst, Männer zu malen, ent- halten schien; zu Plinius Zeit im Friedenstempel zu Rom: Plin. l. l. Trotz dieser geringen Zahl von Werken müssen wir Timanthes den bedeutendsten Künstlern beizählen, nicht so- wohl, weil er gelegentlich Parrhasios wie Kolotes besiegte, sondern wegen des Urtheils, welches Plinius über ihn fällt: „Dem Timanthes war eine angeborene Gabe der Erfindung (ingenium) sogar im höchsten Maasse eigen. … Seine Werke zeichnet es vor allen andern aus, dass man in ihnen stets mehr erkennt, als eigentlich gemalt ist; und obwohl die Kunstfertigkeit (ars) auf der höchsten Stufe steht, so geht doch der Erfindungsgeist noch über die Kunstfertigkeit hinaus.“ Der Ausdruck ars bezeichnet hier offenbar die Technik im weitesten Sinne, die Mittel der Darstellung, so weit sie auf Kenntniss der Form, wie der Farbe beruhen. Bei dieser Allgemeinheit der Bedeutung gewinnen wir frei- lich von dem besonderen Verdienste des Timanthes keinen bestimmten Begriff; ja eine Aeusserung Cicero’s 1) scheint sogar das Lob des Plinius einigermassen zu beschränken. Allein wenn Cicero den Timanthes und Zeuxis mit Polygnot und denen, welche nur vier Farben angewendet, zusammen- stellt, so liegt darin, wie wir schon früher bemerkten, ein zu grosser Widerspruch mit allen sonstigen Ueberlieferungen, als dass wir uns nicht zu der Annahme berechtigt erachten sollten: Cicero habe einfach diese Gruppe von Künstlern als Repräsentanten der älteren Kunstübung im Gegensatz zu der jüngern gefasst, deren Mittelpunkt Apelles ist, und mit welchen sie sich allerdings in Hinsicht auf allseitige tech- nische Vollendung nicht zu vergleichen vermochte. Diese Einschränkung ist also durchaus relativ; und wir mögen 1) Brut. 18.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/130>, abgerufen am 28.04.2024.