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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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der grössten Einfachheit und Beschränkung in den Mitteln
der Darstellung zur grössten Tiefe der geistigen Auffassung
und des Ausdruckes gelangte, so werden wir bei Parrhasios
wegen der Verschiedenheit des Weges auch eine eben so
grosse Verschiedenheit der Endzwecke und Erfolge voraus-
zusetzen geneigt sein. Wir knüpfen unsere Erörterung wie-
der an das einmal gewählte Beispiel, den Demos, an und
fragen einfach, ob wir diese Darstellung in der von Plinius
geschilderten Durchführung als eine Idealbildung bezeichnen
dürfen. Die Antwort muss verneinend ausfallen: in dem
Urtheile des Plinius spricht sich keineswegs Bewunderung
über die Tiefe und geistige Bedeutung der Auffassung aus;
man ist zunächst nur erfreut über das "argumentum inge-
niosum," das Sinnreiche in der Wahl einer Aufgabe, deren
Lösung durch eine kunstreiche Verschmelzung der schwie-
rigsten Contraste überraschen muss. Diese Widersprüche
in dem Wesen eines Volkes, wenn wir dasselbe als ein Indi-
viduum fassen wollen, sind aber nicht eigentlich in dessen
geistigen Befähigungen und Anlagen begründet, sondern viel-
mehr die Folge der Erregungen und Wandlungen des Ge-
müthes und Gefühls, welche oft das ursprüngliche Ethos,
wenn nicht gänzlich zu unterdrücken, doch zeitweise zu ver-
dunkeln vermögen. Schon hieraus folgt nun, dass ihre Dar-
stellung nicht in dem Sinne eine ethische sein kann, wie wir
sie bei Polygnot kennen gelernt haben. Denn indem der
Künstler gerade auf die vorübergehenden, durch äussere
Umstände aufgeprägten Zustände und Stimmungen, auf die
scharfe Beobachtung der Aeusserungen des Gefühls- und
Gemüthslebens sein Hauptaugenmerk lenkte, erhielt statt des
ethischen das psychologische Element eine bevorzugte
Geltung, oder mit andern Worten, die psychologische Cha-
rakteristik wurde wenigstens in diesem Werke zur Haupt-
aufgabe.

Ehe wir jedoch die Bedeutung dieser Behauptung weiter
verfolgen, wird es gut sein nachzuforschen, ob sich ein ähn-
liches Vorwiegen dieses Elementes auch in andern der uns
bekannten Schöpfungen des Parrhasios nachweisen lässt.
Fast mit Nothwendigkeit scheint es vorauszusetzen bei der
Darstellung einer so vielseitigen und gewandten Persönlich-
keit, wie Odysseus. Denn nehmen wir z. B. das Gemälde

der grössten Einfachheit und Beschränkung in den Mitteln
der Darstellung zur grössten Tiefe der geistigen Auffassung
und des Ausdruckes gelangte, so werden wir bei Parrhasios
wegen der Verschiedenheit des Weges auch eine eben so
grosse Verschiedenheit der Endzwecke und Erfolge voraus-
zusetzen geneigt sein. Wir knüpfen unsere Erörterung wie-
der an das einmal gewählte Beispiel, den Demos, an und
fragen einfach, ob wir diese Darstellung in der von Plinius
geschilderten Durchführung als eine Idealbildung bezeichnen
dürfen. Die Antwort muss verneinend ausfallen: in dem
Urtheile des Plinius spricht sich keineswegs Bewunderung
über die Tiefe und geistige Bedeutung der Auffassung aus;
man ist zunächst nur erfreut über das „argumentum inge-
niosum,“ das Sinnreiche in der Wahl einer Aufgabe, deren
Lösung durch eine kunstreiche Verschmelzung der schwie-
rigsten Contraste überraschen muss. Diese Widersprüche
in dem Wesen eines Volkes, wenn wir dasselbe als ein Indi-
viduum fassen wollen, sind aber nicht eigentlich in dessen
geistigen Befähigungen und Anlagen begründet, sondern viel-
mehr die Folge der Erregungen und Wandlungen des Ge-
müthes und Gefühls, welche oft das ursprüngliche Ethos,
wenn nicht gänzlich zu unterdrücken, doch zeitweise zu ver-
dunkeln vermögen. Schon hieraus folgt nun, dass ihre Dar-
stellung nicht in dem Sinne eine ethische sein kann, wie wir
sie bei Polygnot kennen gelernt haben. Denn indem der
Künstler gerade auf die vorübergehenden, durch äussere
Umstände aufgeprägten Zustände und Stimmungen, auf die
scharfe Beobachtung der Aeusserungen des Gefühls- und
Gemüthslebens sein Hauptaugenmerk lenkte, erhielt statt des
ethischen das psychologische Element eine bevorzugte
Geltung, oder mit andern Worten, die psychologische Cha-
rakteristik wurde wenigstens in diesem Werke zur Haupt-
aufgabe.

Ehe wir jedoch die Bedeutung dieser Behauptung weiter
verfolgen, wird es gut sein nachzuforschen, ob sich ein ähn-
liches Vorwiegen dieses Elementes auch in andern der uns
bekannten Schöpfungen des Parrhasios nachweisen lässt.
Fast mit Nothwendigkeit scheint es vorauszusetzen bei der
Darstellung einer so vielseitigen und gewandten Persönlich-
keit, wie Odysseus. Denn nehmen wir z. B. das Gemälde

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[111/0119] der grössten Einfachheit und Beschränkung in den Mitteln der Darstellung zur grössten Tiefe der geistigen Auffassung und des Ausdruckes gelangte, so werden wir bei Parrhasios wegen der Verschiedenheit des Weges auch eine eben so grosse Verschiedenheit der Endzwecke und Erfolge voraus- zusetzen geneigt sein. Wir knüpfen unsere Erörterung wie- der an das einmal gewählte Beispiel, den Demos, an und fragen einfach, ob wir diese Darstellung in der von Plinius geschilderten Durchführung als eine Idealbildung bezeichnen dürfen. Die Antwort muss verneinend ausfallen: in dem Urtheile des Plinius spricht sich keineswegs Bewunderung über die Tiefe und geistige Bedeutung der Auffassung aus; man ist zunächst nur erfreut über das „argumentum inge- niosum,“ das Sinnreiche in der Wahl einer Aufgabe, deren Lösung durch eine kunstreiche Verschmelzung der schwie- rigsten Contraste überraschen muss. Diese Widersprüche in dem Wesen eines Volkes, wenn wir dasselbe als ein Indi- viduum fassen wollen, sind aber nicht eigentlich in dessen geistigen Befähigungen und Anlagen begründet, sondern viel- mehr die Folge der Erregungen und Wandlungen des Ge- müthes und Gefühls, welche oft das ursprüngliche Ethos, wenn nicht gänzlich zu unterdrücken, doch zeitweise zu ver- dunkeln vermögen. Schon hieraus folgt nun, dass ihre Dar- stellung nicht in dem Sinne eine ethische sein kann, wie wir sie bei Polygnot kennen gelernt haben. Denn indem der Künstler gerade auf die vorübergehenden, durch äussere Umstände aufgeprägten Zustände und Stimmungen, auf die scharfe Beobachtung der Aeusserungen des Gefühls- und Gemüthslebens sein Hauptaugenmerk lenkte, erhielt statt des ethischen das psychologische Element eine bevorzugte Geltung, oder mit andern Worten, die psychologische Cha- rakteristik wurde wenigstens in diesem Werke zur Haupt- aufgabe. Ehe wir jedoch die Bedeutung dieser Behauptung weiter verfolgen, wird es gut sein nachzuforschen, ob sich ein ähn- liches Vorwiegen dieses Elementes auch in andern der uns bekannten Schöpfungen des Parrhasios nachweisen lässt. Fast mit Nothwendigkeit scheint es vorauszusetzen bei der Darstellung einer so vielseitigen und gewandten Persönlich- keit, wie Odysseus. Denn nehmen wir z. B. das Gemälde

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/119>, abgerufen am 23.11.2024.