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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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und die Zerstörung Ilions für einen Becher (skuphos Erakleo-
tikos) mit folgender Inschrift:

Grammata Parrasioio, tekhna Muos; mmi ede ergon
Iliou aipeinas, an elon Aiakidai

Athen. XI, p. 782 B.

Endlich berichtet Plinius (35, 68), dass man noch manche
Reste von Zeichnungen "in tabulis ac membranis eius" auf-
bewahrt habe, welche von den Künstlern mit Vortheil be-
nutzt werden sollten. Aus dieser Angabe erklärt es sich
vielleicht, dass unter den Auctoren des 35sten Buches in ei-
nigen Handschriften des Plinius auch Parrhasios angeführt
wird, während wir von eigentlichen Schriften dieses Künst-
lers sonst nichts wissen, und sein Name sich auch gerade
in der bamberger Handschrift nicht findet.

Hinsichtlich des Materials, dessen er sich beim Malen
bedient, wird nur eine Einzelnheit berichtet: nemlich dass er
und Nikomachos zum Weiss die Kreide von Eretria ver-
wendet habe: Pl. 35, 38.

Den Erörterungen über die künstlerischen Leistungen
des Parrhasios wollen wir ein kurzes, aber sehr charakte-
ristisches Zeugniss des Alterthums voranstellen: oukoun dote
moi ten Zeuxidos tekhnen, ta Parrasiou sophismata, sagt Hime-
rius. 1) Dieser Ausdruck sophismata, dem lateinischen argutiae
entsprechend, dessen Bedeutung wir bei Gelegenheit des Ly-
sipp kennen gelernt haben, weist uns mit Bestimmtheit auf
gewisse Feinheiten der Behandlung hin, durch welche die
Kunst des Parrhasios ihr eigenthümliches Gepräge erhielt.
Welcher Art aber diese Feinheiten waren, darüber spricht
Plinius ausführlich, dessen Urtheil wir der Uebersichtlichkeit
wegen zuerst in seinem ganzen Umfange anführen wollen,
wenn wir auch später die einzelnen Theile desselben für
unsere Zwecke unter veränderten Gesichtspunkten zusam-
menordnen und betrachten müssen. "Parrhasios aus Ephesos
trug gleichfalls Vieles zum Fortschritt bei; er führte zuerst
die Proportionslehre in die Malerei ein, verlieh dem Gesicht
Feinheiten des Ausdrucks, dem Haupthaar Eleganz, dem
Munde einen sanften Reiz, und trug nach dem Bekenntnisse
der Künstler in den Contouren die Palme davon. Darin be-

1) Ecl. XIII, 5; ap. Phot. p. 602 Hoesch.

und die Zerstörung Ilions für einen Becher (σκύφος Ἡϱακλεω-
τικός) mit folgender Inschrift:

Γϱάμματα Παϱϱασίοιο, τέχνα Μυός· μμὶ ἐδὲ ἔϱγον
Ἰλίου αἰπεινᾶς, ἃν ἕλον Αἰακίδαι

Athen. XI, p. 782 B.

Endlich berichtet Plinius (35, 68), dass man noch manche
Reste von Zeichnungen „in tabulis ac membranis eius“ auf-
bewahrt habe, welche von den Künstlern mit Vortheil be-
nutzt werden sollten. Aus dieser Angabe erklärt es sich
vielleicht, dass unter den Auctoren des 35sten Buches in ei-
nigen Handschriften des Plinius auch Parrhasios angeführt
wird, während wir von eigentlichen Schriften dieses Künst-
lers sonst nichts wissen, und sein Name sich auch gerade
in der bamberger Handschrift nicht findet.

Hinsichtlich des Materials, dessen er sich beim Malen
bedient, wird nur eine Einzelnheit berichtet: nemlich dass er
und Nikomachos zum Weiss die Kreide von Eretria ver-
wendet habe: Pl. 35, 38.

Den Erörterungen über die künstlerischen Leistungen
des Parrhasios wollen wir ein kurzes, aber sehr charakte-
ristisches Zeugniss des Alterthums voranstellen: οὐκοῦν δότε
μοι τὴν Ζεύξιδος τέχνην, τὰ Παϱϱασίου σοφίσματα, sagt Hime-
rius. 1) Dieser Ausdruck σοφίσματα, dem lateinischen argutiae
entsprechend, dessen Bedeutung wir bei Gelegenheit des Ly-
sipp kennen gelernt haben, weist uns mit Bestimmtheit auf
gewisse Feinheiten der Behandlung hin, durch welche die
Kunst des Parrhasios ihr eigenthümliches Gepräge erhielt.
Welcher Art aber diese Feinheiten waren, darüber spricht
Plinius ausführlich, dessen Urtheil wir der Uebersichtlichkeit
wegen zuerst in seinem ganzen Umfange anführen wollen,
wenn wir auch später die einzelnen Theile desselben für
unsere Zwecke unter veränderten Gesichtspunkten zusam-
menordnen und betrachten müssen. „Parrhasios aus Ephesos
trug gleichfalls Vieles zum Fortschritt bei; er führte zuerst
die Proportionslehre in die Malerei ein, verlieh dem Gesicht
Feinheiten des Ausdrucks, dem Haupthaar Eleganz, dem
Munde einen sanften Reiz, und trug nach dem Bekenntnisse
der Künstler in den Contouren die Palme davon. Darin be-

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[102/0110] und die Zerstörung Ilions für einen Becher (σκύφος Ἡϱακλεω- τικός) mit folgender Inschrift: Γϱάμματα Παϱϱασίοιο, τέχνα Μυός· μμὶ ἐδὲ ἔϱγον Ἰλίου αἰπεινᾶς, ἃν ἕλον Αἰακίδαι Athen. XI, p. 782 B. Endlich berichtet Plinius (35, 68), dass man noch manche Reste von Zeichnungen „in tabulis ac membranis eius“ auf- bewahrt habe, welche von den Künstlern mit Vortheil be- nutzt werden sollten. Aus dieser Angabe erklärt es sich vielleicht, dass unter den Auctoren des 35sten Buches in ei- nigen Handschriften des Plinius auch Parrhasios angeführt wird, während wir von eigentlichen Schriften dieses Künst- lers sonst nichts wissen, und sein Name sich auch gerade in der bamberger Handschrift nicht findet. Hinsichtlich des Materials, dessen er sich beim Malen bedient, wird nur eine Einzelnheit berichtet: nemlich dass er und Nikomachos zum Weiss die Kreide von Eretria ver- wendet habe: Pl. 35, 38. Den Erörterungen über die künstlerischen Leistungen des Parrhasios wollen wir ein kurzes, aber sehr charakte- ristisches Zeugniss des Alterthums voranstellen: οὐκοῦν δότε μοι τὴν Ζεύξιδος τέχνην, τὰ Παϱϱασίου σοφίσματα, sagt Hime- rius. 1) Dieser Ausdruck σοφίσματα, dem lateinischen argutiae entsprechend, dessen Bedeutung wir bei Gelegenheit des Ly- sipp kennen gelernt haben, weist uns mit Bestimmtheit auf gewisse Feinheiten der Behandlung hin, durch welche die Kunst des Parrhasios ihr eigenthümliches Gepräge erhielt. Welcher Art aber diese Feinheiten waren, darüber spricht Plinius ausführlich, dessen Urtheil wir der Uebersichtlichkeit wegen zuerst in seinem ganzen Umfange anführen wollen, wenn wir auch später die einzelnen Theile desselben für unsere Zwecke unter veränderten Gesichtspunkten zusam- menordnen und betrachten müssen. „Parrhasios aus Ephesos trug gleichfalls Vieles zum Fortschritt bei; er führte zuerst die Proportionslehre in die Malerei ein, verlieh dem Gesicht Feinheiten des Ausdrucks, dem Haupthaar Eleganz, dem Munde einen sanften Reiz, und trug nach dem Bekenntnisse der Künstler in den Contouren die Palme davon. Darin be- 1) Ecl. XIII, 5; ap. Phot. p. 602 Hoesch.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/110>, abgerufen am 28.04.2024.