Naehblüthe der rein griechischen Kunst, welche aber, mehr künstlich durch den Reichthum Roms gepflegt, als auf natür- lichem Boden erzeugt, bald dahinwelken und ganz untergehen musste, um endlich noch in ihrem Untergange den Boden für die ganz neuen Gestaltungen späterer Zeiten bereiten zu helfen.
Wie anders sich unser Urtheil über diese Nachblüthe ge- stalten musste, als etwa zu den Zeiten Winckelmann's, ist be- reits früher, bei Gelegenheit des vaticanischen Heraklestorso und des farnesischen Herakles, mit hinlänglicher Bestimmtheit angedeutet worden. Ueberall mussten wir darauf hinweisen, wie gerade in allen höheren künstlerischen Beziehungen, im poetischen Schaffen sowohl, als in der ganzen Auffassung der Form, sich die Kunst dieser Zeit entweder durchaus an die älteren, glänzenderen Perioden anlehnte, oder, wo sie selbststän- dig aufzutreten strebte, sich vergeblich anstrengte, die frühere Vortrefflichkeit zu erreichen, bis sie endlich immer mehr zu handwerksmässigem Betriebe herabsank, und die etwa noch übrig bleibende materielle Tüchtigkeit der Ausführung dem Einzelnen nicht mehr hinlängliche Ansprüche auf persönlichen Ruhm zu gewähren vermochte. Es scheint passend, bei dieser Gelegenheit noch einmal an eine früher ausführlich behandelte Streitfrage zu erinnern, die Frage über das Alter der Gruppe des Laokoon. Indem ich der Kürze wegen nachdrücklich auf das verweise, was Welcker in der zweiten Hälfte seines Auf- satzes über dieses Werk (Alt. Denkm. I, S. 341 flgdd.) aus- führlich und schlagend dargelegt hat, wird auch schon die Er- innerung an unsere eigenen Erörterungen über die griechische Kunst in Rom genügen, um das Gewicht der früher aufgestell- ten Behauptung, dass in der Zeit des Titus die geistige Kraft zur Erfindung eines solchen Werkes nicht mehr vorhanden ge- wesen sei, in seiner vollen Bedeutung klar werden zu lassen.
Dass aber unser Urtheil über das Wesen dieser letzten Periode der griechischen Kunst wenigstens in der Hauptsache nicht verfehlt sein wird, dafür giebt es nach meiner Ueber- zeugung noch eine grosse innere Gewähr: eine Gewähr, welche ich hier zum Schluss nicht blos für diesen Abschnitt, sondern für die gesammte Geschichte der Künstler, oder zunächst we- nigstens der Bildhauer, welche uns bisher beschäftigt haben, in Anspruch nehme. Sie liegt in dem naturgemässen Fort-
Naehblüthe der rein griechischen Kunst, welche aber, mehr künstlich durch den Reichthum Roms gepflegt, als auf natür- lichem Boden erzeugt, bald dahinwelken und ganz untergehen musste, um endlich noch in ihrem Untergange den Boden für die ganz neuen Gestaltungen späterer Zeiten bereiten zu helfen.
Wie anders sich unser Urtheil über diese Nachblüthe ge- stalten musste, als etwa zu den Zeiten Winckelmann’s, ist be- reits früher, bei Gelegenheit des vaticanischen Heraklestorso und des farnesischen Herakles, mit hinlänglicher Bestimmtheit angedeutet worden. Ueberall mussten wir darauf hinweisen, wie gerade in allen höheren künstlerischen Beziehungen, im poetischen Schaffen sowohl, als in der ganzen Auffassung der Form, sich die Kunst dieser Zeit entweder durchaus an die älteren, glänzenderen Perioden anlehnte, oder, wo sie selbststän- dig aufzutreten strebte, sich vergeblich anstrengte, die frühere Vortrefflichkeit zu erreichen, bis sie endlich immer mehr zu handwerksmässigem Betriebe herabsank, und die etwa noch übrig bleibende materielle Tüchtigkeit der Ausführung dem Einzelnen nicht mehr hinlängliche Ansprüche auf persönlichen Ruhm zu gewähren vermochte. Es scheint passend, bei dieser Gelegenheit noch einmal an eine früher ausführlich behandelte Streitfrage zu erinnern, die Frage über das Alter der Gruppe des Laokoon. Indem ich der Kürze wegen nachdrücklich auf das verweise, was Welcker in der zweiten Hälfte seines Auf- satzes über dieses Werk (Alt. Denkm. I, S. 341 flgdd.) aus- führlich und schlagend dargelegt hat, wird auch schon die Er- innerung an unsere eigenen Erörterungen über die griechische Kunst in Rom genügen, um das Gewicht der früher aufgestell- ten Behauptung, dass in der Zeit des Titus die geistige Kraft zur Erfindung eines solchen Werkes nicht mehr vorhanden ge- wesen sei, in seiner vollen Bedeutung klar werden zu lassen.
Dass aber unser Urtheil über das Wesen dieser letzten Periode der griechischen Kunst wenigstens in der Hauptsache nicht verfehlt sein wird, dafür giebt es nach meiner Ueber- zeugung noch eine grosse innere Gewähr: eine Gewähr, welche ich hier zum Schluss nicht blos für diesen Abschnitt, sondern für die gesammte Geschichte der Künstler, oder zunächst we- nigstens der Bildhauer, welche uns bisher beschäftigt haben, in Anspruch nehme. Sie liegt in dem naturgemässen Fort-
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Naehblüthe der rein griechischen Kunst, welche aber, mehr
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lichem Boden erzeugt, bald dahinwelken und ganz untergehen
musste, um endlich noch in ihrem Untergange den Boden für
die ganz neuen Gestaltungen späterer Zeiten bereiten zu
helfen.
Wie anders sich unser Urtheil über diese Nachblüthe ge-
stalten musste, als etwa zu den Zeiten Winckelmann’s, ist be-
reits früher, bei Gelegenheit des vaticanischen Heraklestorso
und des farnesischen Herakles, mit hinlänglicher Bestimmtheit
angedeutet worden. Ueberall mussten wir darauf hinweisen,
wie gerade in allen höheren künstlerischen Beziehungen, im
poetischen Schaffen sowohl, als in der ganzen Auffassung der
Form, sich die Kunst dieser Zeit entweder durchaus an die
älteren, glänzenderen Perioden anlehnte, oder, wo sie selbststän-
dig aufzutreten strebte, sich vergeblich anstrengte, die frühere
Vortrefflichkeit zu erreichen, bis sie endlich immer mehr zu
handwerksmässigem Betriebe herabsank, und die etwa noch
übrig bleibende materielle Tüchtigkeit der Ausführung dem
Einzelnen nicht mehr hinlängliche Ansprüche auf persönlichen
Ruhm zu gewähren vermochte. Es scheint passend, bei dieser
Gelegenheit noch einmal an eine früher ausführlich behandelte
Streitfrage zu erinnern, die Frage über das Alter der Gruppe
des Laokoon. Indem ich der Kürze wegen nachdrücklich auf
das verweise, was Welcker in der zweiten Hälfte seines Auf-
satzes über dieses Werk (Alt. Denkm. I, S. 341 flgdd.) aus-
führlich und schlagend dargelegt hat, wird auch schon die Er-
innerung an unsere eigenen Erörterungen über die griechische
Kunst in Rom genügen, um das Gewicht der früher aufgestell-
ten Behauptung, dass in der Zeit des Titus die geistige Kraft
zur Erfindung eines solchen Werkes nicht mehr vorhanden ge-
wesen sei, in seiner vollen Bedeutung klar werden zu lassen.
Dass aber unser Urtheil über das Wesen dieser letzten
Periode der griechischen Kunst wenigstens in der Hauptsache
nicht verfehlt sein wird, dafür giebt es nach meiner Ueber-
zeugung noch eine grosse innere Gewähr: eine Gewähr, welche
ich hier zum Schluss nicht blos für diesen Abschnitt, sondern
für die gesammte Geschichte der Künstler, oder zunächst we-
nigstens der Bildhauer, welche uns bisher beschäftigt haben,
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/632>, abgerufen am 22.11.2024.
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