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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Die Künstler waren vorzügliche Techniker; sie haben dem
spröden und harten schwarzen Marmor eine Ausführung abge-
wonnen (so namentlich in den losen Partien des Haupthaares),
wie wir sie sonst nur in Bronzewerken zu sehen gewohnt sind.
Aber diese technische Meisterschaft wurde auch die Klippe,
an welcher sie scheiterten. Denn gerade durch sie verräth
sich der Mangel an allem feineren Gefühle und höherem Kunst-
sinne. Die Muskeln werden durch die Schärfe der Durchfüh-
rung wulstig und liegen wie Polster über und neben einander.
Die kurzen Haare auf der Brust, die Andeutungen derselben
am Pferdekörper, wo sie in zwei verschiedenen Richtungen
auf einander stossend sich gewissermassen brechen, mochten,
in Bronze durch feine Cisellirung angegeben, eine besondere
Schönheit bilden: hier erscheinen sie als trockene, harte Ein-
schnitte in die Haut, welche einer harmonischen Verarbeitung
mehr hinderlich, als förderlich sind. So zeigen sich Aristeas
und Papias allerdings in einer Beziehung als Nachkommen der
kleinasiatischen Künstler: in dem Streben, ihre Meister-
schaft zur Schau zu tragen; diese selbst aber erstreckt sich
nur auf den untergeordnetsten Zweig der künstlerischen Thä-
tigkeit, und kann in ihrem einseitigen Hervortreten nur zum
Nachtheil des Ganzen wirken, So sehr uns also auch die eben
behandelten Werke durch die Schönheit ihrer ursprünglichen
Erfindung anziehen mögen, so bleibt doch dem Aristeas und
Papias nichts übrig, als der Ruhm tüchtiger Marmorarbeiter.

Von den Werken ihres Landsmannes Zeno kenne ich die
syrakusanische weibliche Gewandfigur nicht einmal durch eine
Abbildung. Die Herme des Vaticans ist ein besonderes und
eigenthümliches Verdienst. Die Statue der Villa Ludovisi
stimmt, wie bereits bemerkt wurde, in der Anlage mit dem
Marcellus des Capitols überein, und unterscheidet sich, wie
diese, von den römischen Togafiguren vortheilhaft durch die
leichtere, mehr dem Griechischen sich annähernde Gewandung.
Aber gerade dieses Verdienst gebührt der Erfindung, und dem
Zeno bleibt daher nur der Anspruch auf das Lob einer hin-
länglichen Gewandtheit in der Handhabung der technischen
Mittel. Selbst diese aber erscheint Visconti (op. var. I, p. 93)
nicht gross genug, um Zeno für gleichzeitig mit Aristeas und
Papias zu halten; sondern er setzt ihn etwa ein halbes Jahr-
hundert später.

Die Künstler waren vorzügliche Techniker; sie haben dem
spröden und harten schwarzen Marmor eine Ausführung abge-
wonnen (so namentlich in den losen Partien des Haupthaares),
wie wir sie sonst nur in Bronzewerken zu sehen gewohnt sind.
Aber diese technische Meisterschaft wurde auch die Klippe,
an welcher sie scheiterten. Denn gerade durch sie verräth
sich der Mangel an allem feineren Gefühle und höherem Kunst-
sinne. Die Muskeln werden durch die Schärfe der Durchfüh-
rung wulstig und liegen wie Polster über und neben einander.
Die kurzen Haare auf der Brust, die Andeutungen derselben
am Pferdekörper, wo sie in zwei verschiedenen Richtungen
auf einander stossend sich gewissermassen brechen, mochten,
in Bronze durch feine Cisellirung angegeben, eine besondere
Schönheit bilden: hier erscheinen sie als trockene, harte Ein-
schnitte in die Haut, welche einer harmonischen Verarbeitung
mehr hinderlich, als förderlich sind. So zeigen sich Aristeas
und Papias allerdings in einer Beziehung als Nachkommen der
kleinasiatischen Künstler: in dem Streben, ihre Meister-
schaft zur Schau zu tragen; diese selbst aber erstreckt sich
nur auf den untergeordnetsten Zweig der künstlerischen Thä-
tigkeit, und kann in ihrem einseitigen Hervortreten nur zum
Nachtheil des Ganzen wirken, So sehr uns also auch die eben
behandelten Werke durch die Schönheit ihrer ursprünglichen
Erfindung anziehen mögen, so bleibt doch dem Aristeas und
Papias nichts übrig, als der Ruhm tüchtiger Marmorarbeiter.

Von den Werken ihres Landsmannes Zeno kenne ich die
syrakusanische weibliche Gewandfigur nicht einmal durch eine
Abbildung. Die Herme des Vaticans ist ein besonderes und
eigenthümliches Verdienst. Die Statue der Villa Ludovisi
stimmt, wie bereits bemerkt wurde, in der Anlage mit dem
Marcellus des Capitols überein, und unterscheidet sich, wie
diese, von den römischen Togafiguren vortheilhaft durch die
leichtere, mehr dem Griechischen sich annähernde Gewandung.
Aber gerade dieses Verdienst gebührt der Erfindung, und dem
Zeno bleibt daher nur der Anspruch auf das Lob einer hin-
länglichen Gewandtheit in der Handhabung der technischen
Mittel. Selbst diese aber erscheint Visconti (op. var. I, p. 93)
nicht gross genug, um Zeno für gleichzeitig mit Aristeas und
Papias zu halten; sondern er setzt ihn etwa ein halbes Jahr-
hundert später.

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[594/0607] Die Künstler waren vorzügliche Techniker; sie haben dem spröden und harten schwarzen Marmor eine Ausführung abge- wonnen (so namentlich in den losen Partien des Haupthaares), wie wir sie sonst nur in Bronzewerken zu sehen gewohnt sind. Aber diese technische Meisterschaft wurde auch die Klippe, an welcher sie scheiterten. Denn gerade durch sie verräth sich der Mangel an allem feineren Gefühle und höherem Kunst- sinne. Die Muskeln werden durch die Schärfe der Durchfüh- rung wulstig und liegen wie Polster über und neben einander. Die kurzen Haare auf der Brust, die Andeutungen derselben am Pferdekörper, wo sie in zwei verschiedenen Richtungen auf einander stossend sich gewissermassen brechen, mochten, in Bronze durch feine Cisellirung angegeben, eine besondere Schönheit bilden: hier erscheinen sie als trockene, harte Ein- schnitte in die Haut, welche einer harmonischen Verarbeitung mehr hinderlich, als förderlich sind. So zeigen sich Aristeas und Papias allerdings in einer Beziehung als Nachkommen der kleinasiatischen Künstler: in dem Streben, ihre Meister- schaft zur Schau zu tragen; diese selbst aber erstreckt sich nur auf den untergeordnetsten Zweig der künstlerischen Thä- tigkeit, und kann in ihrem einseitigen Hervortreten nur zum Nachtheil des Ganzen wirken, So sehr uns also auch die eben behandelten Werke durch die Schönheit ihrer ursprünglichen Erfindung anziehen mögen, so bleibt doch dem Aristeas und Papias nichts übrig, als der Ruhm tüchtiger Marmorarbeiter. Von den Werken ihres Landsmannes Zeno kenne ich die syrakusanische weibliche Gewandfigur nicht einmal durch eine Abbildung. Die Herme des Vaticans ist ein besonderes und eigenthümliches Verdienst. Die Statue der Villa Ludovisi stimmt, wie bereits bemerkt wurde, in der Anlage mit dem Marcellus des Capitols überein, und unterscheidet sich, wie diese, von den römischen Togafiguren vortheilhaft durch die leichtere, mehr dem Griechischen sich annähernde Gewandung. Aber gerade dieses Verdienst gebührt der Erfindung, und dem Zeno bleibt daher nur der Anspruch auf das Lob einer hin- länglichen Gewandtheit in der Handhabung der technischen Mittel. Selbst diese aber erscheint Visconti (op. var. I, p. 93) nicht gross genug, um Zeno für gleichzeitig mit Aristeas und Papias zu halten; sondern er setzt ihn etwa ein halbes Jahr- hundert später.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/607>, abgerufen am 30.04.2024.