ler angewendete Technik nicht gewährt. Eben so vermissen wir trotz der scharf bezeichneten Begrenzung aller Formen die Feinheit und Sauberkeit in den Umrissen, sowie in den Ansätzen das zarte und allmählige Entstehen und Verschwin- den. Namentlich erscheinen einige Adern, welche an die Ober- fläche treten, aus diesem Grunde fast wie ausser Zusammen- hang und äusserlich aufgeklebt. Aber auch zwischen den meisten Muskeln fehlen die zarteren Verbindungen und Ueber- gänge; und wenn wir dem Laokoon eine gewisse Trockenheit zum Vorwurfe gemacht haben, weil von den Künstlern dieje- nigen Theile, welche den Muskeln zur Umhüllung dienen, zu sehr vernachlässigt waren, so gilt dies in noch verstärktem Maasse von dem Fechter, der, wenn das Auge von längerer Beschauung z. B. der Gebilde des Phidias zu ihm zurückkehrt, im ersten Augenblicke wenigstens stark an anatomische Dar- stellungen erinnert.
Fassen wir jetzt die eben dargelegten Beobachtungen zu- sammen, so lassen sie sich ohne Schwierigkeit auf eine einzige Ursache zurückführen. Dem Künstler fehlte das feine Gefühl, um aus der Beobachtung des Lebens in seiner Bewe- gung das der einzelnen Formen, ihr Verhältniss unter einander, die Bedingungen und die Aeusserungen ihres Wirkens zu er- kennen. In dem Bewusstsein dieses Mangels suchte er einen Ersatz in einem gründlichen Studium des menschlichen Kör- pers, namentlich in den Theilen, auf welchen die ganze Be- wegung beruht; und bis zu einem gewissen Grade hat ihm auch dieses Studium wirklichen Ersatz gewährt. Man hat in neuerer Zeit den Fechter wohl benutzt, um an ihm die Haupt- regeln der Anatomie für Künstler nachzuweisen1); und es mag keine Statue weder des Alterthums, noch unserer Zeit zu die- sem Zwecke geeigneter sein. Denn nirgends wohl finden wir die einzelnen Formen in solcher Ausführlichkeit dargelegt; wir erkennen deutlich die Grösse, den Umfang, die Lage jedes einzelnen Muskels, und wie er durch die besondere Bewegung seine eigenthümliche Gestalt erhalten hat. Aber diese mate- rielle Richtigkeit kann doch schliesslich nicht allein den Werth des Kunstwerkes bestimmen. Ja, wo sie das höchste Ver-
1) Jean-Galbert Salvage Anatomie du Gladiateur combattant. Paris 1812. Leider habe ich dieses Buch nicht benutzen können.
ler angewendete Technik nicht gewährt. Eben so vermissen wir trotz der scharf bezeichneten Begrenzung aller Formen die Feinheit und Sauberkeit in den Umrissen, sowie in den Ansätzen das zarte und allmählige Entstehen und Verschwin- den. Namentlich erscheinen einige Adern, welche an die Ober- fläche treten, aus diesem Grunde fast wie ausser Zusammen- hang und äusserlich aufgeklebt. Aber auch zwischen den meisten Muskeln fehlen die zarteren Verbindungen und Ueber- gänge; und wenn wir dem Laokoon eine gewisse Trockenheit zum Vorwurfe gemacht haben, weil von den Künstlern dieje- nigen Theile, welche den Muskeln zur Umhüllung dienen, zu sehr vernachlässigt waren, so gilt dies in noch verstärktem Maasse von dem Fechter, der, wenn das Auge von längerer Beschauung z. B. der Gebilde des Phidias zu ihm zurückkehrt, im ersten Augenblicke wenigstens stark an anatomische Dar- stellungen erinnert.
Fassen wir jetzt die eben dargelegten Beobachtungen zu- sammen, so lassen sie sich ohne Schwierigkeit auf eine einzige Ursache zurückführen. Dem Künstler fehlte das feine Gefühl, um aus der Beobachtung des Lebens in seiner Bewe- gung das der einzelnen Formen, ihr Verhältniss unter einander, die Bedingungen und die Aeusserungen ihres Wirkens zu er- kennen. In dem Bewusstsein dieses Mangels suchte er einen Ersatz in einem gründlichen Studium des menschlichen Kör- pers, namentlich in den Theilen, auf welchen die ganze Be- wegung beruht; und bis zu einem gewissen Grade hat ihm auch dieses Studium wirklichen Ersatz gewährt. Man hat in neuerer Zeit den Fechter wohl benutzt, um an ihm die Haupt- regeln der Anatomie für Künstler nachzuweisen1); und es mag keine Statue weder des Alterthums, noch unserer Zeit zu die- sem Zwecke geeigneter sein. Denn nirgends wohl finden wir die einzelnen Formen in solcher Ausführlichkeit dargelegt; wir erkennen deutlich die Grösse, den Umfang, die Lage jedes einzelnen Muskels, und wie er durch die besondere Bewegung seine eigenthümliche Gestalt erhalten hat. Aber diese mate- rielle Richtigkeit kann doch schliesslich nicht allein den Werth des Kunstwerkes bestimmen. Ja, wo sie das höchste Ver-
1) Jean-Galbert Salvage Anatomie du Gladiateur combattant. Paris 1812. Leider habe ich dieses Buch nicht benutzen können.
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ler angewendete Technik nicht gewährt. Eben so vermissen
wir trotz der scharf bezeichneten Begrenzung aller Formen
die Feinheit und Sauberkeit in den Umrissen, sowie in den
Ansätzen das zarte und allmählige Entstehen und Verschwin-
den. Namentlich erscheinen einige Adern, welche an die Ober-
fläche treten, aus diesem Grunde fast wie ausser Zusammen-
hang und äusserlich aufgeklebt. Aber auch zwischen den
meisten Muskeln fehlen die zarteren Verbindungen und Ueber-
gänge; und wenn wir dem Laokoon eine gewisse Trockenheit
zum Vorwurfe gemacht haben, weil von den Künstlern dieje-
nigen Theile, welche den Muskeln zur Umhüllung dienen, zu
sehr vernachlässigt waren, so gilt dies in noch verstärktem
Maasse von dem Fechter, der, wenn das Auge von längerer
Beschauung z. B. der Gebilde des Phidias zu ihm zurückkehrt,
im ersten Augenblicke wenigstens stark an anatomische Dar-
stellungen erinnert.
Fassen wir jetzt die eben dargelegten Beobachtungen zu-
sammen, so lassen sie sich ohne Schwierigkeit auf eine
einzige Ursache zurückführen. Dem Künstler fehlte das feine
Gefühl, um aus der Beobachtung des Lebens in seiner Bewe-
gung das der einzelnen Formen, ihr Verhältniss unter einander,
die Bedingungen und die Aeusserungen ihres Wirkens zu er-
kennen. In dem Bewusstsein dieses Mangels suchte er einen
Ersatz in einem gründlichen Studium des menschlichen Kör-
pers, namentlich in den Theilen, auf welchen die ganze Be-
wegung beruht; und bis zu einem gewissen Grade hat ihm
auch dieses Studium wirklichen Ersatz gewährt. Man hat in
neuerer Zeit den Fechter wohl benutzt, um an ihm die Haupt-
regeln der Anatomie für Künstler nachzuweisen 1); und es mag
keine Statue weder des Alterthums, noch unserer Zeit zu die-
sem Zwecke geeigneter sein. Denn nirgends wohl finden wir
die einzelnen Formen in solcher Ausführlichkeit dargelegt; wir
erkennen deutlich die Grösse, den Umfang, die Lage jedes
einzelnen Muskels, und wie er durch die besondere Bewegung
seine eigenthümliche Gestalt erhalten hat. Aber diese mate-
rielle Richtigkeit kann doch schliesslich nicht allein den Werth
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/594>, abgerufen am 25.11.2024.
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