es seinen Schwerpunkt in sich selbst habe, dass alle Bewe- gungen und alle Massen richtig abgewogen und mit einander ins Gleichgewicht gesetzt seien. Wir können dem Künstler des Fechters das Lob ertheilen, dass er diesen Ansprüchen genügt und sich innerhalb der Grenzen gehalten hat, welche die Kunst vorschreibt und die Griechen fast nie überschritten haben. Wohl aber dürfen wir behaupten, dass er in seinem Stre- ben nach Lebendigkeit und Bewegung so weit gegangen ist, als es nur irgend gestattet war. In diesem Streben ist dem Fechter vielleicht kein Werk verwandter, als der Diskobol des Myron. Blicken wir aber auf die Art der Ausführung, so stehen beide wieder in einem scharfen Gegensatze zu einander. Im Diskobol sind alle Kräfte gesammelt, der ganze Körper ist wie zusammen- gezogen, um sich im nächsten Moment mit um so grösserer Spannkraft wieder auszudehnen und den Wurf des Diskos zu unterstützen. Im Fechter sind die Füsse so weit auseinander- gestellt, als es nur die Möglichkeit eines sicheren Fortschreitens erlaubt; die Arme bewegen sich in diametral entgegengesetzter Richtung; der rechte nach hinten, während der entsprechende Fuss vorschreitet, der linke nach vorn und nach oben, während der Fuss rückwärts nach unten ausgedehnt ist. Der Kopf end- lich blickt nicht gradaus, sondern scharf nach der Seite und nach oben. So sind alle Glieder des Körpers auf das Höchste ausgespannt und gedehnt; und wie sich der Beschauer in Span- nung darüber versetzt sieht, was wohl der nächste Augenblick bringen möge, so erscheint der Kämpfer selbst bereit, durch ein Zusammenziehen des ausgespannten Netzes seiner Kräfte allen Wechselfällen desselben zu begegnen.
Nachdem wir aus dem Werke selbst im Allgemeinen ge- sehen haben, in welcher Weise der Künstler seine Aufgabe aufgefasst hat, werden wir nun auch nach den Gründen for- schen dürfen, welche ihn zu dieser Auffassung bestimmten, sowie nach den Mitteln, die ihm dabei zu Gebote standen, und dem Erfolge, mit dem er sich ihrer bedient hat. Die Beantwortung dieser Fragen wird aber nicht möglich sein, ohne zugleich das Verhältniss des Künstlers zur früheren Zeit, namentlich aber zu der verwandten kleinasiatisch-rhodischen Kunst in Betracht zu ziehen. Der Laokoon, der farnesische Stier waren Werke, an welchen die Künstler ihre Meister- schaft in der Ueberwindung schwieriger Probleme zu zeigen
es seinen Schwerpunkt in sich selbst habe, dass alle Bewe- gungen und alle Massen richtig abgewogen und mit einander ins Gleichgewicht gesetzt seien. Wir können dem Künstler des Fechters das Lob ertheilen, dass er diesen Ansprüchen genügt und sich innerhalb der Grenzen gehalten hat, welche die Kunst vorschreibt und die Griechen fast nie überschritten haben. Wohl aber dürfen wir behaupten, dass er in seinem Stre- ben nach Lebendigkeit und Bewegung so weit gegangen ist, als es nur irgend gestattet war. In diesem Streben ist dem Fechter vielleicht kein Werk verwandter, als der Diskobol des Myron. Blicken wir aber auf die Art der Ausführung, so stehen beide wieder in einem scharfen Gegensatze zu einander. Im Diskobol sind alle Kräfte gesammelt, der ganze Körper ist wie zusammen- gezogen, um sich im nächsten Moment mit um so grösserer Spannkraft wieder auszudehnen und den Wurf des Diskos zu unterstützen. Im Fechter sind die Füsse so weit auseinander- gestellt, als es nur die Möglichkeit eines sicheren Fortschreitens erlaubt; die Arme bewegen sich in diametral entgegengesetzter Richtung; der rechte nach hinten, während der entsprechende Fuss vorschreitet, der linke nach vorn und nach oben, während der Fuss rückwärts nach unten ausgedehnt ist. Der Kopf end- lich blickt nicht gradaus, sondern scharf nach der Seite und nach oben. So sind alle Glieder des Körpers auf das Höchste ausgespannt und gedehnt; und wie sich der Beschauer in Span- nung darüber versetzt sieht, was wohl der nächste Augenblick bringen möge, so erscheint der Kämpfer selbst bereit, durch ein Zusammenziehen des ausgespannten Netzes seiner Kräfte allen Wechselfällen desselben zu begegnen.
Nachdem wir aus dem Werke selbst im Allgemeinen ge- sehen haben, in welcher Weise der Künstler seine Aufgabe aufgefasst hat, werden wir nun auch nach den Gründen for- schen dürfen, welche ihn zu dieser Auffassung bestimmten, sowie nach den Mitteln, die ihm dabei zu Gebote standen, und dem Erfolge, mit dem er sich ihrer bedient hat. Die Beantwortung dieser Fragen wird aber nicht möglich sein, ohne zugleich das Verhältniss des Künstlers zur früheren Zeit, namentlich aber zu der verwandten kleinasiatisch-rhodischen Kunst in Betracht zu ziehen. Der Laokoon, der farnesische Stier waren Werke, an welchen die Künstler ihre Meister- schaft in der Ueberwindung schwieriger Probleme zu zeigen
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[578/0591]
es seinen Schwerpunkt in sich selbst habe, dass alle Bewe-
gungen und alle Massen richtig abgewogen und mit einander
ins Gleichgewicht gesetzt seien. Wir können dem Künstler
des Fechters das Lob ertheilen, dass er diesen Ansprüchen
genügt und sich innerhalb der Grenzen gehalten hat, welche
die Kunst vorschreibt und die Griechen fast nie überschritten
haben. Wohl aber dürfen wir behaupten, dass er in seinem Stre-
ben nach Lebendigkeit und Bewegung so weit gegangen ist, als
es nur irgend gestattet war. In diesem Streben ist dem Fechter
vielleicht kein Werk verwandter, als der Diskobol des Myron.
Blicken wir aber auf die Art der Ausführung, so stehen beide
wieder in einem scharfen Gegensatze zu einander. Im Diskobol
sind alle Kräfte gesammelt, der ganze Körper ist wie zusammen-
gezogen, um sich im nächsten Moment mit um so grösserer
Spannkraft wieder auszudehnen und den Wurf des Diskos zu
unterstützen. Im Fechter sind die Füsse so weit auseinander-
gestellt, als es nur die Möglichkeit eines sicheren Fortschreitens
erlaubt; die Arme bewegen sich in diametral entgegengesetzter
Richtung; der rechte nach hinten, während der entsprechende
Fuss vorschreitet, der linke nach vorn und nach oben, während
der Fuss rückwärts nach unten ausgedehnt ist. Der Kopf end-
lich blickt nicht gradaus, sondern scharf nach der Seite und
nach oben. So sind alle Glieder des Körpers auf das Höchste
ausgespannt und gedehnt; und wie sich der Beschauer in Span-
nung darüber versetzt sieht, was wohl der nächste Augenblick
bringen möge, so erscheint der Kämpfer selbst bereit, durch
ein Zusammenziehen des ausgespannten Netzes seiner Kräfte
allen Wechselfällen desselben zu begegnen.
Nachdem wir aus dem Werke selbst im Allgemeinen ge-
sehen haben, in welcher Weise der Künstler seine Aufgabe
aufgefasst hat, werden wir nun auch nach den Gründen for-
schen dürfen, welche ihn zu dieser Auffassung bestimmten,
sowie nach den Mitteln, die ihm dabei zu Gebote standen,
und dem Erfolge, mit dem er sich ihrer bedient hat. Die
Beantwortung dieser Fragen wird aber nicht möglich sein,
ohne zugleich das Verhältniss des Künstlers zur früheren Zeit,
namentlich aber zu der verwandten kleinasiatisch-rhodischen
Kunst in Betracht zu ziehen. Der Laokoon, der farnesische
Stier waren Werke, an welchen die Künstler ihre Meister-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/591>, abgerufen am 25.11.2024.
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