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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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auch jetzt noch in diesem Kunstzweige thätig. Ferner müssen
wir hierher die Hauptmasse der Bilder rechnen, welche sich
auf Alexander und seine Umgebung beziehen. Alexander z. B.
mit der Lanze, wie ihn Lysipp in einem berühmten Werke
darstellte, darf uns wohl an den Doryphoros des Polyklet er-
innern. Die Grenzen freilich, welche dieser Künstler festge-
stellt hatte, glaubte man jetzt nicht mehr in der früheren
Strenge bewahren zu müssen; und wenn wir früher den Do-
ryphoros und Diadumenos gewissermassen als die Grenzsteine
bezeichneten, so geht man jetzt nach den beiden entgegenge-
setzten Richtungen über dieselben hinaus: bis zu welchem
Punkte, lehren auf der einen Seite die verschiedenen Bildun-
gen des Herakles, auf der anderen das Bild des Eurotas, des
gewaltigsten der Heroen und des weich hinfliessenden Fluss-
gottes. Dass aber eine Schule, welche, man kann wohl sagen,
durchaus von der Gymnastik ausgegangen war, schliesslich
dahin gelangte, einen Flussgott wie fliessend darzustellen,
steht mit ihrem ursprünglichen Charakter keineswegs im Wi-
derspruch. Denn auch hier beruhte ja, wie wir schon früher
bemerkten, das Verdienst des Werkes in der von aller An-
schauung gelösten und ruhenden, aber darum nicht minder im
ganzen Organismus vorhandenen Elasticität des Baues und der
Fügung aller Glieder. Bis zum sinnlich Ueppigen verirrte sich
dagegen, so viel wir wissen, die sikyonische Kunst niemals.
-- Nicht übersehen dürfen wir endlich die Menge von Thieren,
welche jetzt theils selbstständig, theils in Gespannen, theils
in den häufiger wiederkehrenden Jagddarstellungen gebildet
werden. Auch darin verläugnet sich der Charakter der Schule
nicht; denn gerade an Thieren liess sich die Schärfe in der
Beobachtung der Wirklichkeit, das Verständniss der Form und
des ganzen Lebens in den mannigfachsten Variationen darlegen.

Wenn es uns in dem Vorhergehenden gelungen ist, die
Neuerungen in der Wahl der Gegenstände bildlicher Darstel-
lungen mit Erscheinungen der früheren Periode zu verknüpfen
und sie aus ihnen abzuleiten, so wird es unser Streben sein
müssen, denselben Zusammenhang auch in den verschiedenen
Seiten der künstlerischen Behandlung nachzuweisen. Wir
richten daher zuerst unser Augenmerk auf die Technik, und
finden, dass die Attiker, wie sie früher in allen Zweigen der-
selben sich mit gleicher Meisterschaft bewegten, auch jetzt

auch jetzt noch in diesem Kunstzweige thätig. Ferner müssen
wir hierher die Hauptmasse der Bilder rechnen, welche sich
auf Alexander und seine Umgebung beziehen. Alexander z. B.
mit der Lanze, wie ihn Lysipp in einem berühmten Werke
darstellte, darf uns wohl an den Doryphoros des Polyklet er-
innern. Die Grenzen freilich, welche dieser Künstler festge-
stellt hatte, glaubte man jetzt nicht mehr in der früheren
Strenge bewahren zu müssen; und wenn wir früher den Do-
ryphoros und Diadumenos gewissermassen als die Grenzsteine
bezeichneten, so geht man jetzt nach den beiden entgegenge-
setzten Richtungen über dieselben hinaus: bis zu welchem
Punkte, lehren auf der einen Seite die verschiedenen Bildun-
gen des Herakles, auf der anderen das Bild des Eurotas, des
gewaltigsten der Heroen und des weich hinfliessenden Fluss-
gottes. Dass aber eine Schule, welche, man kann wohl sagen,
durchaus von der Gymnastik ausgegangen war, schliesslich
dahin gelangte, einen Flussgott wie fliessend darzustellen,
steht mit ihrem ursprünglichen Charakter keineswegs im Wi-
derspruch. Denn auch hier beruhte ja, wie wir schon früher
bemerkten, das Verdienst des Werkes in der von aller An-
schauung gelösten und ruhenden, aber darum nicht minder im
ganzen Organismus vorhandenen Elasticität des Baues und der
Fügung aller Glieder. Bis zum sinnlich Ueppigen verirrte sich
dagegen, so viel wir wissen, die sikyonische Kunst niemals.
— Nicht übersehen dürfen wir endlich die Menge von Thieren,
welche jetzt theils selbstständig, theils in Gespannen, theils
in den häufiger wiederkehrenden Jagddarstellungen gebildet
werden. Auch darin verläugnet sich der Charakter der Schule
nicht; denn gerade an Thieren liess sich die Schärfe in der
Beobachtung der Wirklichkeit, das Verständniss der Form und
des ganzen Lebens in den mannigfachsten Variationen darlegen.

Wenn es uns in dem Vorhergehenden gelungen ist, die
Neuerungen in der Wahl der Gegenstände bildlicher Darstel-
lungen mit Erscheinungen der früheren Periode zu verknüpfen
und sie aus ihnen abzuleiten, so wird es unser Streben sein
müssen, denselben Zusammenhang auch in den verschiedenen
Seiten der künstlerischen Behandlung nachzuweisen. Wir
richten daher zuerst unser Augenmerk auf die Technik, und
finden, dass die Attiker, wie sie früher in allen Zweigen der-
selben sich mit gleicher Meisterschaft bewegten, auch jetzt

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[432/0445] auch jetzt noch in diesem Kunstzweige thätig. Ferner müssen wir hierher die Hauptmasse der Bilder rechnen, welche sich auf Alexander und seine Umgebung beziehen. Alexander z. B. mit der Lanze, wie ihn Lysipp in einem berühmten Werke darstellte, darf uns wohl an den Doryphoros des Polyklet er- innern. Die Grenzen freilich, welche dieser Künstler festge- stellt hatte, glaubte man jetzt nicht mehr in der früheren Strenge bewahren zu müssen; und wenn wir früher den Do- ryphoros und Diadumenos gewissermassen als die Grenzsteine bezeichneten, so geht man jetzt nach den beiden entgegenge- setzten Richtungen über dieselben hinaus: bis zu welchem Punkte, lehren auf der einen Seite die verschiedenen Bildun- gen des Herakles, auf der anderen das Bild des Eurotas, des gewaltigsten der Heroen und des weich hinfliessenden Fluss- gottes. Dass aber eine Schule, welche, man kann wohl sagen, durchaus von der Gymnastik ausgegangen war, schliesslich dahin gelangte, einen Flussgott wie fliessend darzustellen, steht mit ihrem ursprünglichen Charakter keineswegs im Wi- derspruch. Denn auch hier beruhte ja, wie wir schon früher bemerkten, das Verdienst des Werkes in der von aller An- schauung gelösten und ruhenden, aber darum nicht minder im ganzen Organismus vorhandenen Elasticität des Baues und der Fügung aller Glieder. Bis zum sinnlich Ueppigen verirrte sich dagegen, so viel wir wissen, die sikyonische Kunst niemals. — Nicht übersehen dürfen wir endlich die Menge von Thieren, welche jetzt theils selbstständig, theils in Gespannen, theils in den häufiger wiederkehrenden Jagddarstellungen gebildet werden. Auch darin verläugnet sich der Charakter der Schule nicht; denn gerade an Thieren liess sich die Schärfe in der Beobachtung der Wirklichkeit, das Verständniss der Form und des ganzen Lebens in den mannigfachsten Variationen darlegen. Wenn es uns in dem Vorhergehenden gelungen ist, die Neuerungen in der Wahl der Gegenstände bildlicher Darstel- lungen mit Erscheinungen der früheren Periode zu verknüpfen und sie aus ihnen abzuleiten, so wird es unser Streben sein müssen, denselben Zusammenhang auch in den verschiedenen Seiten der künstlerischen Behandlung nachzuweisen. Wir richten daher zuerst unser Augenmerk auf die Technik, und finden, dass die Attiker, wie sie früher in allen Zweigen der- selben sich mit gleicher Meisterschaft bewegten, auch jetzt

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/445>, abgerufen am 22.05.2024.